Vertrauen in unsicheren Zeiten

Vertrauen in unsicheren Zeiten

In der letzten Phase unserer Ausbildung zur Seelsorge hatten wir einen Kurs mit Pater Josef Sudbrack, einem Jesuiten, der ein anerkannter Fachmann für Spiritualität und Mystik war. Neulich fiel mir Pater Sudbrack, der inzwischen verstorben ist, wieder ein, aufgrund eines kurzen Gesprächs, das ich mit ihm hatte. Pater Sudbrack war kriegsverwundet und ihm musste deshalb als 19 Jährigem 1944 ein Bein amputiert werden. Und so kamen wir auf den Krieg zu sprechen und ich fragte ihn, wie er das alles seelisch heil überstanden hat. Er sagte, dass all die schlimmen Erfahrungen, auch der Verlust seines Beines, ihn nicht wirklich aus der Bahn geworfen haben, denn er habe eine so gute und behütete  Kindheit in Trier bei seiner Eltern, die eine Bäckerei hatten, erlebt, dass selbst das Schreckliche des Krieges diese Basis nicht zu zerstören vermochte. Das beeindruckte mich damals sehr. Glücklich also, wer eine so gute Basis für sein Leben bekommen hat, ein Urvertrauen, das wie ein Haus der Persönlichkeit stabil steht, dass es allen Stürmen des Lebens trotzen kann und selbst wenn es die im Leben unvermeidlichen Risse gibt nicht einstürzt. Das Wort Vertrauen reißt viele Themen an: Urvertrauen, Selbstvertrauen, Gottvertrauen…Wer schenkte mir Vertrauen und wem vertraue ich?

Ohne konkrete Personen zu nennen, würde ich auf die letzte Frage antworten:

Vertrauen schenke ich der Person, die mich annimmt wie ich bin mit meinen Stärken und meinen Schwächen, die mir meine Fehler verzeiht und mich in keine Schublade einsperrt, die es ehrlich mit mir meint sowohl was Lob als auch was Kritik betrifft, und die mich nicht für irgendwelche Zwecke missbraucht statt mich um meiner selbst willen gern zu haben; und sie müßte „da“ ist, wenn ich in Not und Hilfe brauche.

Die Entwicklungspsychologen weisen uns daraufhin, das Vertrauen nicht angeboren ist, sondern sich entwickeln und entfalten muss, vorallem durch verlässliche und verbindliche Beziehungen; Vertrauen  baut sich auf über Blickkontakt, Sprache, Dialog, und über  Einfühlung, in das, was ein Baby oder Kleinkind an Nahrung und Schutz braucht. Wem Vertrauen geschenkt wird, der kann zu einem vertrauenswürdigen Menschen heranwachsen und später selbst Vertrauen wagen. Wer als Kind ständig kritisiert, bevormundet, besserwisserisch abgekanzelt, überängstlich beschützt, mit ambivalenten Botschaften gefüttert, oder ausschließlich nach seiner Leistung in der Schule beurteilt wurde, der kann im Leben als Erwachsener nur schwer ein Vertrauen in sich selbst entwickeln und auch Krisen schwerer bestehen. Menschen ohne vertrauensvolle Beziehungen werden nicht selten über kurz oder lang krank an Leib und Seele. Heilung liegt im geschenkten Vertrauen anderer Personen. Vertrauen ist also zunächst ein Geschenk, durch das ich mich selbst als liebenswert erleben kann, und das ich mir nicht selbst geben kann.

Beschützt und getragen

Wer vertrauensvolle Beziehungen erlebt, bekommt Vertrauen in sich selbst und die eigenen Fähigkeiten, bekommt Selbstwert, es wächst im Kind  die Lust, in die Welt“ hinaus zu gehen und seine Talente zu erproben. Vertrauen scheint so elementar wie die Luft zum Atmen. Dort, wo es fehlt, auch in Arbeitskontexten, wo es keinen Vertrauensvorschuss mehr gibt, der Spielräume schenkt, herrscht früher oder später eine Atmosphäre der Kontrolle, Überwachung und Angst. Auch in Partnerschaften führt mangelndes Vertrauen zu Eifersucht, und Mißtrauen. Jeder Vertrauensvorschuss birgt natürlich auch das Wagnis in sich, enttäuscht zu werden, wobei ja niemand seinen Verstand völlig ausschalten muss, um allzu naiv und vertrauensselig ins offene Messer zu laufen.

