Kontakt und Berührung

Feste Rituale haben sich im Coronajahr 2020 verändert: Begrüßungsrituale wie das Händeschütteln wurde durch einen Ellbogencheck ersetzt oder durch eine Berührung mit der Fußspitze, keine Umarmung, kein Kuss……auch in den Kirchen musste der Friedensgruß und das gemeinsame Singen untersagt werden und manche Pfarrer teilten hinter einer Plexiglasscheibe die Kommunion aus.

Corona hat uns allen deutlich gemacht, was Nähe für Menschen bedeutet und was uns abgeht, wenn Kontakt, Nähe, Berührung und Gemeinschaft fehlt. Auch wenn die meisten wohl rational einsehen, dass Kontaktreduzierung zum Wohle unserer Gesundheit ist, läuft es unserer tief verankerten Sehnsucht nach Nähe und Gemeinschaft zuwider; denn jeder Mensch braucht wenigstens einen anderen zum Gernhaben. Einsamkeit ist auch bei uns in Deutschland, wo ein Fünftel der Menschen allein leben, ein viel zu wenig erkanntes und berücksichtigtes Problem. In einem Vortrag der Sterbeforscherin Kübler Ross, den ich Ende der 80er Jahre besuchte, sprach sie davon, dass nicht nur Kinder, sondern auch die älteren Menschen „verknutscht“ werden wollen.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich halte die Kontaktreduzierungsmaßnahmen der Bundesregierung für richtig und angemessen. Aber Corona kann uns dazu anregen über Nähe, Kontakt und Berührung einmal vertieft nachzudenken. Hierzu einige Impulse

Das Wort Kontakt kommt vom lateinischen Wort tangere, was  „berühren“ bedeutet. In der Elektrotechnik ist der Kontakt der Berührungspunkt, um eine Stromverbindung herzustellen; im zwischenmenschlichen Bereich bedeutet es, eine Verbindung mit jemanden aufzunehmen; allerdings sagt das deutsche Wörterbuch auch, dass die Berührung zu einer Ansteckung führen kann. Wer jedoch keinen Kontakt herstellen kann, verliert den Anschluss und wird abgehängt. Intakt jedoch ist, sagt das Wörterbuch, wer oder was nicht beschädigt, unversehrt und unberührt geblieben ist.

Taktvoll verhält sich jemand, der ein Feingefühl dafür hat, welche Nähe zu einem Gegenüber angemessen ist und in der jeweiligen Situation guttut. Das kann schon bei der Frage beginnen, ob es stimmig ist, einen Kollegen/Kollegin zu „duzen“. Taktvolle Menschen jedenfalls achten die physische, seelische und spirituelle Integrität des anderen Menschen.

Diese kann auf verschiedenen Ebenen verletzt werden: herabsetzende und demütigende Worte, grenzüberschreitende physische Berührungen oder geistige Manipulationen wie es besonders im Bereich des spirituellen Missbrauchs geschieht. Nähe und Freundschaft herzustellen über Berührung, geschieht taktvoll dann, wenn sie die Grenzen des anderen respektiert  und keine strategischen und manipulativen Nebenabsichten verfolgt. 

Zudem können Berührungen innerlich und ganz äußerlich sein. Ehemalige Komapatienten haben mir erzählt, dass sie genau gespürt haben, obwohl sie ja scheinbar bewusstlos dalagen, in welcher Haltung sie gepflegt und gewaschen wurden; sie nahmen vollständig wahr, ob der Pfleger oder die Krankenschwester ihnen zugewandt war oder ob sie nur wie ein Objekt behandelt wurden und dabei eine personale Zuwendung völlig fehlte. Die Haltung und die Art und Weise wie wir berühren, ist dabei entscheidend, und dies nicht bloß bei Menschen, sondern auch Dingen gegenüber.

Körperliche Berührung steht immer auch in der Gefahr missverstanden zu werden, und ist für einige  Menschen und auch Kulturen wichtiger als für andere.  Als ich als Seelsorger auf der Intensivstation eines großen Münchner Uniklinik arbeitete, haben wir – die Seelsorger/innen- unsere Berührungen von Komapatienten, die nicht selten traumatisiert waren, immer angekündigt. „Herr…oder Frau… , ich berühre jetzt ihren Arm (oder ich halte ihre Hand), dass sie spüren, dass jemand da ist und sie nicht allein sind…“. Ich bin überzeugt, dass Berührung heilsam, tröstend und Halt gebend sein kann. Einem Sterbenden die Hand zu halten, kann ihn vielleicht durch dessen Angst geleiten, einem Traurigen über den Rücken streicheln, kann ihn trösten und aufmuntern; aber immer kommt es auf mein Feingefühl an, was im Moment dran ist und die eigene lautere Absicht.  Das Verhältnis von Nähe und Distanz zu einem anderen Menschen ist jedenfalls immer wieder neu auszuloten.

Berührt, Acryl auf Leinwand

 „Es sind die kleinen Dinge, die uns brauchen, denn wir hauchen, alle Lebensringe in sie ein. Darum ergreift sie meine Hände voller Liebe, so als bliebe ohne euch am Ende , ein jedes Ding allein“, dichtete einst Karlfried Graf Dürckheim, der Begründer der initiatischen Therapie. Was ich berühre, berührt auch mich. Wer achtlos mit den Dingen umgeht, geht auch achtlos mit sich selbst um.

Auch unser Lernen geht vielfach über das Be-„greifen“, und Künstler, die ein Werk aus Holz oder Stein schaffen wollen, müssen ihr Material berühren, anfassen, begreifen und sich ergreifen lassen. Auch beim Essen und Kauen berühre ich Nahrungsmittel und schmecke sie, wer sein Essen nur schnell hinunterwürgt, verliert den Geschmack.

Auch wenn wir im Moment auf physische Berührung weitgehend verzichten müssen, ist es wichtig innerlich berührbar zu bleiben. Gute Worte können unser Herz berühren, auch Dichterworte oder die Musik. Auch die Evangelien stellen uns einen Jesus vor, der berührbar ist und Menschen heilsam berührt. Berührt vom Leid der Menschen, die ihm begegnen, berührt er sie so, dass sie aufatmen können.  Schon das macht uns darauf aufmerksam, dass die christliche Religion nicht in erster Linie eine moralische oder asketische Religion ist, sondern eine therapeutische, die der Angstüberwindung dient. (vgl. dazu die Arbeiten von Eugen Biser, und Eugen Drewermann).

Jedenfalls kann uns die zumindest physisch berührungsarme Coronazeit darüber nachdenken lassen, welche Bedeutung Berührung für uns alle und für mich ganz persönlich hat. Und so wünsche ich Ihnen, dass 2021 wieder viele heilsame Berührungen möglich machen wird.

Impuls:

Denken Sie einmal darüber nach, welches Ereignis oder Erlebnis sie in letzter Zeit wirklich berührt hat.

Nehmen Sie einmal die Dinge des Alltags (Kaffeetasse, den Teller, Blumenvase…..)ganz bewusst in die Hand.