„Eigentlich ist Weihnachten ganz anders“, schreibt Andrea Schwarz in ihrem gleichnamigen Buch und führt diesen Gedanken in einem kleinen meditativ- poetischen Text aus:
„ wenn ich malen könnte/würde ich ein kleines/ schäbiges Haus malen// ganz klein/ in ganz viel Weite/ und mit ganz viel Verlorenheit//und mit ganz viel Dunkel drumherum/ und der Sturm der dahinfegt/ und die Kälte die zittern lässt// und die Hoffnungslosigkeit/ und die Angst/ und die Sorge// und dann würde ich/ mitten in dieses kleine schäbige Haus/ mit dem gelbesten Gelb einen Punkt setzen// und diesem Bild/ würde ich dann den Titel/ / du / geben.“
Andrea Schwarz, Eigentlich ist Weihnachten ganz anders, Freiburg im Breisgau 2014, S. 113)
Andrea Schwarz zeichnet hier mit Worten ein Bild von Weihnachten, das so gar nichts mit stimmungsvollen Weihnachtsmärkten, trauten Familienfeiern oder idyllischen Krippendarstellungen zu tun hat. Verlorenheit, Dunkelheit, Kälte, Hoffnungslosigkeit, Angst und Sorge sind die Stichwörter, welche ihre Vorstellung von Weihnachten zunächst beschreiben. In dieser unwirtlichen Lebenslandschaft steht das „Haus“, unser Lebenshaus, unser Weltenhaus, das bedroht ist durch Krisen und Kriege, durch persönliche oder kollektive Schicksalsschläge. Nicht umsonst werden zu Beginn der Adventszeit die apokalyptischen Texte in der Liturgie gelesen.
Doch es bleibt nicht dabei, der zentrale Punkt wird in „gelbesten Gelb“ gemalt, verwandelt die dunkle, kalte und einsame Szenerie des Bildes. Hoffnung taucht auf, unerwartet, eine Hoffnung, die nicht unpersönlich bleibt, sondern ein Du ist, ein Gegenüber, also jemand, der ansprechbar ist. Der Weg unseres Lebens endet nicht im Tod und im Nichts, sondern führt zu einem neuen Leben und ungeahnten Aufbruch.
Existentiell betrachtet wird angedeutet, dass in der Nacht der „Krisen“ (der Verluste, Niederlagen, Scheitern, des Todes …), in der dunklen Nacht der Sinne und des Geistes, in der alle Glaubensvorstellungen und Praktiken fraglich geworden sind, also an einem Tiefpunkt des Lebens, etwas Neues aufbrechen und in mein Leben einbrechen kann; ein gelber Punkt, ein helles Licht kann aufgehen, das ich nicht erwartet habe, eine unerwartete Neugeburt kann geschehen, die mit dem neugeborenen Kind Jesus in Verbindung gebracht wird. Erlösendes Licht taucht in der Dunkelheit unseres Menschseins auf.
Solche „Nächte“ können eine besondere Zeit der Wachsamkeit sein, in welcher die Seele empfangsbereiter wird, um das Neue und Geheimnisvolle des Lebens wahr zu nehmen.
Diese Vorstellung von Weihnachten, mit dem Bild, das Andrea Schwarz gezeichnet hat, kommt den Darstellungen orthodoxer Weihnachtsikonen sehr nahe. Auf diesen Weihnachtsikonen ist keine heimelige Familienszene dargestellt, sondern ein schwarzes Loch, in dem ein Kind, getrennt von seiner Mutter und den übrigen Figuren liegt. Der Einbruch Gottes in diese Welt, wird als etwas Numinoses, Furchterregendes, unsere Gewohnheiten durchbrechendes Ereignis dargestellt (die Hirten erschrecken in der Weihnachtsgeschichte), das uns womöglich auch einsam macht. Die Krippendarstellungen auf den Ikonen der orthodoxen Christen unterscheiden sich erheblich von den uns bekannten, welche die Geburtgeschichte Jesu mit den dazugehörigen Figuren in eine romantische Umgebung aus einer vorindustriellen Zeit verlagern. Das atemberaubend Neue und ganz Andere, das in unsere Welt mit der Menschwerdung Gottes einbricht, wird dadurch verharmlost, unkenntlich gemacht und in unsere bekannte Vorstellungswelt domestiziert. (vgl. dazu ausführlicher, B. Schellenberger, Im Glanz des göttlichen Lichtes, Orthodoxe Mystik: Geheimnis und Herausforderung, München 2014)
Zudem rücken bei den meisten Weihnachtspredigten die sozialen Appelle (helfen, teilen, aufnehmen, spenden, … so wichtig jene im Einzelnen sein mögen), derart in den Vordergrund, dass die religiöse Botschaft, um welche es den ersten Evangelisten ging, zunehmend unter den Tisch fällt; nämlich, dass ein völlig anderer als wir Menschen es fassen können, in unserer Welt erscheint (das ursprüngliche Weihnachtsfest der Christen war ein Epiphanie Fest/das Erscheinungsfest Gottes in der Welt), uns umgestaltet und erneuert.
Oder um die Bilder des Adventsliedes „Es ist ein Ros entsprungen“ aus dem Jahre 1609 zu gebrauchen: es geht um das Blümelein, das mitten im kalten Winter, mit seinem hellen Scheine, die Finsternis vertreibt. Das Leiden und das Schwere im Leben kann zur Tür werden, um Gott zu erfahren und uns zu erleuchten.
Gustav Schädlich-Buter