Das Thema, das mich als christlich geprägter Seelsorger schon seit meiner Zeit als Klinikseelsorger vor über 20 Jahren bewegt, ist der zerbrechliche, verletzbare, auch traumatisierte Mensch, im Kontrast zum starken und unverwundbaren (auch medial vermittelten) „Helden“, der niemanden braucht und auf der Siegerstraße unterwegs ist. Nicht der, der ganz „oben“ ist, sondern der, der ganz „unten“ ist; der, der am Boden liegt, -verachtet, übersehen, ungeliebt-, weckt vor allem mein Interesse, weil ich glaube, dass das Christentum vorallem eine Religion ist für Menschen, die einen tiefen Riss erlebt haben und diese Menschen sich für G´tt (eine tiefere Ebene des Lebens) leichter öffnen können als jene, die sich selbst genügen.
Wir haben gerade in den letzten Jahren erfahren müssen, wie angreifbar der Mensch ist: Corona, Erdbeben, Migrant*innen, die im Meer ertrinken, Hunger und Obdachlosigkeit oder ein Krieg, der uns ganz nahegekommen ist. Aber auch Mutter Erde und das zwischenmenschliche Zusammenleben können uns Sorgen machen.
Wir können auch auf den individuellen und persönlichen Bereich schauen, auf die Belastungen und Krisen unseres eigenen Lebens: Krankheiten, Behinderung, frühe seelische Verletzungen, Traumata, Ausgeschlossensein, an den Rand gedrängt werden, Scheitern und Niederlagen im Beruf, zerbrochene Partnerschaften, nicht erfahrene Vergebung für Schuld, die uns drückt, Schwächen, Verrat….; alles Erfahrungen von Grenzen, die unsere Pläne durcheinandergebracht haben und unsere bisherigen Vorstellungen vom Leben zerbrochen haben.
Wir Menschen brauchen Heilungsräume, an denen Wunden heilen können, und sichere Orte, an denen wir Geborgenheit erleben und zu einer neuen Ganzheit zusammengefügt werden.
In der Not und Krise brauchen wir vorallem Menschen, die uns schützen annehmen, unterstützen und Halt geben. In der Krise und erlebten Dunkelheit sind solche Menschen ein Licht, um Orientierung finden in der Verwirrung der Krise oder um aus einer möglichen Sackgasse des Lebens wieder herauszufinden.
Eine „Spiritualität von unten“ sagt, dass wir gerade dann, wenn unser Ego mit seinen Kontrollwünschen am Ende ist, sich ungeahnte Horizonte eröffnen und Lichtaugenblicke, das eigene Leben aus einer neuen Perspektive erkennen lassen, vorausgesetzt, dass wir an Wandlung glauben und uns nicht resigniert verschließen. Zuvor befinden wir uns meist in einem „Schwellenraum“, in dem das „Alte“ nicht mehr gilt (und die alten Muster und Lösungsstrategien uns nicht mehr weiterhelfen), aber das „Neue“ noch nicht aufgetaucht ist. Grenzen des Lebens können so durchwachsen werden, Risse können zu Öffnungen werden. Leonhard Cohen singt im Lied Anthem: „Es ist ein Riss in allen Dingen, aber genauso kommt das Licht hinein.“
In der Not und Krise brauchen wir auch Orte, die uns guttun und an denen wir Geborgenheit erfahren oder neue Kraft schöpfen können. „Kraftorte“, die Kinder oft intuitiv finden, wenn sie sich unsicher oder verängstigt fühlen.
Und nicht zu unterschätzen ist in der Krise der Glaube an G´tt, (ein Gottesname lautet: Ich bin der „Ich -bin -da“), der uns nicht im Stich lässt in unserer Not und von dem wir uns umfänglich angenommen fühlen, angesichts aller erfahrenen Ablehnung von anderen und einem damit einhergehenden Verlust des Selbstwertes und der Scham, in den Augen der anderen nicht zu genügen.
Der Traumatherapeut und Weisheitslehrer James Finley sagt, dass die unendliche Barmherzigkeit G`ttes unaufhörlich zu den gebrochenen Stellen unseres Lebens fließt. Nichts anderes als diese unbedingte Liebe, hat die Autorität zu sagen, wer wir sind.
Impuls:
Gibt es in meinem Leben Erfahrungen, wo mitten im „Riss“ (Scheitern, Verlust, Niederlagen…) neue Hoffnung und Aussicht aufgetaucht ist?
Welche Menschen haben mich in der Krise unterstützt?
Gibt es Lieblingsplätze/Kraftorte, an denen ich in der Krise, Zuflucht finde oder Lebensenergie auftanken kann?
In dem Dokumentarfilm „Nicht ohne uns“ (Erscheinungsdatum 2017) von Sigrid Klausmann nach einer Idee von Walter Sittler, in dem Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Kontinente befragt werden, sagt der 11-jährige Enjo aus der Schweiz: „Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wieso ich in die Welt hineingeboren wurde.“
Wer darauf auch später keine Antwort findet, wird sich aller Voraussicht nach in einigen Jahre mit Lärm, Alkohol oder Internet betäuben, phantasielos und ohne Schwung seinen Job herunterreißen, mit Partner oder Partnerin angeödet vor dem Fernseher sitzen und nichts mehr Wesentliches in seinem Leben erwarten. Resignierte und abgestumpfte Menschen, die sich abgefunden haben mit den kleinen, harmlosen Wünschen und Annehmlichkeiten, und ein sogenanntes „normales“ Leben führen.
Welch trauriges Gegenbild zu der im Frühling aufbrechenden Natur, zur Wurzel- und Grünkraft der Bäume, zum Sprießen und Aufblühen der Gräser und Blumen. Haben wir uns von den Wurzeln des Lebens abgeschnitten und entfernt? Fehlen uns,- besonders uns in der westlichen Wohlstandsgesellschaft-, die Visionen und begeisternde Träume, die über die basalen Absicherungsbedürfnisse hinausgehen? (vgl. Joel 3,1) Leiden nicht viele an Übersättigung, auch durch die vielen jederzeit erhältlichen Information und medialen Inputs?
Jemand verglich Menschen, die im dauerhaften Wohlstand leben mit Zierfischen, welche im gefahrlosen, langweiligen Aquarium, -gefüttert und satt-, ihre langweiligen Runden schwimmen; nur ab und zu erinnern sie sich an die Tiefen und Abenteuer des großen Meeres, in dem sie einst schwammen, und machen dann kurze heftige Bewegungen.
Tatsächlich, so scheint es mir, sind die Türen der Sehnsucht für viele zugeschlagen und die Antennen für das Göttliche und alles Transzendente von den Häusern abmontiert, auch die Sprache für das Absolute ist verloren gegangen, die Kathedrale des „Heiligen“- besonders jene in der eigenen Seele- bleibt unbewohnt. Nicht wenigen scheint Berieselung und leichte Kost, Kreuzworträtsel und Televisionen von Privatsendern für das eigene Lebensglück zu reichen. Das große, tiefe und gefährliche Meer ist ebenso vergessen wie der unendlich weite Kosmos.
Die eigene Lebendigkeit und Sehnsucht wieder zu entdecken, hängt nach biblischer Auskunft an einer Inspiration (wörtlich „Einhauchung oder Beatmung“), also daran, dass wir neues Leben und Atem eigehaucht bekommen (vgl. die Schöpfungsgeschichte Gen 2,7, Joel 3,1). Daran erinnert auch das Pfingstfest, das wohl unverstandenste christliche Fest vom heiligen und heilenden Geist. Das lateinische Wort „spiritus“ bedeutet sowohl Geist wie auch Wind und Atem. Es geht um eine neue Beatmung unseres Inneren, unserer Seele, unseres womöglich matt und flach gewordenen Atemstromes. Dort, wo uns der heilige Wind anrührt, atmen wir tief ein und tief aus. Der Heilige Geist, das ist wie der Wind, der uns berührt und uns sanft über die Wangen streichelt, der uns heftig anbläst, dass wir aufwachen und in Bewegung kommen. „Komm Heiliger Geist“, heißt es in der Pfingstsequenzund löse uns aus unserer Starrheit, locke uns heraus aus den Gefängnissen unserer satten Trägheit und sende uns vom Himmel her deinen Weckruf. Weite unsere enge, kleinliche und egoistische Sichtweise, befreie unsere Seele zu Dir hin, zum Schöpfer allen wahren Lebens und zu den Menschen, für die wir verantwortlich sind.
Der Heilige Geist, das ist auch Feuerkraft und Licht, das die Dunkelheit unserer Welt und unserer Seele von innen her erleuchtet; Licht, das hell macht, was finster ist, und uns den Weg zeigt, wenn wir im Dunklen tappen, stolpern, gefallen sind oder an Abgründen uns bewegen. Die Strahlen dieses Lichtes sollen unseren Lebensweg erleuchten, damit wir weiter gehen können, besonders inmitten von Krisen und Umbrüchen, die uns herumbeuteln. Die Strahlen seines Lichtes, das vom Himmel herkommt (und nicht aus unserem Erkenntnisvermögen), soll uns neue Perspektiven eröffnen, uns die verdunkelnde Furcht und Angst nehmen, die uns blind macht für die uns innewohnende geschenkte Liebe, die unbedingt an uns glaubt und will, dass wir sind.
Howard Thurmann, amerikanischer Bürgerrechtsaktivist und Mentor von Dr. Martin Luther King jr. gibt für das Lebendigwerden noch folgende Empfehlung:
„Frage nicht, was die Welt braucht, frage dich selbst, was dich lebendig macht …und tue das; (denn) was die Welt braucht, das sind Leute, die lebendig geworden sind.“
Alles, was mich lebendig macht, belebt, inspiriert, ins Fließen bringt, könnte mich also zu meiner ur-eigenen Berufung führen.
Der Benediktiner David-Steindl-Rast hat dazu folgende grundlegende Fragen formuliert, die ich an Sie als Impuls weitergeben möchte:
Impuls:
Was würde ich wirklich gerne tun? Was bereitet mir eine tiefe und nachhaltige Freude?
Was kann ich gut? Wo bin ich gut? (worin drücke ich die Einzigartigkeit und Einmaligkeit meiner Person am besten aus? Was sind meine Talente und Begabungen?)
Welche Gelegenheit gibt mir das Leben gerade jetzt, um das zu tun, was mich mit Freude lebendig macht? Wozu lädt mich das Leben gerade jetzt ein? (um das herauszufinden, müssen wir aber anhalten und mit den Ohren des Herzens horchen und bereit sein, uns überraschen zu lassen)
Früher haben begrenzte Ressourcen, Anforderungen von Familie und Eltern, Zwänge von Religion und Gesellschaft das Privat-Ich in seine Grenzen verwiesen. Die Grenzen sind heute, in der westlichen Welt zumindest, weitgehend aufgehoben; dies hat einerseits zu großen individuellen Spielräumen geführt, andererseits aber eine suchtabhängige Gesellschaft produziert, Individuen geformt, die Gefangene des Konsums sind, Sklaven einer Ideologie des immer „Mehr“ auf allen Gebieten und zu einem Menschenbild, das sich weitgehend über Äußerlichkeiten und Oberflächlichkeiten definiert.
Sucht ist alltäglich geworden und sie durchdringt, wenn wir ehrlich sind, nahezu jedes menschliche Wesen.