Doch jede wichtige Entscheidung braucht Vertrauen, ob bei der Berufs- oder Partnerwahl. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht, was uns gerade die Pandemie überdeutlich vor Augen führt. Aber schon vor Corona stellten sich viele Menschen die Frage: Ist diese Welt vertrauenswürdig? Überall auf der Welt Fake News, Korruption, Ungerechtigkeit und Machtmißbrauch. Wem kann ich noch wirklich vertrauen? Angst und Unsicherheit haben sich besonders in unsere Wohlstandsgesellschaften eingeschlichen und sich mit der Coronapandemie verstärkt. Viele Menschen erleben einen Kontrollverlust, sind vom bekannten Weg in ein für nicht wenige äußerst  bedrohliche erlebtes unbekanntes Gelände abgesetzt worden; die Institutionen, die Sicherheit geben sollen, Politik und Kirche zum Beispiel, scheinen sich auch nur mühsam im Nebel vorantasten zu können.

Was ist jetzt mit dem Vertrauen? Wie können wir es zurückgewinnen, zumindest soweit, dass uns die Ängste und Unsicherheiten des Lebens angesichts der Pandemie nicht verschlucken?

Vielleicht hilft uns schon die Einsicht etwas weiter, dass es sowieso eine Illusion ist, an eine absolute Sicherheit zu glauben. Wer hätte nicht schon im eigenen Leben erlebt, dass Pläne durchkreuzt wurden (wer wüßte dies nicht besser als viele, die in der Pfennigparade leben und arbeiten), dass es Überraschungen gab, die uns einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, dass die letzte Etappe zum Berggipfel durch einen unvorhersehbaren Wettereinbruch verhindert wurde, oder wie neulich der Weltumsegler Boris Herrmann kurz vor dem Ziel, in das er als Sieger hätte einlaufen können, mit einem „blöden“, unbeleuchteten Fischkutter zusammenprallte.

Manches im Leben braucht wohl den Abstand im Humor, gewiss manchmal mag es Galgenhumor sein. So sagte schon Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, zu unserem tief verankerten Bedürfnis nach Sicherheit etwas augenzwinkernd: „Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern.“ Auch so manche gelassene und lange gewachsene Lebensweisheit, kann uns wieder auf den Boden des Vertrauens bringen, wie es der kölsche Glaubenssatz zum Ausdruck bringt: “Et kütt, wie et kütt! Et hätt noch emmer joot jejange! Wat fott es, es fott! Et bliev nix, wie et wor! Wat wells de maache!“ Übersetzt: Es kommt wie es kommt, – damit begegneten die Rheinländer sowohl den durchziehenden Heeren wie auch dem Rheinhochwasser; und mit „es ist noch immer gut gegangen“, wollten sie sagen, dass wir uns nicht in einem rabenschwarzen Pessimismus und den damit verbundenen zerstörerischen Kräften überlassen sollten. Warum also nicht einwenig nach all den sicher wichtigen und notwendigen Anstrengungen einwenig kluge Schicksalsergebenheit und ein positiver Fatalismus, der eingesteht, dass wir nicht alles in der Hand und unter Kontrolle haben können(vgl. dazu ausführlicher das kluge Buch „Lob des Fatalismus“, vom SZ Journalisten Matthias Dobrinski, dem ich wichtige Anregungen verdanke und das ich als Lektüre sehr empfehlen kann). Oder wer es etwas religiöser haben will, dem mag die Einsicht und Bitte des amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr ans Herz gelegt werden: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Sicher sind es, um auf Pater Sudbrack zurück zu kommen, auch ganz konkrete Menschen, die Vertrauen  und Ruhe ausstrahlen in dieser unsicheren Zeit und uns zumindest für Momente mit hineinnehmen in dieses Urvertrauen, dass die Welt schon gut und vertrauenswürdig ist, wie es uns Genesis in der Schöpfungsgeschichte verspricht.

Und nicht zuletzt kann auch ein liebevoll zubereitetes Mittag- oder Abendessen und ein Strauß Blumen auf dem Tisch diesen Glauben stärken (trotz Fastenzeit).

