Advent- Türen öffnen

Die Adventszeit hat begonnen, -eine besinnliche Zeit, die zur inneren Einkehr, Ruhe und zur Besinnung anregt- so zumindest der Wunschgedanke! Die Kinder warten auf Weihnachten und um ihnen die Wartezeit zu verkürzen, gibt es den Adventskalender, mit dem auch viele heute schon Erwachsene eine gute Kindheitserinnerung verbinden, – die kleinen Türen und die Überraschung dahinter. Wer heute einen Adventskalender kaufen will, wird überrascht sein, wieviele Adventskalender-Variationen inzwischen vorhanden sind :

24 Türen mit 24 Schmuckstücken für Damen oder 24 aromatische Kaffeekreationen oder die Version mit 24 Bio-Tees nach Ayurveda Tradition; 24 Türen mit Pralinen mit und ohne Alkohol sind ebenso erhältlich wie ein Adventskalender mit Sudoku Rätseln für eine besinnliche Adventszeit. Wer eher technisch begabt ist kann einen VW Käfer- Adventskalender bekommen, in dem Modellbausätze mitgeliefert werden, und einige freuen sich womöglich auf den Adventskalender mit ausgewählten Bierspezialitäten, oder der Adventskalender für die Küche, stellt 24 Biogewürze bereit und  für kalte Winterabende gibt es den Adventkalender mit Socken. Und dies sind nur einige wenige Beispiele aus dem heute verfügbaren Adventskalendersortiment.

Nichts dagegen, wer solche Adventskalender mag und sie sich leisten kann, -aber der Sinn der Adventszeit ist damit nicht erfasst. Tatsächlich aber hat der Kommerz eine zentrale spirituelle Symbolik der Adventszeit aufgegriffen: die Tür und die Überraschung, die dahinter sein könnte.

Türen spielen in unserem Leben eine wichtige Rolle, sie eröffnen und verschließen Räume, sie markieren den Übergang zwischen drinnen und draußen, es gibt ästhetisch schöne und hässliche Türen, Türen, die sich automatisch öffnen und solche die so schwer sind, dass sie nur mit viel Kraft aufgedrückt werden können und so für manche Menschen keinen Zugang eröffnen. Für manche Türen brauchen wir den richtigen Schlüssel und es versetzt uns in ziemliche Unruhe, wenn wir den Schlüssel verlegt oder gar verloren haben. Durch Türen gehen wir hinaus oder kommen heim.

Türen haben eine wichtige seelische Bedeutung. Wolfgang Borchert hat in seinem Antikriegsroman „Draußen vor der Tür“ seine eigenen Kriegserlebnisse verarbeitet. In diesem Roman steht der Kriegsheimkehrer Beckmann freudig vor der Tür seines Elternhauses, das den Krieg unbeschadet überstanden hat. „Unser Haus steht noch! Und es hat eine Tür. Und die Tür ist für mich da…Da kommt mein Vater jeden Morgen um acht Uhr raus. Da geht er jeden Abend wieder rein. Nur sonntags nicht…jeden Tag, ein ganzes Leben. Da geht meine Mutter rein und raus. Dreimal, siebenmal, zehnmal am Tag. Jeden Tag. Ein Leben lang. Das ist unsere Tür…Der Krieg ist an dieser Tür vorbeigegangen. Er hat sie nicht eingeschlagen und nicht aus den Angeln gerissen…Und nun ist diese Tür für mich da. Für mich geht sie auf, und hinter mir geht sie zu, und dann stehe ich nicht mehr draußen. Dann bin ich zu Hause.“ (Wolfgang  Borchert, Draußen vor der Tür, Hamburg 1956, 11.Auflage 2011, S.34 f.) Doch an der Tür ist das Messingschild verschwunden, auf dem seit 30 Jahren der Name Beckmann stand.  Ein  anderer, fremder Name steht an der Tür, das Geburtshaus von Beckmann ist inzwischen von anderen Personen besetzt. Eine gleichgültig,  glatt freundliche  Frau Kramer, die jetzt dort mit ihrem Ehemann wohnt, erklärt Beckmann, dass die Eltern hinausgeworfen wurden und sich daraufhin das Leben genommen haben.  Am Schluss der Unterhaltung mit Frau Kramer sagt Beckmann leise, aber drohend: „Ich glaube, es ist gut, wenn sie die Tür zumachen, ganz schnell. Ganz schnell! Und schließen sie ab.  Machen  Sie ganz schnell ihre Türe zu, sag ich Ihnen! Machen Sie !“ Beckmann`s Erwartung nach grauenvollen Kriegsnächten endlich  nach Hause in sein Elternhaus zu kommen, wird bitter enttäuscht. Die Tür öffnet sich zwar,  aber ohne Einlass zu gewähren und mit dunkler Nachricht abzuweisen.

Adventliche Sehnsucht könnte man bezeichnen als  das Leiden an dieser Verschlossenheit. 1622 schreibt der Jesuit Friedrich Spee in einer Zeit, wo Pest und der 30jährige Krieg wütet, das  Lied  „O Heiland reiß die Himmel auf“, das mit seinem Text so gar nicht in die Idylle von Weihnachtmärkten mit Glühwein und Lebkuchen passt. Im Lied von Friedrich Spee wird diese Sehnsucht  zu einem leidenschaftlichen Flehen aus tiefster Not, dass der Heiland –also der, der unsere Welt und unser Leben retten soll- endlich kommen soll. Er wird dringend gebraucht, schmerzlich vermisst und soll jetzt selbst die Initiative ergreifen, wenn wir es schon nicht schaffen, die Türen zu öffnen. Die religiöse Sprache bringt zum Ausdruck, dass wir Menschen immer wieder in Situationen geraten, aus denen wir selbst uns nicht retten oder befreien können.

Advent heißt Ankunft und ist die Zeit der Erwartung und  der Sehnsucht – Sehnsucht, dass Rettung, Trost, und Heilung geschieht, dass wir endlich heimkommen und ankommen bei uns selbst, dass eine  erlösenden Botschaft, die besonders Menschen wie „Beckmann“, und ganz konkret die vielen Flüchtlinge und Kriegstraumatisierten dieser Welt,  hörbar wird.  Advent ist die Sehnsucht nach dem Erlöser selbst, dem wir die Türen unseres Herzens aufschließen sollen, womöglich auch dadurch, dass wir andere Menschen bei uns ankommen und heimkommen lassen.

Impuls:

Lesen Sie in der Adventszeit Borchert`s Roman „Draußen vor der Tür“

Meditieren und singen Sie Friedrich Spee`s Lied „O Heiland reiß die Himmel auf“

Wem kann ich die Türen meines Herzen`s oder meines Hauses (wieder) öffnen?

Gustav Schädlich-Buter