Dabei gibt es viele Erscheinungsbilder der Sucht: Drogensucht, Alkoholismus, Nikotinsucht, Koffeinsucht, Esssucht, Arbeitssucht, Sucht nach Stress, Sexsucht, Spielsucht, das Sammeln von Geld…. Manche Süchte wirken sich schlimmer und zerstörerischer aus als andere und bedürfen dringend psychologischer und therapeutischer Behandlung. Der Psychiater Gerald May weist aber darauf hin, dass bei allen Süchten letztlich die gleichen neurologischen, psychologischen und geistigen Mechanismen am Werk sind, egal, ob es sich um stoffliche Süchte wie Alkohol oder Drogen handelt oder ob wir bestimmten Idealen anhängen, an bestimmte Selbstbilder gebunden sind, ob wir Macht anstreben, oder süchtig nach Bestätigung und Anerkennung sind. (Gerald May, Sehnsucht, Sucht und Gnade, München 1993)
Sucht missbraucht unsere Freiheit und veranlasst uns etwas zu tun, was wir eigentlich nicht wollen. Sucht verbindet sich oft mit einem gierigen Verhalten(auch wenn Sucht und Gier nicht einfach dasselbe sind, so steckt doch in jeder Sucht die Gier nach mehr) Raffgier, Profitgier, Kommunikationsgier… zerstören menschliche Gemeinschaft. Der Philosoph Spinoza sieht in der Habgier, aber auch im Ehrgeiz und in der Wollust, sogar Formen des Wahnsinns. Die ungezügelte Gier nach immer mehr kann irgendwann zerstörerisch wirken und dies nicht nur für das Individuum (der süchtige und gierige Mensch verliert die Beziehung zu sich selbst, zu seinen Gefühlen, kann nicht mehr wirklich genießen…), sondern für eine Gruppe oder eine ganze Gesellschaft. Gieriges und süchtiges Verhalten macht uns nicht glücklich, sondern unruhig und getrieben, versklavt uns an materielle Dinge, an Geld, Macht oder führt zu unfreien und toxischen Beziehungen. (vgl. Anselm Grün, Gier. Auswege aus dem Streben nach immer mehr, Münsterschwarzach 2015)
Alle Süchte beeinträchtigen die menschliche Freiheit und nehmen uns etwas von unserer Menschenwürde.
Die Sehnsucht nach Gott, die Energie im Innersten unseres Herzens, der Hunger nach bedingungsloser Liebe wird gebunden und gefangen gehalten durch die Sucht.
Aus spiritueller Sicht geht es darum, worauf der Benediktiner Anselm Grün hinweist, die Sucht wieder in Sehnsucht zu verwandeln, die uns über die irdische Welt hinausführt und als göttliche Spur in unser Herz eingepflanzt ist. Es gilt die verdrängte Sehnsucht nach Liebe, Geborgeheit und Angenommensein im süchtigen Verhalten wieder freizulegen. Die zerstörerischen Elemente der Gier- sie steckt ja in jedem Menschen – gilt es wieder in eine lebensspendende Kraft zu verwandeln, um im Herzen zur Ruhe zu kommen und eine innere Freiheit zurück zu erlangen.
Die geistliche Tradition bezeichnet das süchtige Gebundensein in der englischen Sprache mit „attachment“, was so viel wie „Angenagelt“ oder „Verhaftet-sein“ bedeutet. Unser innerstes Verlangen und Wollen wird an bestimmte Objekte „genagelt“. Sucht kettet unser Wollen und Verhalten an bestimmte Gegenstände, Stoffe, Ideen und Menschen. Sie verführt uns zum Götzendienst und zur Anbetung des goldenen Kalbes, um das all unser Denken, Wollen und Fühlen kreist.
Gefangen, Acryl auf Holz
Viele spirituelle Traditionen weisen auf die Gefahren von Sucht und Gier hin. Für den Buddhismus ist die Gier gar die Wurzel allen Übels.
Im Lukasevangelium warnt Jesus seine Schüler vor Gier und Habsucht (Lk 12, 15-21 und warnt sie und uns davor, sich an vergängliche Dinge zu klammern und dabei zu vergessen, ein sterbliche und endliche Mensch zu sein. Stattdessen erinnert er in einem anderen Gleichnis uns daran, in all unserem Planen und Sorgen, die Vögel des Himmels und die Lilien des Feldes sich zum Vorbild zu nehmen, die nicht säen und nicht ernten und dennoch gut leben unter den liebenden Augen Gottes. Es geht ihm um Sein statt Haben wie es der Erich Fromm formuliert hat.
Die christlichen Wüstenasketen, haben bevor sie in die Wüste zogen, allen ihren Besitz verschenkt, um Raum und innere Freiheit zu schaffen für ihre Gottessuche. Geist und Herz sollten aufgeräumt sein für ein ungehindertes Streben nach Gott. Diese Wüstenväter und Wüstenmütter waren um Loslösung bemüht; sie machten eine Gegenbewegung zum Verhaftetsein unseres Verlangens an materielle Dinge, an wechselnde Gefühle, an ungeordnete Leidenschaften, Begierden und Süchte. Loslösung, Widerstand, das heilige Nein, Verzicht auf Ablenkungen, aber am zentralsten das Vertrauen auf eine zu Hilfe kommende Gnade (weil wir mit eigenem Willen nicht fähig sind uns von Süchten, Zwängen und tiefgreifenden Abhängigkeiten zu lösen) sind integrale Bestandteile jeder geistlichen Lebensreise, die uns aus der Knechtschaft befreien und unser ursprüngliches Verlangen nach Gott wieder freilegen.
Impulsfrage: (nur hinschauen, nicht werten)
Wo in meinem Leben bin ich verhaftet und süchtig gebunden?
„Wandlungsprozesse- Heilungsräume- Metamorphosen oder es ist ein „Riss in allen Dingen, aber genauso kommt das Licht hinein“ (Leonhard Cohen)
„Das Christentum ist vorallem eine Religion für Menschen, die einen tiefen Riss in ihrem Leben erlebt haben“ (Thomas Merton)
In der Werbung und in den Medien werden uns vor allem perfekte, gutaussehende, attraktive, leistungsstarke, gesunde und unabhängige/autonome Menschen präsentiert. Models und Bodybuilder, rund um die Uhr arbeitende Manager*innen, Menschen, die sich unabhängig und völlig frei von allen Bindungen zeigen, angstfreie Abenteurer, die niemanden brauchen, Schönheiten, die nur sich selbst feiern,- das sind die modernen und unverwundbaren Held*innen unserer Zeit.
Doch dies ist aber nur die halbe Welt und oft mehr Schein als die Wahrheit. Die Versuchung ist gegeben beim oberflächlichen Blick und Sinneseindruck hängen zu bleiben und nicht dahinter und darunter zu schauen in die Tiefe menschlicher Existenz.
Das Leben von Philippe Pozzo di Borgo, der bis zu seinem 42. Lebensjahr Geschäftsführer des Champagnerunternehmens Pommery war, dann durch einen Gleitschirmunfall vom Hals ab querschnittgelähmt, ist vielen bekannt durch den Film „Ziemlich beste Freunde“. Er berichtet davon, wie er sich nach Erscheinen seiner Autobiografie vor Mails nicht mehr retten konnte, in denen alles Unglück der Welt auf seinem Bildschirm landete und die Unermesslichkeit der geschilderten Verzweiflung ihn überwältigte. In einem Interview mit Elisabeth von Thadden sagt er:
„Es klafft ein Abgrund zwischen den Anforderungen der Gesellschaft und dem, was sich in den Menschen zuträgt. Sie fühlen sich abgehängt, ausgeschieden, zerstört, beladen, gejagt, sie sind voller Scham und Angst, weil sie nicht leisten können, was man von ihnen verlangt, als Arbeitnehmer, als Familienväter, als Migranten oder Arbeitslose, es sind alle Lebenssituationen dabei, ob mit körperlicher Behinderung oder nicht. […] All diese Mails belegen ein massenhaftes Gefühl des Scheiterns. […] Die Menschen wollen ein sinnvolles Leben führen, sie wollen sich nicht fortgesetzt drängen und hetzen lassen. Jeder weiß oder ahnt doch zumindest, dass die menschliche Existenz zerbrechlich ist. Man glaubt nicht mehr an das Trugbild des ewig jungen und starken schönen Menschen. Die Zerbrechlichkeit muss wieder von den Rändern ins Zentrum rücken.“ (Philippe Pozzo di Borgo u. a., Ziemlich verletzlich, ziemlich stark, 2012, 8f.,)
Diese Verwundbarkeit menschlicher Existenz, so Pozzo di Borgo, werde verschleiert durch die vielfältigen Trugbotschaften der Medienkultur mit ihren überzogenen Wünschen und Ansprüchen an Leistung, Effizienz, Schönheit, ewige Jugend, Unverwundbarkeit, sogar Unsterblichkeit. Diese verzerrten nicht nur die Wirklichkeit, sondern führen auch zu einem fraglichen Menschenbild und zu permanenten Angstzuständen. Für Pozzo di Borgo sind elementare Beziehungen statt Gleichgültigkeit für das Glückserleben zentral; wechselseitige Abhängigkeit, ein Geben und Nehmen, das auf freundliche Weise geschieht, sei keine Minderung der Würde, sondern führe zum Glück.“ (vgl. Vogt, Schädlich-Buter, Spiritualität und Verantwortung, S.89)
Menschen mit einer Behinderung oder überhaupt Menschen in prekären Lebenssituationen stellen dazu ein Gegenbild dar, sind die Antihelden, die weder unabhängig noch leistungsstark sind, die nicht mit Statussymbolen protzen können, sondern zerrissen daherkommen (vgl. den Helden Zyklus von Baselitz). Menschen mit einer Behinderung sind so wichtig für unsere Gesellschaft, weil sie den zerbrechlichen und verwundbaren Teil menschlicher Existenz sichtbar machen, weil sie die Endlichkeit und Bruchstückhaftigkeit menschlicher Existenz bezeugen durch ihre bloße Anwesenheit, weil sie den Gläubigen sagen, was Gnade ist und was es mit der Sehnsucht auf sich hat jenseits aller Leistung geliebt und angenommen zu werden, und, weil gerade die schwerstbehinderten Menschen, uns die Angewiesenheit, Bedürftigkeit und Nacktheit unserer Existenz deutlich machen können, die jene durch nichts kompensieren können. Der Körper des behinderten Menschen ist der Ort für die bedingungslose Zuwendung eines Gottes, der bedingungslos liebt.
Menschen mit einer Behinderung sind Zeugen für das Ganze des Menschseins, weil sie den omnipotenten Helden oder Heldin infrage stellen und wie ein Protest wirken gegen die Hybris des gottgleichen Menschen, dessen einziger Bezugspunkt er selbst ist.
„Zerbrochen“, Acryl auf Leinwand
Diese Infragestellung menschlicher Allmächtigkeit und Omnipotenz geschah in den letzten Jahren auch durch die weltweiten Krisen, durch Corona, den Ukrainekrieg und zuletzt das schreckliche Erdbeben in der Türkei und Syrien.
„Es ist ein Riss in allen Dingen, aber genauso kommt das Licht hinein!“, heißt es im Lied Anthem von Leonhard Cohen und er will damit sagen, dass die Risse überall vorhanden sind, aber auch, dass aus den Rissen in unserem Leben, aus den Brüchen und Erfahrungen des Scheiterns, Neues und Schönes entstehen kann. (Dies ist der Ansatz einer „Spiritualität von unten“) Ja, dass sogar manchmal Altes, womöglich Überlebtes zerbrechen muss, damit eine neue, bislang noch ungeahnte Gestalt sich offenbaren kann. Der Bruch oder die Niederlagen kann eine Metamorphose einleiten, der über den Weg in die Tiefe eine neue Identität hervorbringt. Oder anders gesagt: das falsche, oberflächliche, egozentrische oder in festgezurrten Vorbahnungen sich bewegende Ego/Ich, wird aufgebrochen. Ein Bruch, ein Riss, der zunächst schmerzt, wehtut, die Orientierung nimmt und in einen Schwellenraum versetzt, der Monate, ja sogar Jahre dauern kann.
