In dem Dokumentarfilm „Nicht ohne uns“ (Erscheinungsdatum 2017) von Sigrid Klausmann nach einer Idee von Walter Sittler, in dem Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Kontinente befragt werden, sagt der 11-jährige Enjo aus der Schweiz: „Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wieso ich in die Welt hineingeboren wurde.“
Wer darauf auch später keine Antwort findet, wird sich aller Voraussicht nach in einigen Jahre mit Lärm, Alkohol oder Internet betäuben, phantasielos und ohne Schwung seinen Job herunterreißen, mit Partner oder Partnerin angeödet vor dem Fernseher sitzen und nichts mehr Wesentliches in seinem Leben erwarten. Resignierte und abgestumpfte Menschen, die sich abgefunden haben mit den kleinen, harmlosen Wünschen und Annehmlichkeiten, und ein sogenanntes „normales“ Leben führen.
Welch trauriges Gegenbild zu der im Frühling aufbrechenden Natur, zur Wurzel- und Grünkraft der Bäume, zum Sprießen und Aufblühen der Gräser und Blumen. Haben wir uns von den Wurzeln des Lebens abgeschnitten und entfernt? Fehlen uns,- besonders uns in der westlichen Wohlstandsgesellschaft-, die Visionen und begeisternde Träume, die über die basalen Absicherungsbedürfnisse hinausgehen? (vgl. Joel 3,1) Leiden nicht viele an Übersättigung, auch durch die vielen jederzeit erhältlichen Information und medialen Inputs?
Jemand verglich Menschen, die im dauerhaften Wohlstand leben mit Zierfischen, welche im gefahrlosen, langweiligen Aquarium, -gefüttert und satt-, ihre langweiligen Runden schwimmen; nur ab und zu erinnern sie sich an die Tiefen und Abenteuer des großen Meeres, in dem sie einst schwammen, und machen dann kurze heftige Bewegungen.
Tatsächlich, so scheint es mir, sind die Türen der Sehnsucht für viele zugeschlagen und die Antennen für das Göttliche und alles Transzendente von den Häusern abmontiert, auch die Sprache für das Absolute ist verloren gegangen, die Kathedrale des „Heiligen“- besonders jene in der eigenen Seele- bleibt unbewohnt. Nicht wenigen scheint Berieselung und leichte Kost, Kreuzworträtsel und Televisionen von Privatsendern für das eigene Lebensglück zu reichen. Das große, tiefe und gefährliche Meer ist ebenso vergessen wie der unendlich weite Kosmos.
Die eigene Lebendigkeit und Sehnsucht wieder zu entdecken, hängt nach biblischer Auskunft an einer Inspiration (wörtlich „Einhauchung oder Beatmung“), also daran, dass wir neues Leben und Atem eigehaucht bekommen (vgl. die Schöpfungsgeschichte Gen 2,7, Joel 3,1). Daran erinnert auch das Pfingstfest, das wohl unverstandenste christliche Fest vom heiligen und heilenden Geist. Das lateinische Wort „spiritus“ bedeutet sowohl Geist wie auch Wind und Atem. Es geht um eine neue Beatmung unseres Inneren, unserer Seele, unseres womöglich matt und flach gewordenen Atemstromes. Dort, wo uns der heilige Wind anrührt, atmen wir tief ein und tief aus. Der Heilige Geist, das ist wie der Wind, der uns berührt und uns sanft über die Wangen streichelt, der uns heftig anbläst, dass wir aufwachen und in Bewegung kommen. „Komm Heiliger Geist“, heißt es in der Pfingstsequenzund löse uns aus unserer Starrheit, locke uns heraus aus den Gefängnissen unserer satten Trägheit und sende uns vom Himmel her deinen Weckruf. Weite unsere enge, kleinliche und egoistische Sichtweise, befreie unsere Seele zu Dir hin, zum Schöpfer allen wahren Lebens und zu den Menschen, für die wir verantwortlich sind.
Der Heilige Geist, das ist auch Feuerkraft und Licht, das die Dunkelheit unserer Welt und unserer Seele von innen her erleuchtet; Licht, das hell macht, was finster ist, und uns den Weg zeigt, wenn wir im Dunklen tappen, stolpern, gefallen sind oder an Abgründen uns bewegen. Die Strahlen dieses Lichtes sollen unseren Lebensweg erleuchten, damit wir weiter gehen können, besonders inmitten von Krisen und Umbrüchen, die uns herumbeuteln. Die Strahlen seines Lichtes, das vom Himmel herkommt (und nicht aus unserem Erkenntnisvermögen), soll uns neue Perspektiven eröffnen, uns die verdunkelnde Furcht und Angst nehmen, die uns blind macht für die uns innewohnende geschenkte Liebe, die unbedingt an uns glaubt und will, dass wir sind.
Howard Thurmann, amerikanischer Bürgerrechtsaktivist und Mentor von Dr. Martin Luther King jr. gibt für das Lebendigwerden noch folgende Empfehlung:
„Frage nicht, was die Welt braucht, frage dich selbst, was dich lebendig macht …und tue das; (denn) was die Welt braucht, das sind Leute, die lebendig geworden sind.“
Alles, was mich lebendig macht, belebt, inspiriert, ins Fließen bringt, könnte mich also zu meiner ur-eigenen Berufung führen.
Der Benediktiner David-Steindl-Rast hat dazu folgende grundlegende Fragen formuliert, die ich an Sie als Impuls weitergeben möchte:
Impuls:
Was würde ich wirklich gerne tun? Was bereitet mir eine tiefe und nachhaltige Freude?
Was kann ich gut? Wo bin ich gut? (worin drücke ich die Einzigartigkeit und Einmaligkeit meiner Person am besten aus? Was sind meine Talente und Begabungen?)
Welche Gelegenheit gibt mir das Leben gerade jetzt, um das zu tun, was mich mit Freude lebendig macht? Wozu lädt mich das Leben gerade jetzt ein? (um das herauszufinden, müssen wir aber anhalten und mit den Ohren des Herzens horchen und bereit sein, uns überraschen zu lassen)
Die Adventszeit hat begonnen, -eine besinnliche Zeit, die zur inneren Einkehr, Ruhe und zur Besinnung anregt- so zumindest der Wunschgedanke! Die Kinder warten auf Weihnachten und um ihnen die Wartezeit zu verkürzen, gibt es den Adventskalender, mit dem auch viele heute schon Erwachsene eine gute Kindheitserinnerung verbinden, – die kleinen Türen und die Überraschung dahinter. Wer heute einen Adventskalender kaufen will, wird überrascht sein, wieviele Adventskalender-Variationen inzwischen vorhanden sind :
24 Türen mit 24 Schmuckstücken für Damen oder 24 aromatische Kaffeekreationen oder die Version mit 24 Bio-Tees nach Ayurveda Tradition; 24 Türen mit Pralinen mit und ohne Alkohol sind ebenso erhältlich wie ein Adventskalender mit Sudoku Rätseln für eine besinnliche Adventszeit. Wer eher technisch begabt ist kann einen VW Käfer- Adventskalender bekommen, in dem Modellbausätze mitgeliefert werden, und einige freuen sich womöglich auf den Adventskalender mit ausgewählten Bierspezialitäten, oder der Adventskalender für die Küche, stellt 24 Biogewürze bereit und für kalte Winterabende gibt es den Adventkalender mit Socken. Und dies sind nur einige wenige Beispiele aus dem heute verfügbaren Adventskalendersortiment.
