Mit Corona hat niemand gerechnet, alles schien aufwärts zu gehen, zumindest in unseren Breiten, -ein stetig steigender Wohlstand, komplexere Technologien, ein Konsumniveau auf hohem Niveau.. -, Corona hat uns,- völlig unerwartet-, einen Strich durch die Rechnung gemacht, hat Menschenleben gefordert, die Wirtschaft einbrechen lassen; die ärmeren Länder und die ohne regulierenden Staat und funktionierendes Gesundheitssystem wurden teils noch härter getroffen. Nahezu kein Land blieb von dieser Pandemie völlig verschont, die wie eine biblische Plage daherkam und unseren berechnenden und kontrollierenden Geist teils überforderte und vor große Herausforderungen stellte.
Menschen, die sowieso schon am Rande der Gesellschaft lebten, fühlten sich noch einsamer, noch isolierter und abgeschnittener vom pulsierenden Leben. Ohnmacht, Hilflosigkeit und Angst erfasste auch jene, die sich sonst mit Zerstreuungen, -die auf einen Schlag (von heute auf morgen) nicht mehr möglich waren-, über die eigene Sinnleere hinwegtäuschten.
Auch wenn eine gewisse Einsamkeit zum Menschsein gehört und diese sich in unserer individualisierten Gesellschaft verstärkt hat, wurde in der Coronakrise besonders spürbar, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind und welch hoher Wert es ist, miteinander verbunden zu sein. Corona hat neben der egozentrischen Gier bei Hamsterkäufen etc., auch wunderbare Erfahrungen gemeinschaftlichen Lebens aktiviert und unser existentielles Aufeinander- Angewiesenseins weltweit ins Bewusstsein gerückt.
Was bedeutet „Verbundenheit“?
„Verbundenheit“ bedeutet, dass alles Leben mit anderem Leben zusammenhängt oder wie es der Arzt und christliche Theologe Albert Schweitzer (1875-1965), der 1954 den Friedensnobelpreis erhielt, formuliert hat: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ In der „Ehrfurcht vor dem Leben“ aus der Erkenntnis einer umfassenden Verbundenheit mit allem Leben, ja mit dem Sein im Ganzen, dessen Teil der Mensch ist, entdeckte Albert Schweitzer ein Fundament für eine Ethik für alle Kreatur, die alle weltanschaulich-religiösen und kulturellen Unterschiede überbrückt. „Erlebt der Mensch seine Verbundenheit mit allen Wesen, so entspringt daraus die Nötigung zu einem ins Uferlose gehenden Dienen.“ (vgl. DASZ_AS-wissenswert_2017 (albert-schweitzer-heute.de)) Der buddhistische Mönch Thich Nhat Hanh, der sich für einen engagierten Buddhismus einsetzt, benennt diese grundsätzliche Verbundenheit mit „Interbeing“. Diese Verbundenheit bezieht auch die Verbundenheit mit dem Leid anderer Menschen mit ein. Der Zenmeister Bernie Glasman, wurde durch ein tiefgreifendes Erlebnis dieser umfassenden Verbundenheit auch im Leiden und in der Bedürftigkeit, aus der Meditationshalle zur Begegnung und Arbeit mit Menschen am Rande der Gesellschaft und in den Elendsvierteln der Großstädte geführt. „Der rote Faden für mein anhaltendes Engagement ist die Erkenntnis von Leiden und meine Entscheidung etwas dagegen zu tun…Jeder Mensch ist dazu in der Lage, die Stimmen der hungrigen Geister des Universums zu hören. Viele Menschen werden durch ihre Konditionierungen daran gehindert, sie fühlen sich getrennt von anderen und von den Stimmen des Universums…Die Erfahrung der Einheit ist die Wurzel für eine Revolution der Liebe. Liebe zeigt sich im Mitgefühl. Für mich ist Agape Liebe ohne Ego, eine nicht dualistische Form der Liebe.