Der „Schwellenraum“ (Richad Rohr) ist der Übergangsraum, in dem das Alte nicht mehr gilt und das Neue noch nicht aufgetaucht ist. Bilder und Prototypen für diesen Zustand sind Jona, der im Walfischbauch sitzt oder Hiob im Dreck und im Schmerz seiner ganzen Verluste. Doch in der Tiefe kann etwas wachsen ohne unser Zutun. „Er schläft und steht wieder auf, es wir Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst, und der Mann weiß nicht wie.“ (Markus 4,26) Und manchmal ist es ein Hoffnungsschimmer, der die Dunkelheit erleuchtet, eine Kraft, die von irgendwoher kommt und sagt, „Jetzt nicht aufgeben!“ und „Am Leben bleiben!“. Meister Eckhart sagt, wenn ich nicht zugrunde gegangen wäre, also in den Grund meiner Existenz, dann wäre ich zugrunde gegangen. Am Grund meiner Existenz lässt sich das wahre Selbst entdecken, an dessen Tür, inständig und mit viel Geduld der klopft, den Johannes vom Kreuz als den „Ich weiß nicht was“ bezeichnet.
Der „Schwellenraum“ kann zum „Heilungsraum“ werden, der für unterschiedliche Menschen ganz unterschiedlich aussehen kann: manche bekommen durch die Kraft der Natur neuen Antrieb für ihr Leben. So der bekannte Sozialfotograf Sebastiao Salgado, der nach erschütternden Erfahrungen des Genozids in Ruanda den Glauben an die Menschheit verloren hat, und im Pflanzen eines Waldes neue Kraft schöpft. Oder Ingrid Leitner, die Gründerin des CBF (Clubs Behinderter und ihrer Freunde), die mit 15 Jahren an Polio erkrankte, hat ihre Wohnung in eine grüne Oase verwandelt, wodurch sie viel Kraft bekam. (Autobiografie von Ingrid Leitner, Das Leben der Sternentaucherin). Andere entdecken in der Kunst und kreativen Schaffen einen Weg das Leid und die Gebrochenheit zu durchschreiten, finden in der Malerei wie Frieda Kahlo ein Ausdrucksmittel für ihr innerstes Erleben, in der Trauer, Schmerz und unbändige Lebensfreude zugleich auftaucht. Wieder andere entdecken wie Philippe de Bozo, Chef einer großen Champagnerfirma und nach einem Gleitschirmabsturz vom Hals ab gelähmt- vielen durch den Film „Ziemlich beste Freunde“ bekannt-, die Wichtigkeit von Beziehung zu anderen Menschen, aber auch wie wesentlich die Stille im Leben ist. Helen Keller, die mit zwei Jahren Augenlicht und Gehör verliert, sagt: „Wenn eine Tür des Glücks sich schließ, öffnet sich eine andere, aber oft starren wir so lange auf die geschlossene Tür, dass wir die, die sich uns geöffnet hat nicht sehen. Helen Keller findet eine Aufgabe, die auch Heilungsraum ist, im Engagement für andere blinde Menschen, aber sie setzt sich auch für die Rechte der Schwarzen und die Frauenrechte ein. Wer sich um andere kümmert, trägt auch zu seiner eigenen Heilung und zum eigenen Wohlbefinden bei statt nur um sich selbst zu kreisen. (vgl. frei nach Jesaja 58,10: Wenn es dir dreckig geht, dann mach dich auf und kümmere dich um die Ärmsten, Notleidenden und teile dein Brot mit ihnen, dann wird in Kürze dein Licht wieder aufleuchten).
Es gibt auch verwundete Heiler, manche wie Claude Anshin, der sich vom Killer im Vietnamkrieg und PTB- Störungen, Drogen und Alkohol nach seiner Rückkehr nach Amerika, schließlich zum buddhistischen Mönch wandelt. Er findet über den vietnamesischen Mönch Thich Nhat Hanh zur Meditation, und zu einer neuen Lebensaufgabe und Berufung als Friedensaktivist.
Thomas Merton, der durch sein Buch „The Seven Storey Mountain“ (deutsch: Der Berg der sieben Stufen) weltbekannt gewordene Trappistenmönch, erkennt im Laufe seines Lebens, dass echtes spirituelles Leben aus dem Dunkel und aus dem Scheitern wächst, und dass der Weg zu Gott durch die Wüste führt. Nur so könnte man das eingebildete, falsche, kranke und egozentrische Ego überwinden. Eine „Spiritualität von unten“ besagt, dass im „Riss“ und in den Brüchen des Lebens, die Chance liegt, dass sich die Türen der Seele öffnen für das Nahekommen Gottes als einem, der bedingungslos liebt und annimmt. Der „Riss“, wo wir am Ende unserer Kräfte sind und unsere Ohnmacht eingestehen müssen (wie die anonymen Alkoholiker) kann wie eine Öffnung sein, durch welche ein Licht in uns einströmt, dass wir nicht selbst erzeugen können.
„Ein Trauma stellt die Betroffenen vor einen Wendepunkt in ihrem Leben und kann trotz aller Verletzungen, die Möglichkeit bieten, gestärkt aus ihm hervorzugehen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass sich der Einzelne der Realität stellt, anstatt sie zu leugnen oder zu verdrängen, und das Unglück als Teil seines Lebens annimmt. In der Resilienzforschung wird diese Fähigkeit Akzeptanz genannt.“ (Vogt, Schädlich-Buter, Spiritualität und Verantwortung, S.52) In der Kunst könnte man an Joseph Beuys Installation „Zeige deine Wunde“ denken oder an das Bild von Caravaggio „Der ungläubige Thomas“, dem Jesus seine offene Wunde hinhält und die Möglichkeit eröffnet, sie zu berühren. Um in der Akzeptanz des Verlustes, der Trauer um Unwiederbringliches, im Scheitern von Lebensplanungen nicht aufzugeben und Hoffnung zu finden, ist es wichtig durch den Schmerz, das Leiden und die Trauer zu gehen, manchmal auch nur auszuhalten, was mir da widerfährt. Emmy Werner sagt zu resilienten Menschen „vulnerable but invincible“, und meint, dass es sich bei diesen Menschen nicht um unverwundbare Helden/Held*innen handelt, sondern nur, dass sie sich durch die Lebenskrisen nicht unterkriegen lassen und dadurch ein psychisches Immunsystem entwickeln. Für die Reifung durch eine Krise gibt es kein Rezept, aber wer es wagt, sich mit seinen Lebenswunden anderen Menschen oder Gott zu öffnen und anzuvertrauen, für den entspringt nicht selten eine Quelle der Hoffnung.
Biblisch könnte man an dieser Stelle an das Paulus Wort denken: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2 Kor 12,10) Es gilt im Prozess der Verarbeitung auch die dunklen Gefühle (auch Suizidgedanken), die offenen und ungelösten Fragen, die mit der Lebenskrise einhergehende Verunsicherung und Verzweiflung, die Frage nach dem Sinn dessen, was mir das Leben zugemutet und auferlegt hat, die Leere, in der sich kein Gott zeigen will (vgl. das Gedicht von Jean Paul „Siebenkäs“),….zu stellen. Das Leid bleibt unerlöst, wenn es keinen Ausdruck findet. Wer sich verletztlich zeigt, eröffnet Reifungsprozesse.
Wer durch eine Lebenskrise hindurch gegangen ist, hat sich verwandelt (das bestätigen nicht nur die Ergebnisse der Traumaforschung, sondern auch die Berichte von Nahtoderfahrungen wie sie der Philosophieprofessor Godehard Bruntrüp S.J. eindrucksvoll beschreibt). Menschen, die durch Leid und Krisen gegangen sind, werden wie auch Forschungen zeigen, empathischer, liebesfähiger, entwickeln eine neue Wertehierarchie; sinnerfüllte Beziehungen sind wichtiger als Erfolg im Beruf; das eigene Ich öffnet sich stärker für den anderen, erlebt mehr Verbundenheit, kreist weniger um sich selbst, wird sehender für die Not des Anderen und lebt von einem inneren gottnahen Zentrum her, das frei ist von außen auferlegten Bedingungen und Strukturen des Funktionierens und Wertgeschätzseins in Welt und Gesellschaft. Die spirituelle Sprache spricht hier vom wahren Selbst.
Der Franziskaner Richard Rohr schreibt: „Unser falsches Selbst, das wir auch unser „kleines Selbst“ nennen könnten, ist unsere Startrampe: unser Körperbild, unser Job, unsere Ausbildung, unsere Kleidung, unser Geld, unser Auto, unsere sexuelle Identität, unser Erfolg und so weiter. Dies sind die Insignien des Egos, die wir alle benutzen, um uns durch einen gewöhnlichen Tag zu bringen. Sie sind eine schöne Plattform, auf der man stehen kann, aber sie sind weitgehend eine Projektion unseres Selbstbildes und unserer Anhaftung daran. Keiner von ihnen wird von Dauer sein! Wenn wir in der Lage sind, über unser falsches Selbst hinauszugehen – zur richtigen Zeit und auf die richtige Weise – wird es sich genauso anfühlen, als hätten wir nichts verloren. In der Tat wird es sich wie Freiheit und Befreiung anfühlen. Wenn wir mit dem Ganzen verbunden sind, müssen wir den bloßen Teil nicht mehr schützen oder verteidigen. Wir sind jetzt mit etwas Unerschöpflichem verbunden. Unser falsches Selbst nicht zur richtigen Zeit und auf die richtige Weise loszulassen, ist genau das, was es bedeutet, festzustecken, gefangen und süchtig nach uns selbst zu sein.
Und James Finley, einst Novize bei Thomas Merton, später Traumatherapeut, reflektiert Merton`s Lehre über das Wahre Selbst und das separate (oder falsche) Selbst:
Unser wahres Selbst ist ein Selbst in Gemeinschaft. Es ist ein Selbst, das in Gottes ewiger Liebe besteht. Ebenso ist das falsche Selbst das Selbst, das außerhalb dieser geschaffenen bestehenden Gemeinschaft mit Gott steht, die unsere Identität bildet…..In unserem Eifer, die Vermieter unseres eigenen Seins zu werden, klammern wir uns an jede Errungenschaft als eine Art Bestätigung unserer selbsternannten Realität. Wir werden zum Zentrum und Gott zieht sich irgendwie an einen unsichtbaren Rand zurück. Andere werden in dem Maße real, in dem sie zu bedeutenden anderen für die Pläne unseres eigenen Egos werden. Und in diesem Prozess stirbt das GANZE Gott in uns und das sterile Nichts unserer Wünsche wird zu unserem Gott. Merton macht deutlich, dass die selbsternannte Autonomie des falschen Selbst nur eine Illusion ist…“ (vgl. Homepage des CAC, Center für action and contemplation)
Der Prophet Ezechiel spricht davon, dass G*tt das Herz von Stein aus unserer Brust nimmt und uns ein neues lebendiges Herz schenkt. (Ez 11, 19.20) Ein Herz, das barmherzig ist und nachsichtig gegenüber Fehlern und Schuld ist, und das sich solidarisch an die Seite der Menschen stellt, die an den Rand gedrängt werden und Ungerechtigkeit erleiden. Ein Herz, das nicht gleichgültig zusieht, wie Menschen exkludiert oder misshandelt werden. Gerade die Gleichgültigkeit ist Zeichen eines verschlossenen, tauben, fühllosen Herzens wie wir es sehen angesichts der ertrinkenden Migranten im Mittelmeer. Wer sich um andere kümmert und sorgt, entgrenzt sein Herz, überschreitet/transzendiert sich selbst und öffnet sich der Kraft verwandelnder Liebe.