Nichts dagegen, wer solche Adventskalender mag und sie sich leisten kann, -aber der Sinn der Adventszeit ist damit nicht erfasst. Tatsächlich aber hat der Kommerz eine zentrale spirituelle Symbolik der Adventszeit aufgegriffen: die Tür und die Überraschung, die dahinter sein könnte.
Türen spielen in unserem Leben eine wichtige Rolle, sie eröffnen und verschließen Räume, sie markieren den Übergang zwischen drinnen und draußen, es gibt ästhetisch schöne und hässliche Türen, Türen, die sich automatisch öffnen und solche die so schwer sind, dass sie nur mit viel Kraft aufgedrückt werden können und so für manche Menschen keinen Zugang eröffnen. Für manche Türen brauchen wir den richtigen Schlüssel und es versetzt uns in ziemliche Unruhe, wenn wir den Schlüssel verlegt oder gar verloren haben. Durch Türen gehen wir hinaus oder kommen heim.
Türen haben eine wichtige seelische Bedeutung. Wolfgang Borchert hat in seinem Antikriegsroman „Draußen vor der Tür“ seine eigenen Kriegserlebnisse verarbeitet. In diesem Roman steht der Kriegsheimkehrer Beckmann freudig vor der Tür seines Elternhauses, das den Krieg unbeschadet überstanden hat. „Unser Haus steht noch! Und es hat eine Tür. Und die Tür ist für mich da…Da kommt mein Vater jeden Morgen um acht Uhr raus. Da geht er jeden Abend wieder rein. Nur sonntags nicht…jeden Tag, ein ganzes Leben. Da geht meine Mutter rein und raus. Dreimal, siebenmal, zehnmal am Tag. Jeden Tag. Ein Leben lang. Das ist unsere Tür…Der Krieg ist an dieser Tür vorbeigegangen. Er hat sie nicht eingeschlagen und nicht aus den Angeln gerissen…Und nun ist diese Tür für mich da. Für mich geht sie auf, und hinter mir geht sie zu, und dann stehe ich nicht mehr draußen. Dann bin ich zu Hause.“ (Wolfgang Borchert, Draußen vor der Tür, Hamburg 1956, 11.Auflage 2011, S.34 f.) Doch an der Tür ist das Messingschild verschwunden, auf dem seit 30 Jahren der Name Beckmann stand. Ein anderer, fremder Name steht an der Tür, das Geburtshaus von Beckmann ist inzwischen von anderen Personen besetzt. Eine gleichgültig, glatt freundliche Frau Kramer, die jetzt dort mit ihrem Ehemann wohnt, erklärt Beckmann, dass die Eltern hinausgeworfen wurden und sich daraufhin das Leben genommen haben. Am Schluss der Unterhaltung mit Frau Kramer sagt Beckmann leise, aber drohend: „Ich glaube, es ist gut, wenn sie die Tür zumachen, ganz schnell. Ganz schnell! Und schließen sie ab. Machen Sie ganz schnell ihre Türe zu, sag ich Ihnen! Machen Sie !“ Beckmann`s Erwartung nach grauenvollen Kriegsnächten endlich nach Hause in sein Elternhaus zu kommen, wird bitter enttäuscht. Die Tür öffnet sich zwar, aber ohne Einlass zu gewähren und mit dunkler Nachricht abzuweisen.
Adventliche Sehnsucht könnte man bezeichnen als das Leiden an dieser Verschlossenheit. 1622 schreibt der Jesuit Friedrich Spee in einer Zeit, wo Pest und der 30jährige Krieg wütet, das Lied „O Heiland reiß die Himmel auf“, das mit seinem Text so gar nicht in die Idylle von Weihnachtmärkten mit Glühwein und Lebkuchen passt. Im Lied von Friedrich Spee wird diese Sehnsucht zu einem leidenschaftlichen Flehen aus tiefster Not, dass der Heiland –also der, der unsere Welt und unser Leben retten soll- endlich kommen soll. Er wird dringend gebraucht, schmerzlich vermisst und soll jetzt selbst die Initiative ergreifen, wenn wir es schon nicht schaffen, die Türen zu öffnen. Die religiöse Sprache bringt zum Ausdruck, dass wir Menschen immer wieder in Situationen geraten, aus denen wir selbst uns nicht retten oder befreien können.
Advent heißt Ankunft und ist die Zeit der Erwartung und der Sehnsucht – Sehnsucht, dass Rettung, Trost, und Heilung geschieht, dass wir endlich heimkommen und ankommen bei uns selbst, dass eine erlösenden Botschaft, die besonders Menschen wie „Beckmann“, und ganz konkret die vielen Flüchtlinge und Kriegstraumatisierten dieser Welt, hörbar wird. Advent ist die Sehnsucht nach dem Erlöser selbst, dem wir die Türen unseres Herzens aufschließen sollen, womöglich auch dadurch, dass wir andere Menschen bei uns ankommen und heimkommen lassen.
Impuls:
Lesen Sie in der Adventszeit Borchert`s Roman „Draußen vor der Tür“
Meditieren und singen Sie Friedrich Spee`s Lied „O Heiland reiß die Himmel auf“
Wem kann ich die Türen meines Herzen`s oder meines Hauses (wieder) öffnen?
„Das Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden…Wer Du spricht, hat kein etwas zum Gegenstand..Wer Du spricht, hat kein etwas, hat nichts. Aber er steht in Beziehung…..Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Martin Buber, Das dialogischen Prinzip Du – ein Zauberwort, das nicht auf die zwischenmenschliche Begegnung beschränkt ist, sondern in aller echten Weltbegegnung waltet. Lesen Sie das Dudele von Martin Buber
All diese Worte sagen etwas von der Unnahbarkeit Gottes, von seiner abgründigen Fremde und Dunkelheit, von seiner Geschiedenheit vom Geschaffenen, von seiner unendlichen Tiefe, die dem Erkunden entzogen ist und der Mensch darin, scheint der Rede nicht wert..da wird ein Gott vorgestellt, der nicht lieb, nicht nah, nicht als barmherzigen Gott sich unserem Vorstellen eröffnet…angesichts solcher überwältigender Erfahrung, sagt der Profet Jesaja nur: „Weh mir, ich vergehe“
Echter Friede wird allein aus dem Unfrieden der Läuterung im Gedränge geboren“, meint der Mystiker Johannes Tauler. Ich verstehe das so: vor der Bedrängnis des Lebens und der Seele, vor den damit verbundenen Leiden, zu flüchten, nützt nichts.Eher geht es darum in Geduld das Dunkle und Leidvolle auszuhalten, ihm nicht auszuweichen und darauf zu vertrauen, dass wir hindurch geführt werden in eine größere, geistige Weite und Reife und dort uns auch tieferer Friede erwartet. Tiefenpsychologen würden wohl von Schattenarbeit sprechen, der im Rahmen der Individuation unabdingbaren Auseinandersetzung mit den ungeliebten und verdrängten Anteilen der eigenen Seele.