Gustav Schädlich-Buter

Angst

Angst- ein vielschichtiges Phänomen

Als Seelsorger begegnet mir immer wieder das Thema Angst. Die Angst ist ein extrem vielschichtiges Thema für das ich nur einige Hinweise und Literaturempfehlungen geben kann, die hoffentlich Betroffenen und Begleitenden weiterhelfen.
Angst bewegt viele, jetzt in Zeiten von Corona besonders. Ganz konkrete persönliche Ängste treiben dabei viele Menschen um: die Angst vor Arbeitslosigkeit, um die familiäre Zukunft oder um die Kinder, um die Gesundheit oder ob die Beziehung hält.
Wieder andere quälen die „großen Ängste“: die Angst vor der Zukunft, vor Terrorismus und dem „Fremden“, die oft zu Vorurteilen führt, und schließlich die Angst um das Klima und heute vor Corona.


Aber auch seelische und existentielle Ängste bewegen die Menschen heute stärker denn je, so dass manche Autoren vor einem Jahrhundert der Angst sprechen. Manche haben Angst vor dem inneren Chaos, oder die Angst abgelehnt oder verlassen zu werden, viele haben Angst, ob sie auch genügend geliebt werden, oder die Angst, zu kurz zu kommen, die Angst verletzt oder beschämt zu werden, die Angst, ob sie „richtig“ und normal sind; oder die Angst vor Überforderung, alles nicht mehr zu schaffen. Die Angst vor Alter, Einsamkeit und Sinnleere taucht bei manchen ebenso auf wie die Angst vor Krankheit und Sterbenmüssen. Und die Angst vor der Angst.
Nicht wenige in unserer Gesellschaft fühlen sich von der Angst bestimmt und von „Angstgespenstern“ umzingelt, zumal viele negative Nachrichten rund um Corona zuletzt auf uns eingeströmt sind. Angst kann depressiv machen oder einen in Panik versetzen. Panik ist der plötzlich auftauchender Schrecken, den man nicht deuten kann (das Wort Panik vom griechischen Gott Pan).
Zudem können weit zurückliegende Angsterlebnisse zum Beispiel während des Krieges, die lange verdrängt wurden, in späteren Jahren wieder auftauchen und sogar die nachfolgenden Generationen infizieren und dort weiter wirken.
Die Angst ist aber nicht nur negativ, sondern schon in der Tierwelt überlebensnotwendig und auch für uns Menschen ein wichtiges Alarmsystem bei Gefahren. Sie zeigt uns die Grenzen unserer Macht und Möglichkeiten.
Doch es gibt auch die Angst, die uns am Leben hindert und der keine entsprechende reelle Gefahr entspricht. Dann handelt es sich meist um neurotische Muster, welche das Seelenleben bestimmen und psychologischen Behandlung bedürfen.
Die klassische Psychoanalyse nach Sigmund Freud war der Auffassung, dass die Angst im Kind dadurch entsteht, dass die wichtigen Triebregungen wie Sexualität und Aggression unterdrückt und durch zwanghaftes und angepasstes Verhalten abgewehrt werden.
Literatur: eine gute Hinführung zum Thema Angst, auch aus biblischer Sicht, mit sehr vielen praxisnahe Beispielen: Anselm Grün, Verwandle deine Angst- Ein Weg zu mehr Lebendigkeit, Freiburg 2015

von Angst umzingelt

Angst im Körper

Das Wort Angst hat mit Enge und Einengung zu tun, die sich deutlich im Körper spüren lässt; flacher Atem, Druck auf die Brust, zugeschnürte Kehle, erweiterte Pupillen, aber auch Herzrasen, Schweißausbrüche, innere Erstarrung und Zittern können die Folge sein.
Menschen, die Angst haben, fühlen sich unsicher, hilflos, angespannt, geschwächt, manche weinen, rennen raus, machen sich klein oder nehmen eine Schutzhaltung ein.