Aus einer theologischen Perspektive gehören Leid, Schuld, Scheitern und Ungerechtigkeit zentral zum menschlichen Leben, das oft nicht nach unseren Vorstellungen läuft. Nicht umsonst ist das Kreuz zentrales Erlösungssymbol der Christen. Das Leiden und Scheitern hat nicht das letzte Wort, sondern ist ein Durchgangsweg zur Auferstehung und zu neuem, verwandeltem Leben; insofern dient der Weg Jesu auch als Modell für menschliche Transformationsprozesse. „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir“, lautet das Geheimnis des Glaubens. Christliche Hoffnung ist kein blinder Optimismus, sondern eine Gewissheit, die durch die Erfahrung des Kreuzes hindurchgegangen ist. Mitten im Fragmentarischen des eigenen Lebens ahnen manche etwas von einem Ganzen, das allein mit der Kraft des Willens nicht hergestellt werden kann. Heilungsprozesse ereignen sich meist so, dass ein „Anderer“ (G*tt) oder etwas anderes jenseits meines eigenen Wollens und Vermögens, die Bruchstücke meines Lebens zu etwas ganz Neuem, zuweilen mit unendlicher Geduld, zusammenfügt. Schönheit und Hässliches, Verzweiflung und Hoffnung liegen in der menschlichen Seele oft ineinander verschränkt. Sobald ich das eine weglasse, verbanne ich das Andere mit. Wenn ich Schmerz zulasse, öffne ich mich auch für die Schönheit und das Neue, das werden will. Die japanische Kunst des Kintsugi, wo Vasen zerbrochen und dann mit Gold-Leim wieder zusammengesetzt werden, können als Metapher gelesen werden für eine neue Ganzheit, für die Heilung des Gebrochenen und wie aus Bruchstücken eine neue Schönheit entsteht.
Liturgisch lässt sich angesichts der Zerbrechlichkeit und Verwundbarkeit menschlicher Existenz an das Brotbrechen der Eucharistie denken (wie es der Priester und Lyriker Andreas Knapp in seinem Buch „Vom Segen der Zerbrechlichkeit“ herausgearbeitet hat). Der die rituelle Handlung begleitende Satz „Seht zerbrochen für uns…“ erinnert daran, dass sich die Bruchstelle Jesu und unsere eigenen Bruchstellen zu einem Ganzen zusammenfügen. Allerdings nur dort, wo ich bereit bin, die Bruchstellen meines Lebens hinzuhalten, weil glatten und abgerundeten Stellen keine Anknüpfungsmöglichkeit bieten.
In der letzten Phase unserer Ausbildung zur Seelsorge hatten wir einen Kurs mit Pater Josef Sudbrack, einem Jesuiten, der ein anerkannter Fachmann für Spiritualität und Mystik war. Neulich fiel mir Pater Sudbrack, der inzwischen verstorben ist, wieder ein, aufgrund eines kurzen Gesprächs, das ich mit ihm hatte. Pater Sudbrack war kriegsverwundet und ihm musste deshalb als 19 Jährigem 1944 ein Bein amputiert werden. Und so kamen wir auf den Krieg zu sprechen und ich fragte ihn, wie er das alles seelisch heil überstanden hat. Er sagte, dass all die schlimmen Erfahrungen, auch der Verlust seines Beines, ihn nicht wirklich aus der Bahn geworfen haben, denn er habe eine so gute und behütete Kindheit in Trier bei seiner Eltern, die eine Bäckerei hatten, erlebt, dass selbst das Schreckliche des Krieges diese Basis nicht zu zerstören vermochte. Das beeindruckte mich damals sehr. Glücklich also, wer eine so gute Basis für sein Leben bekommen hat, ein Urvertrauen, das wie ein Haus der Persönlichkeit stabil steht, dass es allen Stürmen des Lebens trotzen kann und selbst wenn es die im Leben unvermeidlichen Risse gibt nicht einstürzt. Das Wort Vertrauen reißt viele Themen an: Urvertrauen, Selbstvertrauen, Gottvertrauen…Wer schenkte mir Vertrauen und wem vertraue ich?
Ohne konkrete Personen zu nennen, würde ich auf die letzte
Frage antworten:
Vertrauen schenke ich der Person, die mich annimmt wie ich
bin mit meinen Stärken und meinen Schwächen, die mir meine Fehler verzeiht und
mich in keine Schublade einsperrt, die es ehrlich mit mir meint sowohl was Lob
als auch was Kritik betrifft, und die mich nicht für irgendwelche Zwecke
missbraucht statt mich um meiner selbst willen gern zu haben; und sie müßte „da“
ist, wenn ich in Not und Hilfe brauche.
Die Entwicklungspsychologen weisen uns daraufhin, das
Vertrauen nicht angeboren ist, sondern sich entwickeln und entfalten muss,
vorallem durch verlässliche und verbindliche Beziehungen; Vertrauen baut sich auf über Blickkontakt, Sprache,
Dialog, und über Einfühlung, in das, was
ein Baby oder Kleinkind an Nahrung und Schutz braucht. Wem Vertrauen geschenkt
wird, der kann zu einem vertrauenswürdigen Menschen heranwachsen und später
selbst Vertrauen wagen. Wer als Kind ständig kritisiert, bevormundet,
besserwisserisch abgekanzelt, überängstlich beschützt, mit ambivalenten
Botschaften gefüttert, oder ausschließlich nach seiner Leistung in der Schule
beurteilt wurde, der kann im Leben als Erwachsener nur schwer ein Vertrauen in
sich selbst entwickeln und auch Krisen schwerer bestehen. Menschen ohne
vertrauensvolle Beziehungen werden nicht selten über kurz oder lang krank an
Leib und Seele. Heilung liegt im geschenkten Vertrauen anderer Personen.
Vertrauen ist also zunächst ein Geschenk, durch das ich mich selbst als
liebenswert erleben kann, und das ich mir nicht selbst geben kann.
Beschützt und getragen
Wer vertrauensvolle Beziehungen erlebt, bekommt Vertrauen in
sich selbst und die eigenen Fähigkeiten, bekommt Selbstwert, es wächst im Kind die Lust, in die Welt“ hinaus zu gehen und
seine Talente zu erproben. Vertrauen scheint so elementar wie die Luft zum
Atmen. Dort, wo es fehlt, auch in Arbeitskontexten, wo es keinen
Vertrauensvorschuss mehr gibt, der Spielräume schenkt, herrscht früher oder
später eine Atmosphäre der Kontrolle, Überwachung und Angst. Auch in
Partnerschaften führt mangelndes Vertrauen zu Eifersucht, und Mißtrauen. Jeder
Vertrauensvorschuss birgt natürlich auch das Wagnis in sich, enttäuscht zu
werden, wobei ja niemand seinen Verstand völlig ausschalten muss, um allzu naiv
und vertrauensselig ins offene Messer zu laufen.
Doch jede wichtige Entscheidung braucht Vertrauen, ob bei
der Berufs- oder Partnerwahl. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht, was uns
gerade die Pandemie überdeutlich vor Augen führt. Aber schon vor Corona
stellten sich viele Menschen die Frage: Ist diese Welt vertrauenswürdig?
Überall auf der Welt Fake News, Korruption, Ungerechtigkeit und Machtmißbrauch.
Wem kann ich noch wirklich vertrauen? Angst und Unsicherheit haben sich
besonders in unsere Wohlstandsgesellschaften eingeschlichen und sich mit der
Coronapandemie verstärkt. Viele Menschen erleben einen Kontrollverlust, sind
vom bekannten Weg in ein für nicht wenige äußerst bedrohliche erlebtes unbekanntes Gelände
abgesetzt worden; die Institutionen, die Sicherheit geben sollen, Politik und
Kirche zum Beispiel, scheinen sich auch nur mühsam im Nebel vorantasten zu
können.
Was ist jetzt mit dem Vertrauen? Wie können wir es
zurückgewinnen, zumindest soweit, dass uns die Ängste und Unsicherheiten des
Lebens angesichts der Pandemie nicht verschlucken?
Vielleicht hilft uns schon die Einsicht etwas weiter,
dass es sowieso eine Illusion ist, an eine absolute Sicherheit zu glauben. Wer
hätte nicht schon im eigenen Leben erlebt, dass Pläne durchkreuzt wurden (wer
wüßte dies nicht besser als viele, die in der Pfennigparade leben und arbeiten),
dass es Überraschungen gab, die uns einen Strich durch die Rechnung gemacht
haben, dass die letzte Etappe zum Berggipfel durch einen unvorhersehbaren
Wettereinbruch verhindert wurde, oder wie neulich der Weltumsegler Boris
Herrmann kurz vor dem Ziel, in das er als Sieger hätte einlaufen können, mit
einem „blöden“, unbeleuchteten Fischkutter zusammenprallte.
Manches im Leben braucht wohl den Abstand im Humor,
gewiss manchmal mag es Galgenhumor sein. So sagte schon Benjamin Franklin,
einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, zu unserem tief verankerten Bedürfnis
nach Sicherheit etwas augenzwinkernd: „Nichts in dieser Welt ist sicher,
außer dem Tod und den Steuern.“ Auch so manche gelassene und lange
gewachsene Lebensweisheit, kann uns wieder auf den Boden des Vertrauens
bringen, wie es der kölsche Glaubenssatz zum Ausdruck bringt: “Et kütt, wie
et kütt! Et hätt noch emmer joot jejange! Wat fott es, es fott! Et bliev nix,
wie et wor! Wat wells de maache!“ Übersetzt: Es kommt wie es kommt, – damit
begegneten die Rheinländer sowohl den durchziehenden Heeren wie auch dem
Rheinhochwasser; und mit „es ist noch immer gut gegangen“, wollten sie sagen,
dass wir uns nicht in einem rabenschwarzen Pessimismus und den damit
verbundenen zerstörerischen Kräften überlassen sollten. Warum also nicht
einwenig nach all den sicher wichtigen und notwendigen Anstrengungen einwenig
kluge Schicksalsergebenheit und ein positiver Fatalismus, der eingesteht, dass
wir nicht alles in der Hand und unter Kontrolle haben können(vgl. dazu
ausführlicher das kluge Buch „Lob des Fatalismus“, vom SZ Journalisten Matthias
Dobrinski, dem ich wichtige Anregungen verdanke und das ich als Lektüre sehr
empfehlen kann). Oder wer es etwas religiöser haben will, dem mag die Einsicht
und Bitte des amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr ans Herz gelegt werden:
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern
kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das
eine vom anderen zu unterscheiden.“
Sicher sind es, um auf Pater Sudbrack zurück zu kommen, auch
ganz konkrete Menschen, die Vertrauen und Ruhe ausstrahlen in dieser unsicheren
Zeit und uns zumindest für Momente mit hineinnehmen in dieses Urvertrauen, dass
die Welt schon gut und vertrauenswürdig ist, wie es uns Genesis in der
Schöpfungsgeschichte verspricht.
Und nicht zuletzt kann auch ein liebevoll zubereitetes
Mittag- oder Abendessen und ein Strauß Blumen auf dem Tisch diesen Glauben
stärken (trotz Fastenzeit).
Angeschaut werden – ein menschliches Grundbedürfnis
Regarde moi – Schau mich an!, heißt es in einem Lied des Rappers Lomepal. Die Augen des anderen sind der Spiegel, der mir sagt, dass es mich gibt und dass es gut ist, dass es mich gibt. Jeder Mensch scheint ein tiefes Bedürfnis in sich zu tragen, gesehen zu werden, liebevoll und respektvoll angeschaut zu werden. Der jüdische Philosoph Martin Buber sprach davon , dass jeder Mensch danach Ausschau halte, dass ihm das Ja des Seindürfens zugesprochen werde; das geschieht in der Regel zunächst über die liebenden und vertrauensstiftenden Blicke, welche Mutter und Vater dem Baby schenken; das kleine Menschenwesen erlebt Resonanz und fühlt sich in seinem eigenen Sein bestätigt.
Wichtige emotionale Botschaften werden über Blicke und Mimik transportiert, deren Ausbleiben für die Kinder fatale Folgen haben kann. (Im Moment laufen sogar Untersuchungen über die möglichen Auswirkungen auf Babys, wenn Mütter und Väter statt den Blickkontakt mit ihrem Baby zu suchen ihre Aufmerksamkeit auf ihr Smartphone richten.)