Aufstieg und Abstieg
Aufstieg und Abstieg: Der wahre Aufstieg scheint mit einem Abstieg zu tun haben in die Niederungen der eigenen Seele
Auf-und Abstieg, Acryl auf Leinwand
Wo das aufgeblähte Ego geplatzt ist und der Mensch die „Null“ kennenlernt, und mit seinen Schattenseiten konfrontiert wird, ist die Chance grundlegend neu anzufangen. „Die Demut ist die Kraft mit der der Mensch durch eine grundlegende Erkenntnis seiner selbst in seinen eigenen Augen gering wird“ sagt Bernhard von Clairvaux und Benedikt von Nursia formuliert: „Lasst uns den höchsten Gipfel des Niedrigwerdens ersteigen, und wenn wir ganz unten sind, haben wir, die höchste Himmelshöhe erreicht.“ Anders als der Zeitgeist ermuntern uns diese Mystiker, die Blickrichtung zu wechseln und statt sich nach „oben“ in Richtung Karriere, Wichtigkeit…zu bewegen, hinabzusteigen in die Abgründe der eigenen Seele und dort dem wahren Selbst zu begegnen.
Der Engel, der dich durch deine Angst hindurch führt Acryl auf Leinwand
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen die sich über die Dinge ziehen Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen aber versuchen will ich ihn.“ Rainer Maria Rilke, aus dem: Stundenbuch
Zutritt verboten? Oder: Wo ist hier der Eingang?? Wirkliche Öffnungen geschehen und können nicht gemacht werden mit dem Willen oder durch ein bestimmte Strategie.
„Die Ros ist ohne warum, sie blühet, weil sie blühet, acht nicht ihrer selbst, und darum, ob man sie siehet. Angelus Silesius, aus: der Cherubinische Wandersmann
Im Winter wachsen in unserer Gegend nur innere Blumen, aber warum sollte das innere Wachsen weniger Pflege bedürfen als das Äußere? Der Geist von Weihnachten sagt ja auch, dass in uns Abgestorbenes neu verlebendigt werden soll. „…und hat ein Blümlein bracht mitten im kalten Winter…mit seinem hellen Scheine vertreibts die Finsternis.“
Der Mensch als Bewahrer der Schöpfung, unseres gemeinsamen Lebenshauses und als fürsorglicher Hüter seiner Schwestern und Brüder.
Sterndeuter, Acryl auf Leinwand
Sie schauen in die Nacht, erforschen die Sterne, Menschen, die nach innen schauen, und den Ahnungen ihres Herzens folgen, sie folgen einem Stern, der sie in eine unbedeutende Provinz, in ein Kaff namens Bethlehem führt, sie ahnen, dass in den vernachlässigten Teilen ihrer Seele, das Ziel ihrer Suche und Reise zu finden ist. Ihre Füße liefen nach Bethlehem, ihr Herz aber zu Gott.
„Brich auf, mein Herz und wandre! Es leuchtet der Stern. Viel kannst du nicht mitnehmen auf den Weg. Und viel geht dir unterwegs verloren.Laß es fahren. Gold der Liebe, Weihrauch der Sehnsucht, Myrrhe der Schmerzen hast du ja bei dir. Er wird sie annehmen. Denn du wirst ihn finden“ ( Karl Rahner)
„ Nacht ist es nun: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.“ Friedrich Nietzsche, also sprach Zarathustra, Reclam Ausgabe, S.97
Zukunft- wohin gehen wir? „Immer nach Hause“ , Novalis“Lenke du und wende Dir in die Hände sei Anfang und Ende sei alles gelegt“ Eduard Mörike
Von den Sternen kommend Sehnsucht, lat. desiderium, de sidera, von den Sternen, ein Ahnung in uns, dass wir nicht ganz von dieser Erde stammen
„Ex utero ante luciferum te genui“
Wenn wir den lateinischen Urtext der Mitternachtsmesse hören: Ex utero ante luciferum te genui“, was übersetzt bedeutet“ Ich habe dich vor dem Lichtgestirn aus dem Uterus ( Urschoß) gezeugt, dann spüren wir, dass Weihnachten mehr ist als das Warten auf das Jesuskind, sondern das Hereinbrechen einer atemberaubenden Wirklichkeit Gottes, die nicht erst mit dem historischen Jesus begann, sondern mit dem ewigen Christus ( Logos)zu tun hat am Beginn der Schöpfung, die geschehen ist und immer neu geschieht in den unermesslichen Weiten des Kosmos und in uns selbst. Weihnachten handelt auch von einem kosmischen Ereignis, einem metaphysischen Urknall vor dem physischen Urknall. Weihnachten ist zuallererst der überwältigende Lichteinbruch vom Himmel, die unfassbare Wirklichkeit Gottes und sein Abstieg in unsere Abgründe und reicht weit tiefer als das Brauchtum einer romantisierten heiligen Familie in einer Stallunterkunft. Es geht um etwas Gewaltigeres und Aufschreckendes, was schon Maria, Josef und die Hirten in der Weihnachtsgeschichte erlebten.
Oft denken wir bei Dunkelheit nur an etwas Negatives. Aber es gibt auch die bergende Dunkelheit, die uns schützt vor dem überhellen , grellen und blendenden Licht, das uns in die Irre führen kann. Dunkelheit- das ist auch die schützende Höhle des Uterus, in dem neues Leben heranwächst, das ist auch die dunkle Erde, in welcher der Same zur Pflanze und Blume heranwächst, Dunkelheit das ist auch der Raum , in welchem Träume Visionen auftauchen, sobald das helle Tagbewusstsein heruntergedimmt ist. In der Dunkelheit werden wir empfänglich für Inspirationen und für Gott. Auf dem Berg Tabor geraten die Jünger Jesu in eine dunkle Wolke, aus der heraus Gott zu ihnen spricht (Lukas 9, 34) In der Weihnachtsliturgie heißt es: Ex utero ante luciferum te genui, deutsch: Ich habe dich vor dem Lichtgestirn aus dem Mutterschoß gezeugt. Gott zeugt und gebiert Gott, ein kosmisches Geschehen…eine verborgene Geburt, die im Dunkel der verborgenen, unbekannten Gottheit geschieht, wie es Johannes Tauler ( 1300 – 1361) formuliert hat.