Angst als Impuls zu reifen- die Grundformen der Angst nach Fritz Riemann

Davon, dass in der Angst nicht nur quälende und bedrückende Aspekte stecken, sondern auch Impulse zur Weiterentwicklung und Reifung, geht auch der Psychologe Fritz Riemann aus. In seinem lesenswerten Buchklassiker über die Angst arbeitet er vier Grundformen der Angst heraus, die er entsprechend der psychoanalytischen Theorie Freud´s den Persönlichkeitstypen des Shizoiden, Depressiven, Zwanghaften und Hysterischen zuordnet. So erlebt der shizoide Typ (präorale Phase), der Angst vor der Selbsthingabe. Er hat Angst sich an jemanden oder etwas zu verlieren, und verbindet das mit Ichverlust und Abhängigkeit. Jener Typ hat ein großes Bedürfnis, sich abzugrenzen, und seine Wachstumsaufgabe bestünde darin, Zuneigung, Hingabe und Selbstvergessenheit zu lernen.
Der depressive Charaktertyp (orale Phase) hat Angst vor Selbstwerdung, er hat Angst, jemanden oder etwas zu verlieren, er will geborgen und festgehalten werden und hat Angst vor Eigenständigkeit und Selbstbehauptung. Seine Wachstumsaufgabe bestünde aber gerade darin Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu wagen.
Die Grundangst des zwanghaften Typs (anale Phase) besteht in der Angst vor Wandlung, die er als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt; er fürchtet sich vor Veränderung, Wechsel und Risiko. Seine Wachstumsaufgabe bestünde darin Neues und Großzügigkeit zu erlernen.
Der hysterische Typ hat vorallem Angst vor Endgültigkeit und Festgelegt-werden, gegenteilig zum zwanghaften Typ hat er gerade Angst, dass sich nichts ändert, weil er ein großes Bedürfnis nach Abwechslung, Veränderung und Aufmerksamkeit von anderen hat. Seine Wachstumsaufgabe bestünde darin nüchternen Realitätssinn zu wagen und konsequentes Handeln einzuüben.
(Hinweis: es ist durchaus möglich, sich in mehreren Typen wiederzufinden;
Literatur: Fritz Riemann, Grundformen der Angst. Eine psychologische Studie, München/Basel 1979).

Der Mensch zwischen Ur-Vertrauen und Ur-Angst

Doch die Angst ist kein Thema von kranken oder neurotischen Menschen. Angst haben wir alle und zwar von Beginn unseres Lebens an, worauf die Musiktherapeutin und Sterbeforscherin Monika Renz hinweist. Sobald wir nämlich die von Urvertrauen, Umhülltsein, paradiesischer Geborgenheit und Frieden geprägte intrauterine Welt bei der Geburt verlassen müssen, taucht mit zunehmendem Bewusstsein (vgl. dazu Mythos im Buch Genesis vom Baum der Erkenntnis) die Frage auf, ob wir überleben können in einer fremden und uns noch unbekannten Welt. Das mitgegebene Urvertrauen schaut der Angst in Form von Verlorenheit- und Bedroht-sein ins Gesicht. Und am Anfang ist noch nicht klar, was uns prägen wird: Die Ur-Angst und ihre Verteidigungsstrategien, die sich nach Monika Renz als Gewalt, Gier und Lüge bemerkbar machen, oder das Ur-Vertrauen.
(Literatur, vgl. M. Renz, Zwischen Urangst und Urvertrauen, Paderborn 1996; E. Drewermann, Psychoanalyse und Moraltheologie, Bd. 1 )
Was sich durchsetzt, liegt auch an unserer Kultur, die nicht nur in Tagen von Corona alles andere als optimistisch und hoffnungsvoll stimmt. Tatsächlich wundere ich mich immer wieder wie pessimistisch, nörglerisch und ängstlich viele Menschen in unserer reichen westlichen Welt in die Zukunft blicken, im Unterschied zu Menschen, die in viel ärmeren Ländern mit viel weniger auskommen müssen. Zu einer pessimistischen Zukunftssicht tragen auch politische Parteien bei, welche mit der Angst arbeiten, um Spaltung, Entsolidarisierung und Fremdenfeindlichkeit zu schüren.
(Literatur: vgl ausführlicher dazu: Paul Michael Zulehner, Angstlust, Vom Spiel mit der Angst in Politik, Gesellschaft und öffentlichem Diskurs, in: Ulrich H.J. Körtner (Hg.), Theologische Zugänge zu einem ambivalenten Thema, Neukirchen 2001)