Übersehen-werden macht krank oder aggressiv
Wer nicht beachtet und übersehen
wird, erlebt eine tiefe Kränkung; manche reagieren dann
als Jugendliche oder im Erwachsenenleben depressiv und trauen sich nichts zu; andere reagieren gewalttätig,
indem sie ihre Wut im Außen abreagieren
Der australische Psychologe Marc Dadds fand in
Versuchsreihen mit schwer gestörten Jugendlichen,
die als brutal, kalt und gefühllos auffällig geworden waren, heraus, dass
jene erstmals in ihrem Leben Empathie entwickelten, nachdem die Eltern in
mehreren Sitzungen mit warmer Stimme sagten: „Ich hab dich lieb!“ und
ihnen dabei in die Augen schauten. Nach mehreren Monaten waren diese
Jugendlichen erstmals in der Lage Emotionen im Gesicht ihres Gegenübers zu
erkennen..(vgl. dazu auch die Bücher über Spiegelneuronen, z.B. von J. Bauer).
(vgl dazu: J. Röser, Das Gewissen der Augen, in CIG, Nr.50, 2012, S.564)
Es gibt auch Familienschicksale von Verfolgung , Vertreibung, Außenseitertum, in denen Menschen und Menschengruppen übersehen oder schief angeschaut wurden und die in den Folgegenerationen unbewußt weiterwirken .
Mauritius Wilde berichtet von einer jungen Frau mit
einer sehr schwierigen Kindheit und Jugend, in der sie sehr oft übersehen und
nicht beachtet wurde. Immer wenn sie heute an dieser frühen Wunde des Übersehenwerdens leidet, geht sie zu einem Freund,
der sie kurz anschaut. Schon ein kurzer Blick und Moment des Angeschaut-werdens
sei für sie sehr heilsam geworden. Aber sie musste sich zuvor dieses Bedürfnis eingestehen.(vgl.
Mauritius Wilde, Respekt, Die Kunst der gegenseitigen Wertschätzung,
Münsterschwarzach2009, 2. Aufl. 2010, S.23)
In unserer Gesellschaft, in der Aufmerksamkeit ein
hohes Gut geworden ist, werden diejenigen, die in diesem Spiel um Beachtung
nicht mitmischen können oder wollen, auch leicht übersehen.
„Augenblicke“ können niederdrücken oder aufbauen
Wie Menschen angeschaut werden, kann sie aufbauen oder
niederdrücken, lebendig machen oder zerstören. So fordern Philippe Pozzo die
Borgo, – nach einem Gleitschirmunfall querschnittgelähmt- und sein Pfleger
Abdel Sellou (deren Geschichte vielen durch die autobiografisch Verfilmung
„Ziemlich beste Freunde“ bekannt wurde) in mehreren Interviews: „Wir,
die kaputten Typen (..), wir wollen nicht euer Mitleid, sondern mit anderen
Augen angesehen werden, mit einem Blick, der uns als ganzen Menschen wahrnimmt.
Wir sehen uns nach einem Lächeln, einem Austausch, der uns stärkt, weil er uns
sagt, dass es uns gibt und dass wir wertvoll sind.“ (Di Borgo,
Jean Vanier, Cherisey Laurent, Ziemlich verletzlich, ziemlich stark-Wege zu
einer solidarischen Gesellschaft, München 2012, S.9)
Schauen mit offenem Herzen, Aquarell
Angeschaut-werden- eine religiöse Grundsehnsucht
Schau mich an!,
denn ich kann mich ja selbst nicht sehen. In dieser Bitte findet auch eine zutiefst religiöse Sehnsucht ihren Ausdruck; viele Psalmen (Gebete) der
Bibel sind ja vor circa 3000 Jahren entstanden als es noch keine Spiegel gab
und die Menschen sich selbst nur äußerst selten sehen konnten, höchstens in einer Pfütze oder in einem Teich. Deshalb
richteten sie ihre Sehnsucht beachtet zu werden, nach „oben“, auf Gott, der sie
wie eine Mutter im Blick hat, auf sie schaut und sie eben nicht übersieht.(Psalm
139, Psalm32…) Gerade in der Not und Einsamkeit wird dieses Bedürfnis angeschaut,
beachtet und begleitet zu werden auch heute bei Menschen wach.
Die Bedeutung des Sehens und Gesehen-werdens wurde
auch symbolisch in vielen Kirchen als Auge
Gottes zum Ausdruck gebracht. Doch leider assoziieren – gerade ältere
Menschen- im Laufe einer teils unrühmlichen Kirchengeschichte und Pastoral,
damit nur den „Buchhalter- und Überwachergott“, der alles sieht, beobachtet,
aufschreibt und mit entsprechenden Strafen belegt. Der tiefere Sinn wurde damit
natürlich gründlich verfehlt. Gemeint war es anders, nämlich so, dass
wir unter den Augen des liebevollen, göttlichen Betrachterszum Frieden in uns finden (so ähnlich
sagt es der mittelalterliche Mystiker Bernhard von Clairvaux)und uns darin geborgen wissen.
Authentische Religion führt zum Glauben, dass es einen Bereich gibt, in dem wir
immer schon als wertvoll gesehen und anerkannt sind: von Gott.
Anschauen statt übersehen- eine urchristliche Grundpraxis
Zu einer urchristlichen
Praxis gehört es, gerade Menschen zu beachten, die gerne übersehen werden.
Jesus hat immer wieder seinen Blick auf all jene gerichtet, die am Rande der
Gesellschaft keine Beachtung fanden. Dies kann uns durchaus als Modell dienen,
einander freundlich anzuschauen. So nimmt ein ehrlich gemeinter freundlicher
Blick auch die Scham in seinem Körper und seinen Lebensäußerungen ungenügend zu
sein oder komisch auf andere zu wirken. Ein freundlicher Blick kann jemand Ansehen
schenken, aus seinem Versteck locken, und das Vertrauen aufbauen, an sich
selbst zu glauben.
Fragen zu Nachdenken:
Von wem fühle ich mich gesehen und beachtet?
Von wem übersehen?
Welche Rolle spielt Beachtung in meinem Leben?
Wen sehe ich gerne?
Will ich gerne gesehen werden oder ist es mir unangenehm?
Feste Rituale haben sich im Coronajahr 2020 verändert: Begrüßungsrituale wie das Händeschütteln wurde durch einen Ellbogencheck ersetzt oder durch eine Berührung mit der Fußspitze, keine Umarmung, kein Kuss……auch in den Kirchen musste der Friedensgruß und das gemeinsame Singen untersagt werden und manche Pfarrer teilten hinter einer Plexiglasscheibe die Kommunion aus.
Corona hat uns allen deutlich gemacht, was Nähe für Menschen bedeutet und was uns abgeht, wenn Kontakt, Nähe, Berührung und Gemeinschaft fehlt. Auch wenn die meisten wohl rational einsehen, dass Kontaktreduzierung zum Wohle unserer Gesundheit ist, läuft es unserer tief verankerten Sehnsucht nach Nähe und Gemeinschaft zuwider; denn jeder Mensch braucht wenigstens einen anderen zum Gernhaben. Einsamkeit ist auch bei uns in Deutschland, wo ein Fünftel der Menschen allein leben, ein viel zu wenig erkanntes und berücksichtigtes Problem. In einem Vortrag der Sterbeforscherin Kübler Ross, den ich Ende der 80er Jahre besuchte, sprach sie davon, dass nicht nur Kinder, sondern auch die älteren Menschen „verknutscht“ werden wollen.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich halte die
Kontaktreduzierungsmaßnahmen der Bundesregierung für richtig und angemessen.
Aber Corona kann uns dazu anregen über Nähe, Kontakt und Berührung einmal
vertieft nachzudenken. Hierzu einige Impulse
Das Wort Kontakt kommt vom lateinischen Wort tangere,
was „berühren“ bedeutet. In der
Elektrotechnik ist der Kontakt der Berührungspunkt, um eine Stromverbindung
herzustellen; im zwischenmenschlichen Bereich bedeutet es, eine Verbindung mit
jemanden aufzunehmen; allerdings sagt das deutsche Wörterbuch auch, dass die
Berührung zu einer Ansteckung führen kann. Wer jedoch keinen Kontakt
herstellen kann, verliert den Anschluss und wird abgehängt. Intakt
jedoch ist, sagt das Wörterbuch, wer oder was nicht beschädigt, unversehrt und
unberührt geblieben ist.
Taktvoll verhält sich jemand, der ein Feingefühl
dafür hat, welche Nähe zu einem Gegenüber angemessen ist und in der jeweiligen
Situation guttut. Das kann schon bei der Frage beginnen, ob es stimmig ist, einen
Kollegen/Kollegin zu „duzen“. Taktvolle Menschen jedenfalls achten die
physische, seelische und spirituelle Integrität des anderen Menschen.
Diese kann auf verschiedenen Ebenen verletzt werden: herabsetzende und demütigende Worte, grenzüberschreitende physische Berührungen oder geistige Manipulationen wie es besonders im Bereich des spirituellen Missbrauchs geschieht. Nähe und Freundschaft herzustellen über Berührung, geschieht taktvoll dann, wenn sie die Grenzen des anderen respektiert und keine strategischen und manipulativen Nebenabsichten verfolgt.
Zudem können Berührungen innerlich und ganz äußerlich
sein. Ehemalige Komapatienten haben mir erzählt, dass sie genau gespürt
haben, obwohl sie ja scheinbar bewusstlos dalagen, in welcher Haltung sie
gepflegt und gewaschen wurden; sie nahmen vollständig wahr, ob der Pfleger oder
die Krankenschwester ihnen zugewandt war oder ob sie nur wie ein Objekt
behandelt wurden und dabei eine personale Zuwendung völlig fehlte. Die Haltung
und die Art und Weise wie wir berühren, ist dabei entscheidend, und dies nicht
bloß bei Menschen, sondern auch Dingen gegenüber.
Körperliche Berührung steht immer auch in der Gefahr missverstanden zu werden, und ist für einige Menschen und auch Kulturen wichtiger als für andere. Als ich als Seelsorger auf der Intensivstation eines großen Münchner Uniklinik arbeitete, haben wir – die Seelsorger/innen- unsere Berührungen von Komapatienten, die nicht selten traumatisiert waren, immer angekündigt. „Herr…oder Frau… , ich berühre jetzt ihren Arm (oder ich halte ihre Hand), dass sie spüren, dass jemand da ist und sie nicht allein sind…“. Ich bin überzeugt, dass Berührung heilsam, tröstend und Halt gebend sein kann. Einem Sterbenden die Hand zu halten, kann ihn vielleicht durch dessen Angst geleiten, einem Traurigen über den Rücken streicheln, kann ihn trösten und aufmuntern; aber immer kommt es auf mein Feingefühl an, was im Moment dran ist und die eigene lautere Absicht. Das Verhältnis von Nähe und Distanz zu einem anderen Menschen ist jedenfalls immer wieder neu auszuloten.
Berührt, Acryl auf Leinwand
„Es sind die kleinen Dinge, die uns
brauchen, denn wir hauchen, alle Lebensringe in sie ein. Darum ergreift sie
meine Hände voller Liebe, so als bliebe ohne euch am Ende , ein jedes Ding
allein“, dichtete einst Karlfried Graf Dürckheim, der Begründer der
initiatischen Therapie. Was ich berühre, berührt auch mich. Wer achtlos mit den
Dingen umgeht, geht auch achtlos mit sich selbst um.
Auch unser Lernen geht vielfach über das Be-„greifen“,
und Künstler, die ein Werk aus Holz oder Stein schaffen wollen, müssen ihr
Material berühren, anfassen, begreifen und sich ergreifen lassen. Auch beim
Essen und Kauen berühre ich Nahrungsmittel und schmecke sie, wer sein Essen nur
schnell hinunterwürgt, verliert den Geschmack.
