Bald schon steht Weihnachten und das Weihnachtsfest wieder vor der Tür. Für das Weihnachtsfest wird hergerichtet, eingekauft, und geplant, was durchaus sinnvoll ist; aber ganz ehrlich, dass ein Fest schön, erfüllend und glücklich machend wird, ist bei bester Planung nicht garantiert. Nicht selten führen sogar die Übererwartungen an diesem Tag zu Streit, Dissonanzen und Unfrieden.
Vor einigen Jahre sah ich in einer Kirche eine Krippendarstellung, die mich erstaunte: eine leere Krippe, daneben ein Korb mit etwas Stroh darin, sonst nichts. Nichts von all dem, was sonst auf der göttlichen Bühne aufgebaut ist: kein Kind, keine Maria, kein Josef, kein Ochs und kein Esel, keine Schafe, keine Hirten und keine schwebenden Engel und auch keine stimmungsvolle Hintergrundmusik. Nur eine leere Krippe, die keinen Anlass gab zum Schwelgen in Kindheitserinnerungen.
Nackt, kahl, verloren stand sie da, diese Krippe aus Holz, vor der grauen Betonwanddieser modernen Kirche. Keines der sonst auftauchenden Gefühle von Wohligkeit und Harmonie wollten sich einstellen. Eine karge, von allen sentimentalen Äußerungen und Wunschphantasien abgespeckte, Weihnachtsdarstellung. Die bekannten Bilder und Vorstellungen waren weitgehend weggenommen. Was mir ins Auge fiel, war die zwischen den Krippenhölzern auftauchende Leere und das Bewusstsein, dass da etwas fehlt.
Was ist das für eine Leere? Eine Leere, die symbolisch die Verlorenheit des Menschen in einem riesigen unpersönlichen Kosmos andeutet? Eine Leere angesichts des Gottesverlustes, von der schon der Philosoph Friedrich Nietzsche in seinem 1882 erschienen Buch von der „Fröhlichen Wissenschaft“ sprach: „Wohin ist Gott? Ich will es euch sagen: Wir haben ihn getötet-ihr und ich…Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen?….Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?“ (Friedrich Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. 3, München 1980, 480-482)
Oder ist es eine Leere in mir, die zwar spürt, dass die alten Bilder und Sprachspiele für Gott nicht mehr recht taugen, aber die voller Sehnsucht darauf wartet und daran glaubt, dass diese Leere gefüllt werden wird, wenngleich anders als wir es womöglich erwarten oder zu wissen glauben.
Eine zentrale Einsicht, welche uns das Leben und auch die Bibel vermittelt, besteht darin, dass wir das Wesentliche des Lebens nicht selbst machen können. Liebe und Geborgenheit können wir nicht kaufen, inneren Frieden nicht herstellen, Verzeihung nicht erzwingen, Hoffnung nicht selbst erzeugen, innere Wandlung nicht bewerkstelligen, solange wir alles im Griff und unter Kontrolle haben wollen, wird die Krippe leer bleiben; denn das Wesentliche des Lebens geschieht von selbst. „Es“ überrascht uns, -ein überraschender Besuch von einem guten Freund, ein Wort, das uns im Herzen berührt, ein Brief, der unsere Seele weckt, ein Stolpern auf dem selbst geplanten Weg…- und plötzlich sind die die Augen offen und wir „sehen“: das „Kind in der Krippe“.
(Geburt, Acryl auf Leinwand, 60 x 60cm, von Gustav Schädlich-Buter)
Was wir selber tun können ist die Krippe bereitstellen, mit etwas Stroh daneben, uns empfangsbereit halten, innehalten, das Lauschen mitten im Lärm wieder erlernen, auf den Atem achten, der uns am Leben erhält. Unseren Geist leer machen von überflüssigem Ballast und Scheinwissen, dass Platz wird für den wahren Gott oder die unsagbare Mitte unseres Lebens. So empfiehlt der Barockdichter und Mystiker Angelus Silesius, der im 17. Jahrhundert gelebt hat, uns geschäftigen, gehetzten, unruhigen, überbeanspruchten Zeitgenossen:
„Halt an, wo läufst du hin – der Himmel ist in dir! Suchst du Gott anderswo. Du fehlst ihn für und für. Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.“
Und das scheint die Botschaft dieser leeren Krippe zu sein, die nicht außerhalb von uns irgendwo steht, sondern in unserem Herzen: Weihnachten geschieht! Das Wesentliche unseres Lebens geschieht- und nicht selten an Orten, wo wir es nicht erwartet hätten. Lassen wir uns überraschen!
Literatur zum Innehalten:
Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann, Reclam Ausgabe 1986
Christian Lehnert, Cherubinischer Staub- Gedichte , Berlin 2018 (sehr empfehlenswert; Christian Lehnert nimmt in seinem Lyrikbuch „Cherubinischer Staub- Gedichte “, das im Suhrkamp Verlag erschienen ist, Bezug auf die deutsche Mystik eines Angelus Silesius und Jakob Böhme)