Advent
„Laßt euch nicht verwirren und erschrecken“- Nada te turbe, Nada te espante,( Teresa von Avila) es leuchtet uns ein Licht, das keine Macht der Welt auslöschen kann, auch wenn wir es vielleicht nicht sehen, weil unsere Augen blind sind von Trauer, Enttäuschungen oder Verlusten….“ solo Dios, Basta“
O Clavis, deutsch Oh Schlüssel (kleine Installation)
Im Advent gibt es in der Liturgie die sogenannten O- Aniphonen. die sieben lateinischen Worte, ergeben sich aus der lateinischen Ankündigung des Heilands sieben Tage vor Weihnachten: „Ero cras“, also deutsch: „morgen werde ich da sein“ und zwar rückwärts gelesen: s für sapientia= Weisheit …und c für clavis ( vgl. Jesaja 22, 22), was Schlüssel bedeutet und ein Ruf des Staunens und der Bewunderung für den erwarteten Heiland sein soll. Für uns könnte der Ruf “ oh Schlüssel“ die Frage stellen: Was ist mein Schlüssel oder mein Passwort zu einem erfüllten Leben, das Sinn und Tiefe hat? Inwiefern könnte das Leben Jesu Modellcharakter für mein ureigenes Leben sein, welchen Schlüssel bietet er mir an und was könnte mich hinter der geöffneten Tür erwarten, was anders ist als bisher.
Heute möchte an all jene erinnern und an die denken, die in diesem Jahr durch die Pandemie einen lieben Menschen verloren haben und an alle Trauernden. Mögen sie Trost erfahren und Heilung der Seelenwunden!
Erleuchtungen
Das Licht der Liebe löst die Erstarrung und Verhärtung und nimmt den Druck. Wenn Dir kein menschliches Gegenüber diese Liebe schenkt, glaub dran, dass du von Gott mit „unendlicher Liebe“ geliebt bist (Jer 31)
„Ach
dass mein Sinn ein Abgrund wär, und meine Seel ein weites Meer, dass ich Dich möchte
fassen….“
Paul Gerhard, im Lied : Ich steh an deiner Krippe
hier
Abgrundtief führt uns der Anblick des
Jesuskindes in den Abgrund von Gottes Liebe, für die es keine Guten und Bösen
gibt, sondern
nur unendlich Geliebte.
Oder etwas einfacher gesagt: Gott liebt die
Guten, dass sie gut bleiben und er liebt die Bösen, dass sie gut werden.
Vergesst den Stern nicht, der uns dorthin führt, wo Rettung und Heil ist, und wir uns selbst wiederfinden.
„Alles
was aufgedeckt ist, wird vom Licht erleuchtet. Alles Erleuchtete aber ist
Licht. Deshalb heißt es: Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den
Toten..“ ( Epheser 5, 13-14)
Alles, was in uns erleuchtet und heil geworden
ist, strahlt aus und kann andere wärmen, aber genauso können unsere
Dunkelheiten, das Unerlöste, Unheile, die Verletzungen, die uns böse machen,
uns selbst und andere runterziehen.
Der Advent ist auch die Zeit, in der wir unsere
Wunden und Verdrängungen für das heilende Licht Gottes öffnen können.
„Herr rette mich, ich gehe zugrunde“ Ein Stoßgebet für alle, denen das Wasser bis zum Hals steht.
Das
innere Feuer brennt noch!
Wofür brennst du?
Wer
wach durch den Advent geht, begegnet nicht nur dem Licht, sondern auch den
Dunkelheiten, den Enttäuschungen des Lebens, den Enttäuschungen über sich
selbst, in der Beziehung oder im Beruf. Vieles kommt darauf an, sich selbst zu
verzeihen und darauf zu vertrauen, dass mir „von oben“ schon vergeben
worden ist. Ich hoffe auf eine letzte Güte des Lebens, die ich uns allen
wünsche.
„Auf- werde Licht!“, sagt mir Gottes Licht. Und wer Sein Licht anderen schenkt, erlebt selbst das wahre Licht. Sein Licht ist da, aber wir müssen uns dafür öffnen. „Arise and become light!“ Jesaja 60, 1
Oft
muss es dunkel werden, dass ich nach dem Licht Ausschau halte. Das Licht, das
über uns ist, leuchtet uns oft erst ein, wenn es in unserer Seele dunkel ist,
so wie wir die Sterne erst in der Nacht sehen.( frei nach Elmar Gruber)
Auf dem
Weg zum Licht begegnen wir immer auch den Dunkelheiten, nicht nur um uns herum,
sondern auch denen unseres eigenen Herzens,- unseren Aggressionen, unserem
Hass, unserer Unfähigkeit uns selbst und andere anzunehmen…-, im Adventslied
„Macht hoch die Tür“ geht es darum, die Türen unseres Herzens zu
öffnen, damit der Heiland einkehrt, uns besänftigt, innerlich befriedet und
unsere Zerissenheit eint.
Adventsimpuls: Meditation mit dem Atem, sage die Sätze im Atemrhythmus: My deepest Me is: LOVE WHOLE LIMITLESS INFINITE COMPASSION SACRED MYSTERY FORGIVENESS BEAUTY GOD ( Mein tiefstes Selbst ist/ in der Tiefe meines Selbst bin ich: Liebe/Ganzheit/Grenzenlosigkeit/Unbegrenztheit/Mitgefühl/Heiligkeit/ Geheimnis/Vergebung/Schönheit/Gott…) Ich öffne mein Herz und höre! ( Gefunden beim Center for Action and contemplation, gegründet von Richard Rohr)
Advent Das Wort Advent kommt nicht nur vom lateinischen Adventus, also Ankunft, sondern hat auch einen Bezug zum altdeutschen aventiure, Engl. adventure, also Abenteuer. Die Adventszeit als Abenteuerreise der Seele. Eine solche hat womöglich jetzt wo die Ablenkungsmöglichkeiten geringer sind, eine größere Chance. Was wäre zu tun? Vielleicht erst einmal eine Kerze anzünden und mit dem Horchen beginnen.
My Lord God I have no Idea where I am going I do not see the road ahead of me. I cannot know for certain Where it will end. Nor do I really know myself….
Thomas Merton, in: Thougts in solitude
„Wofür bin ich hier?…Die einzig befriedigende Antwort ist “ für nichts“. ich bin hier umsonst, ohne einen besonderen Zweck, ohne einen besonderen Plan“ Thomas Merton, Tagebücher Ich verstehe die Sätze des amerikanischenTrappistenmönches (1915-1968) so, dass Menschsein mehr ist als eine bloße Funktion zu erfüllen und eine Rolle zu spielen, es ist umsonst, im Sinne von gratis ( nicht „umsonst“ im Sinn von vergeblich) Wer dieses „umsonst“ des Lebens in seiner Tiefe erfährt, ist frei und befreit aus den Einschnürungen des Leistungs- und Nützlichkeitsdenkens. Liebe ist nutzlos, der Tod ist nutzlos..
Krippe und Kreuz, Entwurf Acryl auf Leinwand
„Aber
wenn sich unsere nackten Hände sammelten, unsere Millionen Herzen zusammen
täten. Wenn sich unsere Stimmen vereinigten, welcher Winter könnte da
widerstehen?“
Aus dem Liedtext „Si“ der französischen
Sängerin ZAZ.