Auch wenn wir im Moment auf physische Berührung weitgehend verzichten müssen, ist es wichtig innerlich berührbar zu bleiben. Gute Worte können unser Herz berühren, auch Dichterworte oder die Musik. Auch die Evangelien stellen uns einen Jesus vor, der berührbar ist und Menschen heilsam berührt. Berührt vom Leid der Menschen, die ihm begegnen, berührt er sie so, dass sie aufatmen können. Schon das macht uns darauf aufmerksam, dass die christliche Religion nicht in erster Linie eine moralische oder asketische Religion ist, sondern eine therapeutische, die der Angstüberwindung dient. (vgl. dazu die Arbeiten von Eugen Biser, und Eugen Drewermann).
Jedenfalls kann uns die zumindest physisch berührungsarme
Coronazeit darüber nachdenken lassen, welche Bedeutung Berührung für uns alle und
für mich ganz persönlich hat. Und so wünsche ich Ihnen, dass 2021 wieder viele heilsame
Berührungen möglich machen wird.
Impuls:
Denken Sie einmal darüber nach, welches Ereignis oder
Erlebnis sie in letzter Zeit wirklich berührt hat.
Nehmen Sie einmal die Dinge des Alltags (Kaffeetasse, den
Teller, Blumenvase…..)ganz bewusst in die Hand.
Als Seelsorger begegnet mir immer wieder das Thema Angst. Die Angst ist ein extrem vielschichtiges Thema für das ich nur einige Hinweise und Literaturempfehlungen geben kann, die hoffentlich Betroffenen und Begleitenden weiterhelfen. Angst bewegt viele, jetzt in Zeiten von Corona besonders. Ganz konkretepersönliche Ängste treiben dabei viele Menschen um: die Angst vor Arbeitslosigkeit, um die familiäre Zukunft oder um die Kinder, um die Gesundheit oder ob die Beziehung hält. Wieder andere quälen die „großen Ängste“: die Angst vor der Zukunft, vor Terrorismus und dem „Fremden“, die oft zu Vorurteilen führt, und schließlich die Angst um das Klima und heute vor Corona.
Aber auch seelische und existentielle Ängste bewegen die Menschen heute stärker denn je, so dass manche Autoren vor einem Jahrhundert der Angst sprechen. Manche haben Angst vor dem inneren Chaos, oder die Angst abgelehnt oder verlassen zu werden, viele haben Angst, ob sie auch genügend geliebt werden, oder die Angst, zu kurz zu kommen, die Angst verletzt oder beschämt zu werden, die Angst, ob sie „richtig“ und normal sind; oder die Angst vor Überforderung, alles nicht mehr zu schaffen. Die Angst vor Alter, Einsamkeit und Sinnleere taucht bei manchen ebenso auf wie die Angst vor Krankheit und Sterbenmüssen. Und die Angst vor der Angst. Nicht wenige in unserer Gesellschaft fühlen sich von der Angst bestimmt und von „Angstgespenstern“ umzingelt, zumal viele negative Nachrichten rund um Corona zuletzt auf uns eingeströmt sind. Angst kann depressiv machen oder einen in Panik versetzen. Panik ist der plötzlich auftauchender Schrecken, den man nicht deuten kann (das Wort Panik vom griechischen Gott Pan). Zudem können weit zurückliegende Angsterlebnisse zum Beispiel während des Krieges, die lange verdrängt wurden, in späteren Jahren wieder auftauchen und sogar die nachfolgenden Generationen infizieren und dort weiter wirken. Die Angst ist aber nicht nur negativ, sondern schon in der Tierwelt überlebensnotwendig und auch für uns Menschen ein wichtiges Alarmsystem bei Gefahren. Sie zeigt uns die Grenzen unserer Macht und Möglichkeiten. Doch es gibt auch die Angst, die uns am Leben hindert und der keine entsprechende reelle Gefahr entspricht. Dann handelt es sich meist um neurotische Muster, welche das Seelenleben bestimmen und psychologischen Behandlung bedürfen. Die klassische Psychoanalyse nach Sigmund Freud war der Auffassung, dass die Angst im Kind dadurch entsteht, dass die wichtigen Triebregungen wie Sexualität und Aggression unterdrückt und durch zwanghaftes und angepasstes Verhalten abgewehrt werden. Literatur: eine gute Hinführung zum Thema Angst, auch aus biblischer Sicht, mit sehr vielen praxisnahe Beispielen: Anselm Grün, Verwandle deine Angst- Ein Weg zu mehr Lebendigkeit, Freiburg 2015
von Angst umzingelt
Angst im Körper
Das Wort Angst hat mit Enge und Einengung zu tun, die sich deutlich im Körper spüren lässt; flacher Atem, Druck auf die Brust, zugeschnürte Kehle, erweiterte Pupillen, aber auch Herzrasen, Schweißausbrüche, innere Erstarrung und Zittern können die Folge sein. Menschen, die Angst haben, fühlen sich unsicher, hilflos, angespannt, geschwächt, manche weinen, rennen raus, machen sich klein oder nehmen eine Schutzhaltung ein.
Angst als Impuls zu reifen- die Grundformen der Angst nach Fritz Riemann
Davon, dass in der Angst nicht nur quälende und bedrückende Aspekte stecken, sondern auch Impulse zur Weiterentwicklung und Reifung, geht auch der Psychologe Fritz Riemann aus. In seinem lesenswerten Buchklassiker über die Angst arbeitet er vier Grundformen der Angst heraus, die er entsprechend der psychoanalytischen Theorie Freud´s den Persönlichkeitstypen des Shizoiden, Depressiven, Zwanghaften und Hysterischen zuordnet. So erlebt der shizoide Typ (präorale Phase), der Angst vor der Selbsthingabe. Er hat Angst sich an jemanden oder etwas zu verlieren, und verbindet das mit Ichverlust und Abhängigkeit. Jener Typ hat ein großes Bedürfnis, sich abzugrenzen, und seine Wachstumsaufgabe bestünde darin, Zuneigung, Hingabe und Selbstvergessenheit zu lernen. Der depressive Charaktertyp (orale Phase) hat Angst vor Selbstwerdung, er hat Angst, jemanden oder etwas zu verlieren, er will geborgen und festgehalten werden und hat Angst vor Eigenständigkeit und Selbstbehauptung. Seine Wachstumsaufgabe bestünde aber gerade darin Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu wagen. Die Grundangst des zwanghaften Typs (anale Phase) besteht in der Angst vor Wandlung, die er als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt; er fürchtet sich vor Veränderung, Wechsel und Risiko. Seine Wachstumsaufgabe bestünde darin Neues und Großzügigkeit zu erlernen. Der hysterische Typ hat vorallem Angst vor Endgültigkeit und Festgelegt-werden, gegenteilig zum zwanghaften Typ hat er gerade Angst, dass sich nichts ändert, weil er ein großes Bedürfnis nach Abwechslung, Veränderung und Aufmerksamkeit von anderen hat. Seine Wachstumsaufgabe bestünde darin nüchternen Realitätssinn zu wagen und konsequentes Handeln einzuüben. (Hinweis: es ist durchaus möglich, sich in mehreren Typen wiederzufinden; Literatur: Fritz Riemann, Grundformen der Angst. Eine psychologische Studie, München/Basel 1979).
Der Mensch zwischen Ur-Vertrauen und Ur-Angst
Doch die Angst ist kein Thema von kranken oder neurotischen Menschen. Angst haben wir alle und zwar von Beginn unseres Lebens an, worauf die Musiktherapeutin und Sterbeforscherin Monika Renz hinweist. Sobald wir nämlich die von Urvertrauen, Umhülltsein, paradiesischer Geborgenheit und Frieden geprägte intrauterine Welt bei der Geburt verlassen müssen, taucht mit zunehmendem Bewusstsein (vgl. dazu Mythos im Buch Genesis vom Baum der Erkenntnis) die Frage auf, ob wir überleben können in einer fremden und uns noch unbekannten Welt. Das mitgegebene Urvertrauen schaut der Angst in Form von Verlorenheit- und Bedroht-sein ins Gesicht. Und am Anfang ist noch nicht klar, was uns prägen wird: Die Ur-Angst und ihre Verteidigungsstrategien, die sich nach Monika Renz als Gewalt, Gier und Lüge bemerkbar machen, oder das Ur-Vertrauen. (Literatur, vgl. M. Renz, Zwischen Urangst und Urvertrauen, Paderborn 1996; E. Drewermann, Psychoanalyse und Moraltheologie, Bd. 1 ) Was sich durchsetzt, liegt auch an unserer Kultur, die nicht nur in Tagen von Corona alles andere als optimistisch und hoffnungsvoll stimmt. Tatsächlich wundere ich mich immer wieder wie pessimistisch, nörglerisch und ängstlich viele Menschen in unserer reichen westlichen Welt in die Zukunft blicken, im Unterschied zu Menschen, die in viel ärmeren Ländern mit viel weniger auskommen müssen. Zu einer pessimistischen Zukunftssicht tragen auch politische Parteien bei, welche mit der Angst arbeiten, um Spaltung, Entsolidarisierung und Fremdenfeindlichkeit zu schüren. (Literatur: vgl ausführlicher dazu: Paul Michael Zulehner, Angstlust, Vom Spiel mit der Angst in Politik, Gesellschaft und öffentlichem Diskurs, in: Ulrich H.J. Körtner (Hg.), Theologische Zugänge zu einem ambivalenten Thema, Neukirchen 2001)
Umgang mit der Angst aus spiritueller Hinsicht
Voraus zu schicken ist, dass es eine unseriöse Theologie gibt, die den Glauben als Lösung aller Lebensprobleme sieht, und die Angst als Symptom des Unglaubens oder sogar als gerechte Strafe für die eigene Gottlosigkeit verstehen will. Doch es gibt keine grundsätzliche Angstfreiheit des Glaubens. In der Bibel steht nirgendwo „Ängstige dich nicht!“ 1, so der der Benediktiner David Steindl-Rast, denn die Angst gehört zum Leben und zum Glauben; Angst ist unvermeidlich. Entscheidend ist wie wir damit umgehen. Ich kann die Stacheln aufstellen und mich wehren gegen das, was auf mich zukommt, dann bleibe ich in der Furcht stecken; Furcht bleibt in der Angst stecken. Aber dort wo ich mit (Gott-)Vertrauen durch die Angst hindurchgehe, mich vertrauensvoll in die Angst hineinwage, werde ich auf der anderen Seite in einer größeren Weite herauskommen. Das ist wie bei einer Geburt, auch da muss man durch einen engen Kanal durchgehen und weiß noch nicht, was mit mir geschieht; so lässt sich auch das Sterben als zweite Geburt verstehen, die mit der Todesangst verbunden ist, der ich aber mit meinem Glauben als einem tiefen Vertrauen begegnen kann; einem Vertrauen, dass eine Macht des Lebens (Gott) mich trägt und nicht ins Nichts fallen lässt. Es gilt also von der ersten bis zur letzten Geburt vertrauensvoll durch die Angst hindurch zu gehen statt sich zu sperren und dadurch den möglichen Geburtsprozess zu verhindern. Um dieses Vertrauen zu stärken, schlägt Steindl-Rast vor, alle Gelegenheiten im Leben wahrzunehmen, wofür ich dankbar sein kann. Steindl-Rast hält das „Fürchte Dich nicht“ für den wichtigsten Satz in der Bibel (er kommt dort wohl 365 mal vor) für uns modernen Menschen, doch seien Angst und Furcht zu unterscheiden.