Umgang mit der Angst aus spiritueller Hinsicht

Voraus zu schicken ist, dass es eine unseriöse Theologie gibt, die den Glauben als Lösung aller Lebensprobleme sieht, und die Angst als Symptom des Unglaubens oder sogar als gerechte Strafe für die eigene Gottlosigkeit verstehen will. Doch es gibt keine grundsätzliche Angstfreiheit des Glaubens.
In der Bibel steht nirgendwo „Ängstige dich nicht!“ 1, so der der Benediktiner David Steindl-Rast, denn die Angst gehört zum Leben und zum Glauben; Angst ist unvermeidlich. Entscheidend ist wie wir damit umgehen. Ich kann die Stacheln aufstellen und mich wehren gegen das, was auf mich zukommt, dann bleibe ich in der Furcht stecken; Furcht bleibt in der Angst stecken.
Aber dort wo ich mit (Gott-)Vertrauen durch die Angst hindurchgehe, mich vertrauensvoll in die Angst hineinwage, werde ich auf der anderen Seite in einer größeren Weite herauskommen. Das ist wie bei einer Geburt, auch da muss man durch einen engen Kanal durchgehen und weiß noch nicht, was mit mir geschieht; so lässt sich auch das Sterben als zweite Geburt verstehen, die mit der Todesangst verbunden ist, der ich aber mit meinem Glauben als einem tiefen Vertrauen begegnen kann; einem Vertrauen, dass eine Macht des Lebens (Gott) mich trägt und nicht ins Nichts fallen lässt. Es gilt also von der ersten bis zur letzten Geburt vertrauensvoll durch die Angst hindurch zu gehen statt sich zu sperren und dadurch den möglichen Geburtsprozess zu verhindern. Um dieses Vertrauen zu stärken, schlägt Steindl-Rast vor, alle Gelegenheiten im Leben wahrzunehmen, wofür ich dankbar sein kann. Steindl-Rast hält das „Fürchte Dich nicht“ für den wichtigsten Satz in der Bibel (er kommt dort wohl 365 mal vor) für uns modernen Menschen, doch seien Angst und Furcht zu unterscheiden.

1Steindl-Rast bezieht sich auf den Unterschied zwischen Angst und Furcht, den der Philosoph Sören Kierkegaard eingeführt hat; die Furcht hat ein bestimmtes bedrohliches Objekt, z.B. die Furcht vor dem bissigen Hund), die Angst dagegen ist unbestimmt und gegenstandslos, letztlich die Angst vor dem Nichtsein, taucht auf mit dem Freiheitsbewusstsein des Menschen)
(Quelle: Mitschrift eines Interviews mit Steindl-Rast auf youtube,
https://www.youtube.com/watch?v=Z_BBaf8HpKA

Spirituelle Impulse zum Umgang mit der Angst

Ich stelle mich meiner Angst. Ich versuche sie in Worten zu beschreiben, ich schreibe sie auf (in ein Tagebuch z.B.), ich suche einen Gesprächspartner, mit dem ich über meine Ängste reden kann. Ich spreche mit meiner Angst.
Ich male ein Bild; das meine Angst ausdrückt. Ich betrachte das Bild und tausche mich darüber mit einer Vertrauensperson aus.
(Die Gespenster der Angst werden kleiner, sobald ich sie ausdrücken kann. Die verständnisvolle und vertrauenerweckende Stimme eines Gegenübers, menschliche Nähe tut gut, wenn Angst mich aufwühlt.)
Ich beginne zu beten. Weil mir in meiner Angst und Verzweiflung eigene Worte fehlen, bete ich in den Worten der Psalmen wie z.B.: „ ER griff aus der Höhe herab und fasste mich, zog mich heraus aus gewaltigen Wassern.“ (Psalm 18). Andere Psalmen: Psalm 23, Psalm 34 oder Jes. 49,15; oder im Jesusgebet wiederhole ich Rhythmus des Atems den Satz: „Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner!“
Ich meditiere biblische Geschichten wie z.B. Matthäus. 14, 22 f, wo Petrus seinen Fuß auf das Wasser setzt, im Vertrauen auf Jesus, der ihm auf dem Wasser entgegenkommt. Ich begebe mich selbst in die Rolle des Petrus und höre Jesu Stimme: „Fürchte dich nicht!“

Zeit für das menschliche Herz

Nackt und angewiesen

Wir Menschen sind in Schwäche geboren,  und  nach der Geburt-nackt und hilflos,  noch ziemlich zerbrechliche Wesen, die nichts von dem selber haben, was sie zum Leben brauchen: Nahrung, Zuwendung, Zärtlichkeit, Ansprache- kurz gesagt Liebe.