Tolles Lied, anhören lohnt sich.
EINMAL da hörte ich ihn, Da wusch er die Welt, ungesehen, nachtlang, wirklich. Eins und Unendlich, vernichtet, ichten.
Licht war. Rettung.
In memoriam Paul Celan, der jetzt hundert Jahre geworden wäre. Der jüdische Lyriker aus der Bukowina setzt dem Grauen der Vernichtung von Ausschwitz eine gebrochene Hoffnung entgegen: Licht war. Rettung. Es ist die Hoffnung auf eine rettende Macht, die in diesem Gedicht aus dem Zyklus „Atemwende“ zur Sprache kommt.
„Der Leiermann“ aus dem Liederzyklus der Winterreise von Franz Schubert “ Und er lässt es gehen, alles wie es will…“
Der Text: Drüben hinter′m Dorfe
Steht ein Leiermann, Und mit starren Fingern Dreht er was er kann Barfuß auf dem Eise Schwankt er hin und her;
Und sein kleiner Teller Bleibt ihm immer leer. Keiner mag ihn hören, Keiner sieht ihn an; Und die Hunde brummen Um den alten Mann. Und er läßt es gehen Alles, wie es will, Dreht, und seine Leier Steht ihm nimmer still.
Ungeheuerlich-manches im Leben!
Formen- und Farbenexperiment (Acryl auf
Leinwand)
Das Leben stellt uns immer wieder vor Hindernisse
und Probleme, für welche wir eine Lösung finden müssen, oder Entscheidungen,
die wir so oder anders treffen können. Die Leinwand ist ein Modell für unser
Handeln und Entscheiden im Alltag, ein Spiegel für unseren Mut, Neues zu wagen
oder unser Sicherheitsbedürfnis, für unsere Sehnsucht nach Ordnung und Klarheit
oder unser Bedürfnis Strukturiertes ins Chaos aufzulösen, auf die Bewegungen
unserer Seele zu hören oder sich äußerlichen Vorgaben und Normen zu unterwerfen.
Malerei ist ein Experimentierfeld für das Leben
und das Leben selbst, sobald in deinem Bild deine Seele auftaucht.
„…Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst…Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“ Johannes Prolog 1,5
„Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort, o Gott, vom Himmel herab.“
(aus dem Buch der Weisheit)
„Ex utero ante luciferum te genui“ (Inroitus aus der Mitternachtsmesse)/ „Ich habe dich vor dem Lichtgestirn aus dem Uterus gezeugt“
Das beschreibt einen metaphysischen Urknall noch vor dem physischen, etwas Atemberaubendes und Umwerfendes, das in den Weiten des Kosmos geschah und geschieht und in unserem Inneren, auch heute.
Immer ein Lichtlein mehr im Kranz, den wir gewunden, dass er leuchte uns so sehr durch die dunklen Stunden.
Zwei und drei und dann vier! Rund um den Kranz welch ein Schimmer, und so leuchten auch wir, und so leuchtet das Zimmer.
Und so leuchtet die Welt langsam der Weihnacht entgegen. Und der in Händen sie hält, weiß um den Segen!
Das Gedicht „Lied im Advent“ stammt von Matthias Claudius, der von 1740 -1815 gelebt hat. Der Dichter ist vielen von uns bekannt durch den Text des Liedes „Der Mond ist aufgegangen“(Abendlied). Das Gedicht „Lied im Advent“ nimmt Bezug auf den Adventskranz, und die vier Kerzen, die nach und nach angezündet werden. Durch das Licht der Kerzen werden nicht nur Räume erhellt, sondern wir selbst. Von diesem sich nach außen und innen ausbreitenden Licht, das schließlich die ganze Welt erleuchtet, geht ein Segen aus, der uns zum Sinn von Weihnachten führt.
Dieses Licht – so die erste Strophe des Gedichtes- will uns in und auch durch die dunklen Stunden leuchten. Wer denkt bei dunklen Stunden nicht gleich an all das Bedrückende, das von Corona ausgeht: Krankheit, Tod, Kontaktsperre, wirtschaftlicher und finanzieller Ruin. Aber auch die anderen Dunkelheiten bleiben: Migration, Flucht, Einsamkeit alter Menschen, die Klimakrise, die Ungerechtigkeit, die kleinen und großen Sorgen von uns allen, der Rucksack, den jede und jeder zu tragen hat, wenn gleich in unterschiedlicher Weise. „Es gibt kein Dach ohne Ach“, sagt ein altes Sprichwort.
Es macht etwas mit uns, wenn wir eine Kerze anzünden: Manche zünden eine Kerze an, um still zu werden, oder wir entzünden eine Kerze für einen Menschen, an den wir besonders denken, weil er einsam ist, oder krank oder in einer Krise steckt, manche zünden eine Kerze an für ihre verstorbenen Angehörigen, wieder andere, um zu beten und das Licht wird zum Zeichen für Gott. Der Kerzenschein beruhigt, wärmt, und vorallem erhellt er die Dunkelheit. Das Licht einer Kerze wird umso stärker wahrgenommen, je dunkler es ist;
Das Licht auf dem Adventskranz ist kein Licht- so deutet es auch das Gedicht an-, dass uns in eine selige, aber weltfremde Sonderstimmung führen will, die mit unserem konkreten Alltag nichts zu tun hat. Für mich ist es ein Hoffnungslicht, das besonders in die Dunkelheiten unseres Lebens hineinleuchtet; ein Hoffnungslicht, das die Nacht unserer Seele und die Nacht der Welt nicht auszulöschen vermag. Wo Licht und Dunkelheit sich begegnen, kommt immer Licht in die Dunkelheit, niemals Dunkelheit ins Licht.“ (Elmar Gruber)
Ein Licht, das allen Kitsch, alle Oberflächlichkeit, auch die Vergänglichkeit der Zeit, der wir an Weihnachten begegnen, überdauert; ein Licht, das in die Zerbrechlichkeit des Lebens heilend hineinströmt, wenn wir unsere Herzenstüren dafür öffnen. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit..“, heißt es in einem bekannten Adventslied. Nach dem Licht Gottes sehnen wir uns umso mehr, je dunkler, betrübter oder gefährdeter die eigene Seele ist. Schon immer waren die dunklen Zeiten die Bewährungsproben für den Glauben und die Hoffnung auf eine rettende Macht.
Für Christen ist dieses Licht in besonderer Weise angezündet mit der Geburt Jesu Christi, ein Licht, das kein Kreuz und keine Macht der Welt auslöschen kann: ewiges Licht, Hoffnungslicht, Liebeslicht, das uns wärmen will in kalten und winterlichen Tagen. Geschenktes Licht, das auch mit dem Auftrag verbunden ist, andere zu wärmen und in die Dunkelheit zu leuchten.
Impuls:
Entzünden Sie eine Kerze (z.B.) des Adventskranzes. Genießen Sie die Stille und das stille, warme Licht. Stellen Sie sich vor, dass es die Liebe von Gott ist, die ihr Herz wärmen will.