1Steindl-Rast bezieht sich auf den Unterschied zwischen Angst und Furcht, den der Philosoph Sören Kierkegaard eingeführt hat; die Furcht hat ein bestimmtes bedrohliches Objekt, z.B. die Furcht vor dem bissigen Hund), die Angst dagegen ist unbestimmt und gegenstandslos, letztlich die Angst vor dem Nichtsein, taucht auf mit dem Freiheitsbewusstsein des Menschen) (Quelle: Mitschrift eines Interviews mit Steindl-Rast auf youtube, https://www.youtube.com/watch?v=Z_BBaf8HpKA
Spirituelle Impulse zum Umgang mit der Angst
Ich stelle mich meiner Angst. Ich versuche sie in Worten zu beschreiben, ich schreibe sie auf (in ein Tagebuch z.B.), ich suche einen Gesprächspartner, mit dem ich über meine Ängste reden kann. Ich spreche mit meiner Angst. Ich male ein Bild; das meine Angst ausdrückt. Ich betrachte das Bild und tausche mich darüber mit einer Vertrauensperson aus. (Die Gespenster der Angst werden kleiner, sobald ich sie ausdrücken kann. Die verständnisvolle und vertrauenerweckende Stimme eines Gegenübers, menschliche Nähe tut gut, wenn Angst mich aufwühlt.) Ich beginne zu beten. Weil mir in meiner Angst und Verzweiflung eigene Worte fehlen, bete ich in den Worten der Psalmen wie z.B.: „ ER griff aus der Höhe herab und fasste mich, zog mich heraus aus gewaltigen Wassern.“ (Psalm 18). Andere Psalmen: Psalm 23, Psalm 34 oder Jes. 49,15; oder im Jesusgebet wiederhole ich Rhythmus des Atems den Satz: „Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner!“ Ich meditiere biblische Geschichten wie z.B. Matthäus. 14, 22 f, wo Petrus seinen Fuß auf das Wasser setzt, im Vertrauen auf Jesus, der ihm auf dem Wasser entgegenkommt. Ich begebe mich selbst in die Rolle des Petrus und höre Jesu Stimme: „Fürchte dich nicht!“
Aktuell
fühlen sich nicht wenige Menschen aufgrund der Pandemie durch viele Regelungen in
ihrer Freiheit begrenzt und nicht nur physisch, sondern auch mental und
seelisch unfrei. Die Freiheitsrechte, die zu den Menschenechten gehören,
haben eine lange Geschichte hinter sich von der amerikanischen
Unabhängigkeitserklärung 1776 bis zur französischen Revolution. Freiheitsrechte
mussten errungen, erkämpft und verteidigt werden, vorallem gegenüber
totalitären und autoritären Systemen wie wir sie in Deutschland während des
Nationalsozialismus oder mit der Stasiüberwachung in der DDR erlebt haben. Die
Freiheit wie sie in einer demokratischen Gesellschaft in Deutschland über
Jahrzehnte etabliert ist, wurde, -so lange es uns sehr gut ging-, oft allzu
selbstverständlich hingenommen. Nun da die Freiheitsrechte, aus gutem Grund zum
Schutz der Menschen, eingeschränkt werden, spüren wir wieder deutlicher, was
uns die Freiheit wert ist.
Seit jeher
ist Freiheit eines der großen Sehnsuchtsworte der Menschheit, das schon
antike Philosophen in Ihrem Nachdenken beflügelt hat und in unserer Zeit
Songwriter wie Janis Joplin (Me and Bobby McGee: „Freedom is just another word
for nothing left to loose“), Bob Dylan, Richie Heavens, Queen und viele andere
zu ihren Liedern inspiriert hat.
(eine gute Übersicht, philosophischer Einsichten
zum Thema Freiheit, findet sich in: Anselm Grün, Wege zur Freiheit,
Münsterschwarzach 1996)
Welche Lieder verbindest Du/Sie mit
Freiheit?
Doch was ist
Freiheit?
Was verbinde
ich persönlich mit Freiheit? Wo spüre und fühle ich mich frei? Aber auch: Was
in meinem Leben macht mich unfrei?
Ich möchte
im folgenden das riesige Thema rund um den Begriff „Freiheit“ auf zwei
Perspektiven begrenzen und dabei mehr den seelischen als den rechtliche Aspekt
der Freiheit ansprechen: Freiheit als „Freiheit von..“ und Freiheit als „Freiheit
zu“.
1) Freiheit
als „Freiheit von“
Wer frei
werden will, muss sich von vielem befreien, von Einengungen und
Einschnürungen, die mir von außen, von anderen aufgezwungen wurden. Besonders
die ältere Generation litt noch stärker unter Vorschriften, Regeln, Traditionen,
Verboten von Eltern, Pfarrern oder Lehrern, von Familie, von Kirche oder Staat.
Absolute gesetzte Forderungen von außen drangen in das Innere ein, besetzten
die Seele, sperrten Lebensenergien in ein Gefängnis, drückten und dämpften spontane
Lebendigkeit, blockierten Gefühle und Gedanken.
Die Zwänge
,Verbote und Vorgaben (wie man zu
leben hat, was normal und richtig ist..)von Religion und autoritärer Gesellschaft,
die früher das private Ich in seine Schranken verwiesen, sind heute zumindest
in Deutschland weitgehend aufgehoben. Die Jüngeren stehen eher unter dem
Diktat, dass das Leben und die Karriere nun allein in der eigenen Hand liegen,
dass ich mich selbst verwirklichen muss und alles, ja alles möglich scheint,
und wer es nicht schafft, eben selber schuld ist. Durch diese grenzenlosen
Selbstansprüche und die maßlosen Ansprüche der Gesellschaft spüren auch die
Jüngeren so etwas wie Unfreiheit. Zudem sind heute viele Menschen von einem
starken Leistungsdruck und aggressiven Perfektionszwang unfrei gemacht und
werden in einen globalen System des immer „Mehr“ (schneller, höher, weiter
besser, erfolgreicher…) in die Knie gezwungen; manche geraten dadurch in eine
Erschöpfungsdepression(Burnout).
Befreien
muss ich mich auch von dem, was aus meinem eigenen Inneren kommt und mir
die Freiheit nimmt; all das, was mich einsperrt, gefangen hält, auf
erniedrigende Weise bindet:
Da sind wohl
an erster Stelle die Süchte zu nennen: Alkoholismus, Nikotinsucht,
Drogensucht, Esssucht, Arbeitssucht, Sucht nach Stress, Anerkennungssucht,
Machtsucht, Sexsucht, Spielsucht…alle Süchte beeinträchtigen die menschliche
Freiheit und nehmen uns etwas von unserer Menschenwürde. Toleranzprobleme,
Entzugserscheinungen und Willenlosigkeit können die Folge sein.
Welche Süchte kenne ich bei mir
selbst?
Unfrei
machen uns auch schlechte Gewohnheiten, distanzlose Beziehungen, zerstörerische
Bindungen, und besonders unsere Ängste: traumatische Ängste, die wir
aus der Kindheit noch mitschleppen, die Angst verlassen zu werden, Bindungsängste,
die Angst zu kurz zu kommen oder übersehen zu werden, Versagensängste, Ängste,
nicht zu genügen, die Angst vor Krankheit, Ohnmacht, Ausgeliefertsein und schließlich
die Angst vor Sterben und Tod
Was sind meine Ängste, die mich
unfrei ( klein, unterwürfig, eng, starr, sprachlos….) machen?
(Literatur zum Thema Angst: A. Grün,
Verwandle deine Angst, Ein Weg zu mehr Lebendigkeit- Spirituelle Impulse)
Befreiung
gelingt nicht ohne die Begegnung mit dem
eigenen „Schatten“, ohne das Wahrnehmen und Anerkennen der eigenen
Dunkelheiten, des Unerlösten, unliebsam Verdrängten (Neid, Eifersucht, Geiz,
Zorn….) und die Frage wie ich all diese Gefühle verwandeln kann. (zum Thema „Schatten“ empfehle ich das Buch: V. Kast, Der Schatten
in uns, Die subversive Lebenskraft, Düsseldorf, Zürich 2000)
Es geht auch
darum, in der Erinnerungsarbeit, die Fesseln zu lösen, die Menschen in eine
Opferrolle (als Opfer von Verleumdungen, Mobbing, Verletzungen,
rufschädigende Behauptungen..) zwingen. Solches „Fesseln lösen“ ist wichtig, damit
Opfer nicht selbst durch einen verhängnisvollen Kreislauf, selbst zu Tätern
werden. Dazu ist auch Trauerarbeit notwendig, ohne die der Mensch steril und
hart wird.(vgl. dazu: A. Grün, Die Fesseln lösen- Wege aus der Opferrolle,
Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach 2020; und Verena Kast, Abschied von der
Opferrolle. Das eigene Leben leben, Freiburg im Br. 1998, 2013)
Befreiung
geht einher, die eigene Lebensgeschichte
zu erhellen, die Hindernisse zu enttarnen, und sich mit seiner Biografie
auszusöhnen, um sie zu akzeptieren. Ohne dass ich mir selbst und anderen vergeben
kann, bleibe ich unfrei. (Zum Thema Vergebung
empfehle ich das Buch von Melanie Wolfers, Die Kraft des Vergebens, wie wir
Kränkungen überwinden und neu lebendig werden, Herder Verlag 2017)
Befreiung
geschieht auch, indem ich mir meine Lebenswunden
bewusst mache, den Schmerz des
Verschlossenen zulasse, den vergiftenden Hass herauslasse, so dass meine
Panzerungen und Verhärtungen weich werden. Ich kann aufatmen, Atemluft (hebr.ruach,
griech. pneuma) strömt durch mich hindurch. Es ist als ob nach langen
Kerkernächten seelischer Unfreiheit wieder Licht und Wärme meine Seele durchdringen
kann.
Freiheit in Sicht, Acryl auf leinwand
Menschen
mit einer Behinderung
wünschen sich nicht nur, dass die Gesellschaft unnötige physische Barrieren und
Hindernisse aus dem Weg räumt, -dies auch- , aber noch mehr, dass sie mit anderen Augen gesehen werden; mit
den Augen des Respekts, der Wertschätzung und einer grundsätzlichen Akzeptanz.
Die Barrieren in Kopf und Herz in der Gesellschaft machen behinderte Menschen
am stärksten unfrei, und nicht das Angewiesensein auf einen Rollstuhl oder die
Hilfe eines Assistenten, – höre ich zumindest immer wieder. Doch es liegt an mir selbst, wieviel Macht
ich dem anderen über mich gebe. Ich brauche dem anderen nicht soviel Macht über
mich geben, dass er mich demütigen, verletzen, beschämen und dadurch mein
Inneres verformen kann. Solche Distanzierung, auch wenn sie meist nicht völlig
gelingt, könnte hier den Weg in eine größere Freiheit weisen.
2)Freiheit
als Freiheit zu:
Je mehr ich
selbst befreit werde, je weniger Einengungen, Zwänge, Lebensängste,
verdüsternde Schatten mein Leben bestimmen, umso deutlicher wirkt mein Befreit-sein
auch nach außen; umso stärker wirke ich auch befreiend auf andere. Die eigene Befreiung
will sich womöglich entfalten im Befreien all jener, die unterdrückt,
gedemütigt, an den Rand geschoben und in materieller und geistiger Unfreiheit
ihr Leben fristen müssen. Ein Befreiungskampf
für eine gerechtere Welt und Erde, ein Engagement für eine vielfach gedemütigte
Schöpfung. Der freie Mensch will die ganze
Schöpfung in die geschenkte Weite mit hineinnehmen, Tiere nicht gnadenlos
verbrauchen, die Erde nicht maßlos ausbeuten.
(dazu gibt es viele inspirierende Bücher; ich
empfehle das Buch von Papst Franziskus, Laudato Si, die Umwelt Enzyklika des
Papstes, in dem die ökologischen, sozialen und politischen Zusammenhänge
erläutert werden)
Wer
innerlich frei ist, kann sich außerdem auch auf sinnvolle Regeln einlassen.
Nicht
umsonst steht ziemlich am Anfang der Bibel (im Buch Exodus) eine Gottheit, der
sich als Befreier, als Befreiungsgott offenbaren möchte, und uns aus der „Sklaverei“
herausführen will.
Impuls:
Ich könnte
einem Freund/-in, Partner/-in, guten Kollegen/-in meine ganz persönliche
Geschichte erzählen zum Thema Freiheit/Unfreiheit oder sie in mein Tagebuch
aufschreiben.