Wir sind als Menschen von Anfang an auf Beziehung angelegt und angewiesen, auf das Geschenk des Lebens. Das menschliche Herz braucht in Worten und  Gesten die Bestätigung: du bist wertvoll und wundervoll! Ich liebe Dich gerade so wie du bist! Du bist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter!….…Wenn das kleine Kind diese „Worte“ nicht empfängt , nicht ausreichend oder gar nicht geliebt wird, entsteht eine tiefe Wunde im menschlichen Herzen und daraus entwickelt sich Angst, Ärger und Kampf.

„Zentralverriegelung Angst“

Manche schließen sich ab, und die „Zentralverriegelung Angst“ (Melanie  Wolfers) baut um das verletzbare und berührbare Innere einen wehrhaften und undurchdringlichen Panzer. Nicht wenige Leute tragen viel Angst und Furcht in ihren Herzen, sind ständig dabei innere und äußere Grenzen und Mauern zu bauen, um sich (und ihre Klasse, Gruppe, Nation, Rolle, Volk…) zu schützen. Und wir vergessen dann, dass wir Teil einer großen menschlichen Familie sind.

Wieder andere geraten in die Falle des sich Behaupten und Beweisen- müssens;und sie erleben dabei,  was auch immer sie tun und wie sehr sie sich auch anstrengen, es scheint nie genug, um die Anerkennung und die Wertschätzung (der Eltern, später des Chefs..) zu bekommen.

Zentral für die menschliche Entwicklung ist es, dass das Herz entdecken kann: Ich bin wertvoll. Und jemand lieben bedeutet, ihm sagen zu können: Du bist wertvoll !

Den Menschen sehen wie er ist

Wichtiger als das, was wir tun, ist es, eine Antwort zu bekommen auf die Frage: Wer bin ich? Es geht in der menschlichen Entwicklung nicht vorrangig um das , was ein Mensch tut oder was er besitzt, sondern was er ist. Doch oft scheinen wir blind füreinander und sehen den jeweils Anderen nur recht äußerlich; in seiner Rolle etwa, in dem, was er für mich leistet oder von mir fordert, in der Schablone, in die wir ihn gesteckt haben. Sehen wir nur den Verkäufer/-in, der im Supermarkt  an der Kasse sitzt oder begegnen wir ihm/ihr so, dass er sich menschlich angesehen und angesprochen fühlt. Nehmen wir den anderen Menschen noch als Menschen wahr oder nur in seiner Rolle als Automechaniker, der mein Auto repariert, als Verwaltungsangestellte, die meinen Antrag bearbeitet, als Angestellte in meinem Betrieb…Und oft sind wir nicht nur dem anderen gegenüber abgestumpft, sondern auch unserem eigenen Inneren; wir spüren nicht mehr,  was uns in der Tiefe beschäftigt, bewegt, berührt und umtreibt; wir weichen dem Zerbrochenen und Ungeheilten in unserer eigenen Seele aus.

Beziehungen verwandeln durch Vertrauen

Jeder kann umgekehrt Beziehungen wandeln, Leben transformieren, Leben geben und empfangen; wie schnell kann sich selbst eine schwierige und unerfreuliche Beziehung verwandeln, wenn sich der Andere als Mensch wahrgenommen und angesprochen fühlt und sich mit seinen Schwächen und Schattenseiten angenommen fühlt. Wenn der andere spürt, dass er als Mensch vorkommen kann, bekommt er den Mut sich zu zeigen wie er ist statt sich hinter seiner Rolle zu verschanzen. Im Vertrauensraum braucht sich keiner mehr hinter einem Panzer aus Macht und Angst einzuigeln.

Zeit für das menschliche Herz

(„Herzengel“, Acryl auf Leinwand, 60 /80 cm, von Gustav Schädlich-Buter)

Nehmen wir uns Zeit für einander, für das menschliche Herz, das darauf wartet, angesprochen, wahrgenommen und berührt zu werden!  Spiritualität bedeutet nichts anderes als einen Geschmack dafür zu entwickeln, dass unser Leben und jeder Moment darin wertvoll ist, und darin  Gottes Gegenwart geahnt werden kann.

Impuls:

Gab und gibt es Menschen in meinem Umfeld, die mich darin bestärken, dass ich wertvoll bin?

Sagen Sie heute einem fremden Menschen ein freundliches und aufbauendes Wort!

Was macht mir Angst?