Lesen Sie das Gedicht von Matthias Claudius und lassen es auf sich wirken. Was löst es aus?
Vielleicht fällt Ihnen ein jemand ein , dem Sie eine Freude bereiten wollen (mit einem Anruf, einem kleinen Geschenk, einer Karte..)
Einige biblische Stellen zum Licht: Jesaja 60, 1-2, 2.Kor 4,4ff, Jesaja 58,7-10
Licht-Hoffnungslicht -Liebeslicht-Weihnachtslicht-Licht in der Nacht -Licht am Ende des Tunnels- Christbaumlicht-Sternenlicht- Mondlicht- Sonnenlicht- Tageslicht- Abendlicht-Lichtstrahl- Licht in der Finsternis- „Ich bin das Licht der Welt“- Irrlicht- flackerndes Licht- Feuerlicht- „Es werde Licht“- Glaubenslicht- Himmelslicht- „es wurde Licht“-Licht durch den Riss- Osterlicht- Lichtglanz- Scheinwerferlicht- Neonlicht- Rücklicht- Nebellicht- Stadionlicht- Wohnzimmerlicht-Lichtpartikel- „Licht des großen Königs“- umkleidet von Licht-hervorbrechendes Licht-Lichtsäule- Morgenlicht- künstliches Licht- Kerzenlicht-Seelenlicht- Lichtfunke- „gefrorenes Licht“- ausgelöschtes Licht- Lebenslicht-„denn dein Licht kommt“- „zu deinem Lichte ziehen“-Lichtglanz Gottes- „das wahre Licht kommt in die Welt“- „das Leben war das Licht der Menschen“-Licht, Licht, Licht…..
Es gibt adventliche Momente im Leben, die sich wie Fegefeuer anfühlen, weil man plötzlich Durchblick bekommt. Da gehen uns die Augen auf und es fällt wie Schuppen von den Augen: wir sehen unseren Schwächen, Fehler, all das Zerbrochene, all das, was nicht geklappt hat im Leben, die gescheiterten Bemühungen, und wir spüren den Riss, der sich durch unseren Körper und unsere Seele zieht. Wir spüren den Schmerz über das erlebte Böse, und auch das Böse und Erniedrigende, das wir anderen angetan haben, die vorschnellen Verurteilungen anderer, die ganze Schuldhaftigkeit des eigenen Handelns. Wir sehen im Licht den dunklen Schatten, der in unserem Leben mitgezogen ist, und sogar im scheinbar Guten noch anwesend war. Die Düsternis, die Verwirrung, der Zweifel, die Faulheit und Trägheit für die gute Wahl und die gute Entscheidungen, die Enttäuschungen und Selbsttäuschungen, die Illusionen und Fehleinschätzungen unseres Lebens werden evident. Es gehen uns wie im Fegefeuer die Augen auf für unsere ganze Sündhaftigkeit, und die immer unzureichend bleibenden Versuche, sich heraus zu reden aus echter Schuld, sich als Opfer der Umstände zu präsentieren, sich etwas schönzureden und die Schuld auf andere abzuwälzen….. es bleibt mit den geöffneten Augen ein unabwendbarer Schmerz, über das ungelebte und verpasste Leben, über das falsche Selbst mit seiner Unaufrichtigkeit, Falschheit und Verlogenheit, über den Verrat an der Wahrheit. Der Schmerz über die Verschmutzung der eigenen Seele mit Giftstoffen und geistigem Müll. Der Schmerz steigt auf über den Sieg des Mißtrauens über das Vertrauen. Wir sehen unserem falschen Selbst in die Augen, das sich wichtig machen musste, das siegen und triumphieren wollte , das besser sein wollte als andere- die ganze Selbstdarstellung und Wichtigtuerei aus Angst, nichts wert zu sein, aus einem Mangel am Glauben, geliebt zu sein. Es gehen die Augen auf über den Verrat, nicht nur am eigenen wahren Selbst, sondern über den Verrat an der Liebe für andere, an der Empathie, am Mitgefühl.
Und dann der Schmerz darüber, sich mehr genommen zu haben als man nötig hatte auf Kosten anderer, die das Leben begleitende Gier, zu kurz zu kommen wird sichtbar. Und dann die Scham darüber ungeduldig, unbeherrscht, willkürlich, tyrannisch den Wilen zur Macht gesucht zu haben und dabei andere entmutigt und niedergedrückt zu haben. Wir sehen in diesen adventlichen Lichtmomenten unserer Kontrollsucht in die Augen, dem Fanatischen und den Scharfrichteranteilen in unser Seele, und wir treffen im Fegefeuer unsere Sucht, unser Klammern und Festhalten an Überlebtem; wir sehen unsere Unfähigkeit, nein zu sagen, wo wir überfordert waren, zu widersprechen, wo unsere Überzeugungen zertrümmert wurden, Abstand zu nehmen, von all dem unserer Seele Übergestülptem, die Unfähigkeit die Fesseln zu lösen……, wir sehen unser ganzes Versagen, unsere Kläglichkeit, unsere Kleinheit und unser Unbedeutet-sein im großen Lauf der Weltgeschichte.
Was ist zu tun?
Die Kunst des Loslassens wird zur Kunst des Überlebens; Loslassen heißt auch vergeben, sich vergeben und vergeben lassen, sich all das vergeben, was im Leben armselig, gebrochen und unerfüllt geblieben ist, sich die falschen Selbst- und Gottesbilder vergeben, sich die Blindheit oder Starrheit vergeben, der Realität selbst vergeben, dass sie nicht anders ist als sie ist.
Fallen, loslassen, sich sinken lassen (in den grundlosen Grund) und dabei auch sich selbst vergeben, und dabei befreit werden zur Einsicht, schon immer geliebt worden zu sein („Du bist mit ewiger Liebe geliebt“, Jeremia)und zur Einsicht gelangen , dass all der Mist und die Anstrengungen sich wichtig zu machen, überflüssig waren, befreit werden vom falschen Selbst , von all den aufgeblähten wie den kleinmachenden Selbstbildern, befreit werden von den entfremdenden Systemen der Familie, der Kirche, der Gesellschaft, die uns etwas aufgezwungen haben, was nicht unser Eigenes war. Befreit werden für das unendliche Geheimnis, das Liebe ist und Liebe bewirkt. Befreit von allen Gewissheiten und falschen Selbstsicherheiten, jetzt offen genug, sich dem Strom des Lebens anzuvertrauen ohne Blockaden. „Und er läßt es gehen, alles wie es geht..“, herausgetreten aus dem falschen Selbst, aus dem Haus der Sorgen und der Verschleierungen, offen für den Himmel. Alles Vergangene vorbei sein lassen, weg, ganz weg- , die Armut, die sich nichts mehr beweisen muss, die große Leere, die alles empfangen kann, und die Gott anzieht. „Denn ich lasse dich genesen/ und heile dich von deinen Wunden (Jeremia 30, 17)
Der jüdische Philosoph Martin Buber (1878-1965) sprach davon, dass jeder Mensch danach „Ausschau“ halte, dass ihm das Ja des Seindürfens zugesprochen werde. Jeder Mensch scheint eine tiefe Sehnsucht in sich zu tragen, liebevoll und respektvoll angeschaut zu werden.