“ (Konstantin Wecker, Bernie Glasman, Es geht ums Tun und nicht ums Siegen, S. 138f.) Für den großen Arzt Albert Schweitzer muss sich Christsein in tätiger Nächstenliebe bewähren. Und der Theologe Johann Baptist Metz spricht von einer Mystik der offenen Augen. „Die Mystik des Christentums sei eine ´Mystik der Mitleidenschaft, die sich vom Leid des Anderen anrühren lässt und handelt. „Das Christentum ist kein blinder Seelenzauber“, fasste er 1997 seine Erkenntnis zusammen: „Es lehrt nicht eine Mystik der geschlossenen, sondern eine Mystik der offenen Augen. Im Entdecken, im Sehen von Menschen, die im alltäglichen Gesichtskreis unsichtbar bleiben, beginnt die Sichtbarkeit Gottes, öffnet sich seine Spur.“(vgl. dazu: Nachruf von Matthias Dobrinski, https://www.sueddeutsche.de/kultur/nachruf-auf-den-theologen-johann-baptist-metz-der-mitleidende-1.4707855)
Die Erfahrung tiefer Verbundenheit, welche das Gegenteil von Trennung und Fragmentierung ist, kann heilsam sein, ja heilen und motivieren. Familien und Firmen brauchen Rituale, welche diese Verbundenheit fördern, ans Tageslicht befördern, und sie vermitteln. Nicht selten erlebe ich auch in den Trauerfeiern hier in der Pfennigparade eine tiefe Verbundenheit der Anwesenden untereinander, aber auch mit dem Verstorbenen. Verbundensein mit dem, was über uns als Person hinausreicht, kann man auch als Seele bezeichnen. Die Verbundenheit mit sich selbst, mit seinen Gefühlen und Gedanken, auch mit seinen Krankheiten und Schwächen und nicht zuletzt mit der Mitwelt, können uns aus Isolation und Vereinsamung befreien.
Spirituelle Meister sind sich einig, dass ein kontemplatives Leben, ein Leben der Verbundenheit ist. „Kontemplation heißt Verbundenheit und aus der Verbundenheit heraus Ja zu sagen zu allem und zu allen Menschen….Aus dieser kontemplativen Erfahrung der Verbundenheit heraus wird unsere Arbeit eine andere Qualität bekommen, wenn wir anerkennen, dass wir nicht allein sind, sondern angewiesen aufeinander.“ (Anselm Grün, in: Anselm Grün, David Steindl-Rast, im Gespräch mit Johannes Kaup, Das Glauben wir, Spiritualität für unsere Zeit, Münsterschwarzach 2015, S.111). Gegen den Trend einer egozentrischen Selbstverwirklichung gilt es heute wieder neu den Wert von tiefen, lebensfördernden und zweckfreien Beziehungen zu entdecken. Gemeinsam stehen wir vor den Herausforderungen einer Zukunft, die von uns Entschiedenheit, Tapferkeit und Mut verlangt, geleitet von einem Geist der Verbundenheit.
Die Schriftstellerin Carolin Emcke hat vor einiger Zeit auf einen Begriff, der aus dem Hawaianischen stammt, aufmerksam gemacht: „Kipuka“. Kipuka bezeichnet einen Flecken oder Streifen Land, der nach einem Vulkanausbruch von der herunterströmenden Lava verschont geblieben ist. Etwas in der Zerstörung, das unversehrt und heil geblieben ist und von dem aus sich nach der Katastrophe neues leben ausbreiten kann; ein unbedeutendes Stück Land, dass lebensspendend wird. Und sie verweist mit dem Begriff auf das, was für uns in finsteren Zeiten, manchmal erst in der Rückschau, lebensrettend sich erwiesen hat. Ihr Fazit lautet: „Wovon alle berichten, die antiken Mythen, die religiösen Erzählungen, die Zeugnisse von Überlebenden, was allen das Existentiellste war: die Freundschaft, die Hinwendung zu einer anderen Person oder einer Gemeinschaft. Sich um andere zu sorgen, sich für andere zu verausgaben, sich mit anderen zu verbinden, von anderen zu lernen, alles einzusetzen, was man hat, und es zu teilen- das ist das, was ein Flecken Kipuka schafft, eine Zone, die unversehrt bleibt und die am Ende, nach der Katastrophe, heraussticht.“(https://carolin-emcke.de/category/publikationen/kolumne/)
Gustav Schädlich-Buter