In dem Dokumentarfilm „Nicht ohne uns“ (Erscheinungsdatum 2017) von Sigrid Klausmann nach einer Idee von Walter Sittler, in dem Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Kontinente befragt werden, sagt der 11-jährige Enjo aus der Schweiz: „Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wieso ich in die Welt hineingeboren wurde.“
Wer darauf auch später keine Antwort findet, wird sich aller Voraussicht nach in einigen Jahre mit Lärm, Alkohol oder Internet betäuben, phantasielos und ohne Schwung seinen Job herunterreißen, mit Partner oder Partnerin angeödet vor dem Fernseher sitzen und nichts mehr Wesentliches in seinem Leben erwarten. Resignierte und abgestumpfte Menschen, die sich abgefunden haben mit den kleinen, harmlosen Wünschen und Annehmlichkeiten, und ein sogenanntes „normales“ Leben führen.
Welch trauriges Gegenbild zu der im Frühling aufbrechenden Natur, zur Wurzel- und Grünkraft der Bäume, zum Sprießen und Aufblühen der Gräser und Blumen. Haben wir uns von den Wurzeln des Lebens abgeschnitten und entfernt? Fehlen uns,- besonders uns in der westlichen Wohlstandsgesellschaft-, die Visionen und begeisternde Träume, die über die basalen Absicherungsbedürfnisse hinausgehen? (vgl. Joel 3,1) Leiden nicht viele an Übersättigung, auch durch die vielen jederzeit erhältlichen Information und medialen Inputs?
Jemand verglich Menschen, die im dauerhaften Wohlstand leben mit Zierfischen, welche im gefahrlosen, langweiligen Aquarium, -gefüttert und satt-, ihre langweiligen Runden schwimmen; nur ab und zu erinnern sie sich an die Tiefen und Abenteuer des großen Meeres, in dem sie einst schwammen, und machen dann kurze heftige Bewegungen.
Tatsächlich, so scheint es mir, sind die Türen der Sehnsucht für viele zugeschlagen und die Antennen für das Göttliche und alles Transzendente von den Häusern abmontiert, auch die Sprache für das Absolute ist verloren gegangen, die Kathedrale des „Heiligen“- besonders jene in der eigenen Seele- bleibt unbewohnt. Nicht wenigen scheint Berieselung und leichte Kost, Kreuzworträtsel und Televisionen von Privatsendern für das eigene Lebensglück zu reichen. Das große, tiefe und gefährliche Meer ist ebenso vergessen wie der unendlich weite Kosmos.
Die eigene Lebendigkeit und Sehnsucht wieder zu entdecken, hängt nach biblischer Auskunft an einer Inspiration (wörtlich „Einhauchung oder Beatmung“), also daran, dass wir neues Leben und Atem eigehaucht bekommen (vgl. die Schöpfungsgeschichte Gen 2,7, Joel 3,1). Daran erinnert auch das Pfingstfest, das wohl unverstandenste christliche Fest vom heiligen und heilenden Geist. Das lateinische Wort „spiritus“ bedeutet sowohl Geist wie auch Wind und Atem. Es geht um eine neue Beatmung unseres Inneren, unserer Seele, unseres womöglich matt und flach gewordenen Atemstromes. Dort, wo uns der heilige Wind anrührt, atmen wir tief ein und tief aus. Der Heilige Geist, das ist wie der Wind, der uns berührt und uns sanft über die Wangen streichelt, der uns heftig anbläst, dass wir aufwachen und in Bewegung kommen. „Komm Heiliger Geist“, heißt es in der Pfingstsequenzund löse uns aus unserer Starrheit, locke uns heraus aus den Gefängnissen unserer satten Trägheit und sende uns vom Himmel her deinen Weckruf. Weite unsere enge, kleinliche und egoistische Sichtweise, befreie unsere Seele zu Dir hin, zum Schöpfer allen wahren Lebens und zu den Menschen, für die wir verantwortlich sind.
Der Heilige Geist, das ist auch Feuerkraft und Licht, das die Dunkelheit unserer Welt und unserer Seele von innen her erleuchtet; Licht, das hell macht, was finster ist, und uns den Weg zeigt, wenn wir im Dunklen tappen, stolpern, gefallen sind oder an Abgründen uns bewegen. Die Strahlen dieses Lichtes sollen unseren Lebensweg erleuchten, damit wir weiter gehen können, besonders inmitten von Krisen und Umbrüchen, die uns herumbeuteln. Die Strahlen seines Lichtes, das vom Himmel herkommt (und nicht aus unserem Erkenntnisvermögen), soll uns neue Perspektiven eröffnen, uns die verdunkelnde Furcht und Angst nehmen, die uns blind macht für die uns innewohnende geschenkte Liebe, die unbedingt an uns glaubt und will, dass wir sind.
Howard Thurmann, amerikanischer Bürgerrechtsaktivist und Mentor von Dr. Martin Luther King jr. gibt für das Lebendigwerden noch folgende Empfehlung:
„Frage nicht, was die Welt braucht, frage dich selbst, was dich lebendig macht …und tue das; (denn) was die Welt braucht, das sind Leute, die lebendig geworden sind.“
Alles, was mich lebendig macht, belebt, inspiriert, ins Fließen bringt, könnte mich also zu meiner ur-eigenen Berufung führen.
Der Benediktiner David-Steindl-Rast hat dazu folgende grundlegende Fragen formuliert, die ich an Sie als Impuls weitergeben möchte:
Impuls:
Was würde ich wirklich gerne tun? Was bereitet mir eine tiefe und nachhaltige Freude?
Was kann ich gut? Wo bin ich gut? (worin drücke ich die Einzigartigkeit und Einmaligkeit meiner Person am besten aus? Was sind meine Talente und Begabungen?)
Welche Gelegenheit gibt mir das Leben gerade jetzt, um das zu tun, was mich mit Freude lebendig macht? Wozu lädt mich das Leben gerade jetzt ein? (um das herauszufinden, müssen wir aber anhalten und mit den Ohren des Herzens horchen und bereit sein, uns überraschen zu lassen)
Gustav Schädlich-Buter