Mauritius Wilde berichtet von einer jungen Frau mit einer
sehr schwierigen Kindheit und Jugend, in der sie sehr oft übersehen und nicht
beachtet wurde. Immer wenn sie heute an dieser frühen Wunde des Übersehenwerdens
leidet, geht sie zu einem Freund, der sie kurz anschaut. Schon ein kurzer Blick
und Moment des Angeschaut-werdens sei für sie sehr heilsam geworden. Aber sie
musste sich zuvor dieses Bedürfnis erst eingestehen.(vgl. Mauritius Wilde,
Respekt, Die Kunst der gegenseitigen Wertschätzung, Münsterschwarzach2009, 2.
Aufl. 2010, S.23)
Der australische Psychologe Marc Dadds fand in Versuchsreihen mit schwer gestörten Jugendlichen, die als brutal, kalt und gefühllos auffällig geworden waren, heraus, dass jene erstmals in ihrem Leben Empathie entwickelten, nachdem die Eltern in mehreren Sitzungen mit warmer Stimme sagten: „Ich hab dich lieb!“ und ihnen dabei in die Augen schauten. Nach mehreren Monaten waren diese Jugendlichen erstmals in der Lage Emotionen im Gesicht ihres Gegenübers zu erkennen. Die Schulung der Augen regt anscheinend das Mitgefühl an, indem sie das Individuum befähigen, im Anschauen des anderen Individuums, sich in jenes hinein zu versetzen.(vgl. dazu auch die Bücher über Spiegelneuronen, z.B. von J. Bauer) Wichtige emotionale Botschaften werden über Blicke und Mimik transportiert, deren Ausbleiben für die Kinder fatale Folgen haben kann. (vgl dazu: J. Röser, Das Gewissen der Augen, in CIG, Nr.50, 2012, S.564)
Wie Menschen angeschaut werden, kann sie aufbauen oder niederdrücken, lebendig machen oder zerstören. So fordern Philippe Pozzo die Borgo, – nach einem Gleitschirmunfall querschnittgelähmt- und sein Pfleger Abdel Sellou (deren Geschichte vielen durch die autobiografisch Verfilmung „Ziemlich beste Freunde“ bekannt wurde) in mehreren Interviews: „Wir, die kaputten Typen (..), wir wollen nicht euer Mitleid, sondern mit anderen Augen angesehen werden, mit einem Blick, der uns als ganzen Menschen wahrnimmt. Wir sehen uns nach einem Lächeln, einem Austausch, der uns stärkt, weil er uns sagt, dass es uns gibt und dass wir wertvoll sind.“ (Di Borgo, Jean Vanier, Cherisey Laurent, Ziemlich verletzlich, ziemlich stark-Wege zu einer solidarischen Gesellschaft, München 2012, S.9)
Nicht umsonst hat Sehen auch mit Ansehen zu tun, das geschenkt oder verweigert werden kann. Viele Geschichten im Evangelium erinnern daran, dass Jesus die Kunst des heilsamen Anschauens beherrscht hat, in dem er Menschen vorurteilsfrei und jenseits religiöser oder kultureller Grenzen Ansehen und Respekt schenkte. Man denke nur an die Geschichte des als römischer Kollaborateur verachteten Zöllners Zachäus, der durch den Blick Jesu fähig wurde, sein habgieriges Leben zu verwandeln.
Die Bedeutung des Sehens und Gesehen-werdens wurde auch symbolisch in vielen Kirchen als Auge Gottes zum Ausdruck gebracht. Doch leider assoziieren – gerade ältere Menschen- im Laufe einer teils unrühmlichen Kirchengeschichte und Pastoral, damit nur den Buchhalter- und Überwachergott, der alles sieht, beobachtet, aufschreibt und mit entsprechenden Bußstrafen belegt. Der tiefere Sinn wurde damit natürlich gründlich verfehlt. Gemeint war es anders, nämlich so, dass wir unter den Augen des liebevollen, göttlichen Betrachters (so ähnlich sagt es der Mystiker Bernhard von Clairvaux) zum Frieden in uns finden und uns darin geborgen wissen.
Der Schriftsteller Peter Handke bestätigt das, wenn er schreibt: „Wenn wir uns gegenwärtig machen, dass Gott uns umfassend anschaut, wären wir alle total besänftigt.“ Und Botho Strauß, den man gewiss nicht als missionarischen Glaubenverfechter verdächtigen kann, meint dazu: „Das Vertrauen in ein umfassendes Gesehenwerden gründet in der Einheit Gottes. Ohne diese Gewissheit, Erkannte zu sein, hielten wir uns keine Sekunde aufrecht.“ (Zitate nach einem Referat von Prof. Georg Langenhorst).
Ob gläubig oder nicht, könnten uns diese unterschiedlichen
und doch verbindenden Einsichten zur Bedeutung des Sehens und Angeschautwerdens
dazu anregen, eine entsprechende Praxis in unserem jeweiligen Arbeitsbereich zu
entwickeln. Wir könnten uns dabei bemühen, – und viele in unserem Haus tun das
aus einem natürlichen Gespür heraus sowieso schon-, einander Ansehen zu schenken.
Das lateinische Wort für Respekt „ respicere“ hat nicht umsonst mit sehen und
(noch einmal hinschauen) zu tun; dazu an andere Stelle mehr.
Vor einigen Tagen hat das neue Jahr begonnen, womöglich auch für Sie ein Ansporn einiges neu anzufangen und anzupacken.
Viele Neuanfänge in unserem Leben sind mit Erwartungen und Verheißungen, mit einem Hauch von Neugeburt verknüpft: eine neue berufliche Stelle, eine eigene Wohnung , eine neue Wohngruppe, eine neue Schule, frisch verliebt, Hochzeit, die Geburt eines Kindes. Viele junge Paare, die ihr erstes Kind freudig erwarten, spüren besonders deutlich: mit dem neuen Leben wird auch unsere Beziehung, unsere Seele, unser eigenes „Innen-sein“ noch einmal neu beginnen und sich erneuern, gerade so als würde mit jedem(!) Kind die Welt noch einmal von vorne beginnen wollen..
Neu anfangen können wir auch nach überstandener Krankheit oder nach einer Phase, wo wir meinten, dass nichts mehr stimmt und geht. Auch diejenigen unter uns, die ein Unfall oder ein Schlaganfall aus dem bisherigen Leben gerissen hat, müssen gänzlich neu anfangen, neu mit sich selbst und ihrem Leben vertraut werden, es annehmen wie es jetzt entgegenkommt.
Neu anfangen können bedeutet aber auch: Ich bin nicht auf die Vergangenheit und das Bisherige meines Lebens festgelegt. Ich habe die Chance auf eine noch nicht dagewesene Zukunft. Ich spüre frischen Wind im grauen Einerlei meines Alltagstrottes und meiner Gewohnheiten. Zuweilen ist es für einen Neuanfang notwendig, Altlasten abzulegen, Illusionen los zu lassen, Beziehungen zu klären.