Ich könnte einen Punkt , der mich besonders angesprochen hat , wie z.B. Sucht, Angst, Schatten, Opferrolle…. für mich persönlich vertiefen, indem ich ein entsprechendes Buch lese und/oder mich mit jemanden darüber austausche.
Corona trifft mitten hinein in einen Zeitgeist, bei dem
immer mehr Akteure auf politischer und privater Ebene nur noch ihre Eigeninteressen verfolgen und
jeder meint, er müsse zuerst und allein wieder „groß“ werden: meine Karriere, mein Ego
, meine Nation („America first“),
meine Partei, meine Gruppe, müssen Vorrang haben; dass einige dabei im
politischen Geschehen auch in Deutschland vor schändlichen Machtspielen ohne
Moral und Anstand nicht haltmachen, haben wir in Thüringen gesehen. Politische
und wirtschaftliche Eigeninteressen gewinnen zunehmend die Oberhand über das
Gemeinwohl.
Die große Idee der Solidarität, von der Arbeiterbewegung des 19.Jahrhundert´s und der christlichen Soziallehre eingefordert, scheint sich immer mehr zu Gunsten von Egoismus, Eigennutz, rücksichtloser Verfolgung eigener Interessen, verbunden mit einer Ausbeutung der Natur, aus Kopf und Herz der Menschen (besonders der reichen westlichen Welt) zu verflüchtigen. Das Recht des Stärkeren und des gefüllten Geldbeutels bestimmen zunehmend den Lauf der Welt. Geld, Statussymbole, Erfolg, persönliches Glück und Lusterleben werden zu obersten Zielen in einer kapitalistischen Geisteshaltung vermarktet , ohne Rücksicht auf die vorhandenen Ressourcen der Erde. Papst Franziskus mahnt in seiner Enzyklika „Laudato Si“ mit Recht an : „Niemals haben wir unser gemeinsames Haus so schlecht behandelt und verletzt wie in den letzten beiden Jahrhunderten…Es wird unerlässlich, ein Rechtssystem zu schaffen, das unüberwindliche Grenzen enthält und den Schutz der Ökosystem gewährleistet, bevor die neuen Formen der Macht, die sich von dem techno- ökonomischen Paradigma herleiten, schließlich nicht nur die Politik zerstören, sondern sogar die Freiheit und Gerechtigkeit.“ (B 53)
Die entgrenzte Produktion im vergötterten, sich autonom
gebärdenden Markt, der seine Dienstfunktion verloren hat, korrespondiert mit
einem entgrenzten Selbst, das jegliches Maß verloren hat, (und dies auch
bezüglich der ausufernden Kommunikation
und Selbstdarstellung innerhalb der sozialen Medien.)
Leben wir nicht zunehmend in einer Welt voller Konsumgüter,
die Habgier, Konkurrenzdenken, Abgrenzung und Äußerlichkeiten schüren, und die uns
zugleich innerlich immer mehr entleeren, seelisch verwüsten und uns in eine
falsche Richtung locken. Mittel wie Geld und Erfolg werden zu obersten Zielen
menschlichen Glücks erklärt. Ziele werden suggeriert, die keinen Stillstand,
keine Unterbrechung zulassen, und uns in eine gesellschaftliche Dynamik
hineinkatapultieren, auf der hitzigen Suche nach immer neuen
Gewinnmöglichkeiten, nach dem neuesten Kick, oder der noch besseren Party, um
ja nichts zu verpassen und womöglich den Kürzeren zu ziehen. Dabei ist
offensichtlich, dass die Verschwendungssucht und Konsumorientierung der
westlichen Welt mit Situationen von extremer Armut und Entmenschlichung in
vielen Teilen dieser Welt kontrastieren.
Zudem scheint die atemlose Hektik der Menschen mit der
zunehmenden Luftverschmutzung zu korrespondieren. Es gibt Meldungen, dass mit
Corona in China`s großen Städten, endlich der Himmel wieder sichtbar wird, oder
dass die Gewässer in den Lagunen Venedigs wieder klarer werden. Manche sprechen
sogar vom Ökovirus, das in Kürze das bewirkt, was die grüne Bewegung (samt
Fridays for future) nicht geschafft hat: keine Fern- und Urlaubsreisen reisen
mehr mit dem Flugzeug, keine Luxusreisen mehr mit Kreuzfahrtschiffen, keine ausgedehnten
Shoppingtouren; Politiker verhandeln mit Hilfe von Videokonferenzen, das Auto
bleibt in der Garage, Klassenabschlussfahrten ins In- und Ausland wurden abgesagt, keine großen Handelsmessen…..das
Klima zumindest verbessert sich. Ob sich auch das Klima zwischen den Menschen
verbessern wird, wird sich noch zeigen.
Vor dem Coronavirus war eine erschreckende Zerrissenheit
auch innerhalb des deutschen Volkes 1) zu beobachten; ein großes Gegeneinander,
ein sich Missverstehen-wollen, ja sogar Hass , Verleumdung, Drohung, Bashing,
Mobbing, was oft in annonyme Weise über
das Netz und die sozialen Medien geschah, war zu beobachten; es schien als ob
der soziale Kitt sich zunehmend auflösen würde und dieser Zerfallsprozess sich
weder von politischen noch kirchlichen Appellen stoppen ließe. Viele vereinzelte
Ich´s, die durch Ängste oder durch kurzfristige Moden manipuliert und in ihrer
Einstellung auf die Durchsetzung der Eigeninteressen focusiert sind, lassen
sich halt schwer für etwas Übergreifendes, Überindividuelles und
Gemeinschaftliches begeistern, das nicht der persönlichen Bedürfnisbefriedigung
dient. Dies betrifft sowohl die persönliche wie die nationale Ebene. Einem
„Ich“, das die Selbstverwirklichung und die Befriedigung der Eigeninteressen an
die erste Stelle setzt, ist ein „Wir“, bei dem es ums Teilen und solidarisches
Engagement geht, das womöglich auch Opfer und Einschränkung verlangt wie ein
Stachel im eigenen Fleisch. Oder anders gesagt, eine hyper-individualiserte
Gesellschaft hat das Glück und den Horizont gemeinschaftlichen Lebens
weitestgehend verloren. Europa hat es nicht zu einer Einheit geschafft was die
Aufnahme von Flüchtlingen betrifft und auch die Vereinten Nationen sind alles
andere als eins. Der sinnvolle Versuch nach zwei Weltkriegen eine
internationale Architektur des Friedens über Regeln und Verträge herzustellen,
wird zunehmend durch autokratisch agierende Präsidenten und Machthaber
ausgehebelt.
Metanoia-Umkehr
Ob die Corona Epidemie uns zu mehr Sorge für das Gemeinwohl,
eine Praxis des Teilens und Füreinander- Sorgens antreibt oder die egoistisch
und auf Eigeninteressen reduzierte Geisteshaltung befördert, steht noch aus.
Beides lässt sich im Moment beobachten.
Doch wie können wir in einer entfesselten Konsumgesellschaft
und einer egomanischen Geisteshaltung einen Sinn für Solidarität, für
Miteinander und Teilen zurückgewinnen? Hilft uns Corona dabei oder verstärkt es
die Abgrenzungstendenzen? Lernen wir mit Corona wieder die Rückgewinnung alter
Tugenden wie die des Maßhaltens und der klugen Selbstbegrenzung, die darauf
verzichtet, die Erde maßlos auszubeuten? Hilft uns diese Epidemie wieder zum
Wert echter mitmenschlicher Begegnung zurück zu finden? Fangen wieder an über
den Sinn und wahren Wert des Lebens nachzudenken, kommen wir zur Besinnung und
fangen wir an, etwas zu verändern?
Oder wird das Virus das Gegenteil bewirken?
Der christliche Begriff vom „Reich Gottes“ zielt zumindest
auf eine Realität, in der es anders sein soll (Mk 10,43)als wir tagtäglich
erleben , wo einer den anderen übervorteilt oder unterdrückt; wir sollen
einander dienen, einander helfen und nicht hängen lassen, einander die Füße waschen und nicht den Kopf,
füreinander dasein. Und „wer bei euch der Erster sein will, soll der Sklave
aller sein“(Mk 10,44), sagt es die biblische Sprache in drastischer Weise.
Doch um nicht bei dieser eher sorgenvollen Bestandsaufnahme
stehen zu bleiben, einige konkrete Beispiele, die ich im Internet fand, wie jetzt
im Moment schon Menschen Solidarität angesichts von Corona üben:
Zu Hause zu bleiben
kann langweilig werden – trotzdem das
Gebot der Stunde, um der Ausbreitung des Coronavirus Herr zu werden.
„Unser Ziel ist es, möglichst viele Menschen zu sensibilisieren und so die
Sars-CoV-2 Ausbreitung zu verlangsamen.“ Auch zu Hause zu bleiben, ist eine Form der Solidarität , die vehindert
ältere, besonders gefährdete und
vorbelastete Menschen zu infizieren.
Eine Supermarktkette
in Australien öffnet ihre Läden wegen der Corona-Pandemie am Morgen vorerst
eine Stunde pro Tag ausschließlich für Senioren. Täglich zwischen 07.00 und
08.00 Uhr morgens dürften nur über 60-Jährige und Menschen mit Behinderung die
Läden besuchen, teilte das Unternehmen am Dienstag mit.
Der
Kunststudent Gregory Borlein bringt es mit einem Graffito im Münchner
Schlachthofviertel auf den Punkt: „The Corona Virus is a Wake up Call
and our Chance to built a new and loving Society“. Das Coronavirus ist ein Weckruf und unsere
Chance auf eine neue, liebevolle Gesellschaft.
Italien macht schwere Tage durch: Viele Erkrankte, viele
Tote, das ganze Land ist in Quarantäne und praktisch lahmgelegt. Doch die
Menschen trotzen der Krise. Siesingen
und tanzen gegen das Coronavirus an – wie hier in Neapel mit dem in der
sizilianischen Stadt populären Lied „A città ‚e Pulecenella“.
In sozialen Medien haben zahlreiche Nutzer daher eine
Solidaritätsaktion gestartet, um genau diesen Menschen zu helfen. Unter #NachbarschaftsChallenge
posteten viele Hilfsangebote, die sie in ihren Wohnhäusern aushängen: „Wir
gehören nicht zur Risikogruppe und können somit unter die Arme greifen, falls
benötigt.“
Die Tafeln, die in Deutschland 1,6 Millionen Bedürftige mit
Essen versorgen, haben unter den Hamsterkäufen wegen des Coronavirus gelitten.
Deren Vorsitzender hat eine große Bitte: „Es gibt wieder genug in den
Supermärkten. Es wäre gut, dass man einen Teil des gehorteten Mehls oder der
vielen Nudeln zur örtlichen Tafel bringt. Wir sollten die im Blick haben,
die sowieso schon zu wenig haben
»Seid
ihr krank, in Quarantäne oder von den Auswirkungen stärker betroffen und
gefährdet, zum Beispiel, weil ihr wohnungslos, alt, vorerkrankt seid? Leidet
ihr an Immunschwäche? Habt ihr Kinder, braucht ihr Hilfe beim Einkauf, jemanden
zum Reden? Dann schreibt hier« – so lautet in etwa die Zusammenfassung, die »Neukölln Solidarisch« regelmäßig immer
wieder postet, damit auch alle Menschen verstehen, um was es hier geht: Vor
allem diejenigen zu unterstützen, die nicht wissen, wie sie die
Herausforderungen der kommenden Wochen bewältigen sollen.
Solidarität
kann auch im Gebet geübt werden, gerade für jene, die durch das Virus
schwer erkrankt sind und für jene, die als Ärzte und Pflegekräfte im Moment auf`s
Äußerste gefordert sind.
1) das Wort „Volk“
ist ambivalent, da für nationalistische und rassistische Zwecke mißbraucht,
aber in diesem Zusammenhang aussagekräftiger als der emotionsfreie Begriff
Gesellschaft)