Dynamis -Acryl auf Leinwand
Neuanfangen kann ich auch in den Beziehungen, wenn ich merke, das dieser oder jener Mensch, mein Partner, meine Partnerin im Laufe der Jahre ganz anders geworden ist und das Gewohnte gesprengt hat. Dies verlangt den Anderen in seinem Anderssein zu akzeptieren und anzunehmen. „Du sollst Dir kein Bildnis machen“, heißt die biblische Weisung.
Und auch mit mir selbst, dem sich das Leben immer wieder anders zumutet, muss ich ja immer wieder neu anfangen. Dies gilt auch für meinen Glauben und meine Überzeugungen, weil sich zum Beispiel alte Gottesbilder aufgelöst haben und nicht mehr tragen. Und womöglich ist es der wahre Gott in seinem Anderssein, der mich als Pilger oder Nomade auf einen ungesicherten Weg schickt, mich immer wieder neu anfrägt und aufbricht.
Impuls:
Zu jedem Neuanfang, der mehr ist als eine kleine äußerliche Veränderung des Bisherigen, muss ich hinausschauen über meinen begrenzten Alltagshorizont, der mir vielleicht wenig Spielräume lässt. Ich könnte ja- ähnlich den Sterndeutern in der Bibel- in einer sternenklaren Nacht zum Himmel schauen, meinen Blick weiten in die unvorstellbaren Räume unseres Kosmos, in die unendlichen Dimensionen der Galaxien, und dies auf mich wirken lassen. Womöglich beginne ich nach letzten Zusammenhängen zu fragen, die meinem Leben Halt, Sinn und Hoffnung geben. Es stellt sich dabei vielleicht die Frage, ob ich mein Leben in einem größeren Sinnkontext verstehe (also ob ich von einer größeren Macht gewollt und bejaht bin) oder ob ich nur ein Zufallsprodukt in einem wie auch immer gearteten kosmischen Prozess bin.
Bald schon steht Weihnachten und das Weihnachtsfest wieder vor der Tür. Für das Weihnachtsfest wird hergerichtet, eingekauft, und geplant, was durchaus sinnvoll ist; aber ganz ehrlich, dass ein Fest schön, erfüllend und glücklich machend wird, ist bei bester Planung nicht garantiert. Nicht selten führen sogar die Übererwartungen an diesem Tag zu Streit, Dissonanzen und Unfrieden.
Vor einigen Jahre sah ich in einer Kirche eine Krippendarstellung, die mich erstaunte: eine leere Krippe, daneben ein Korb mit etwas Stroh darin, sonst nichts. Nichts von all dem, was sonst auf der göttlichen Bühne aufgebaut ist: kein Kind, keine Maria, kein Josef, kein Ochs und kein Esel, keine Schafe, keine Hirten und keine schwebenden Engel und auch keine stimmungsvolle Hintergrundmusik. Nur eine leere Krippe, die keinen Anlass gab zum Schwelgen in Kindheitserinnerungen.
Nackt, kahl, verloren stand sie da, diese Krippe aus Holz, vor der grauen Betonwanddieser modernen Kirche. Keines der sonst auftauchenden Gefühle von Wohligkeit und Harmonie wollten sich einstellen. Eine karge, von allen sentimentalen Äußerungen und Wunschphantasien abgespeckte, Weihnachtsdarstellung. Die bekannten Bilder und Vorstellungen waren weitgehend weggenommen. Was mir ins Auge fiel, war die zwischen den Krippenhölzern auftauchende Leere und das Bewusstsein, dass da etwas fehlt.
Was ist das für eine Leere? Eine Leere, die symbolisch die Verlorenheit des Menschen in einem riesigen unpersönlichen Kosmos andeutet? Eine Leere angesichts des Gottesverlustes, von der schon der Philosoph Friedrich Nietzsche in seinem 1882 erschienen Buch von der „Fröhlichen Wissenschaft“ sprach: „Wohin ist Gott? Ich will es euch sagen: Wir haben ihn getötet-ihr und ich…Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen?….Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?“ (Friedrich Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. 3, München 1980, 480-482)
Oder ist es eine Leere in mir, die zwar spürt, dass die alten Bilder und Sprachspiele für Gott nicht mehr recht taugen, aber die voller Sehnsucht darauf wartet und daran glaubt, dass diese Leere gefüllt werden wird, wenngleich anders als wir es womöglich erwarten oder zu wissen glauben.
Eine zentrale Einsicht, welche uns das Leben und auch die Bibel vermittelt, besteht darin, dass wir das Wesentliche des Lebens nicht selbst machen können. Liebe und Geborgenheit können wir nicht kaufen, inneren Frieden nicht herstellen, Verzeihung nicht erzwingen, Hoffnung nicht selbst erzeugen, innere Wandlung nicht bewerkstelligen, solange wir alles im Griff und unter Kontrolle haben wollen, wird die Krippe leer bleiben; denn das Wesentliche des Lebens geschieht von selbst. „Es“ überrascht uns, -ein überraschender Besuch von einem guten Freund, ein Wort, das uns im Herzen berührt, ein Brief, der unsere Seele weckt, ein Stolpern auf dem selbst geplanten Weg…- und plötzlich sind die die Augen offen und wir „sehen“: das „Kind in der Krippe“.
(Geburt, Acryl auf Leinwand, 60 x 60cm, von Gustav Schädlich-Buter)
Was wir selber tun können ist die Krippe bereitstellen, mit etwas Stroh daneben, uns empfangsbereit halten, innehalten, das Lauschen mitten im Lärm wieder erlernen, auf den Atem achten, der uns am Leben erhält. Unseren Geist leer machen von überflüssigem Ballast und Scheinwissen, dass Platz wird für den wahren Gott oder die unsagbare Mitte unseres Lebens. So empfiehlt der Barockdichter und Mystiker Angelus Silesius, der im 17. Jahrhundert gelebt hat, uns geschäftigen, gehetzten, unruhigen, überbeanspruchten Zeitgenossen:
„Halt an, wo läufst du hin – der Himmel ist in dir! Suchst du Gott anderswo. Du fehlst ihn für und für. Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.“
Kosmischer Geburtskanal, Acryl auf Leinwand
Und das scheint die Botschaft dieser leeren Krippe zu sein, die nicht außerhalb von uns irgendwo steht, sondern in unserem Herzen: Weihnachten geschieht! Das Wesentliche unseres Lebens geschieht- und nicht selten an Orten, wo wir es nicht erwartet hätten. Lassen wir uns überraschen!
Christian Lehnert, Cherubinischer Staub- Gedichte , Berlin 2018 (sehr empfehlenswert; Christian Lehnert nimmt in seinem Lyrikbuch „Cherubinischer Staub- Gedichte “, das im Suhrkamp Verlag erschienen ist, Bezug auf die deutsche Mystik eines Angelus Silesius und Jakob Böhme)