Hoffnung

Die jüdische Dichterin Rose Ausländer hat mehrere Gedichte zum Themenkreis Hoffnung geschrieben, die von ihrer eigenen existentiellen Erfahrung geprägt sind. Eines davon trägt den Titel Hoffnung II. Es lautet: „Wer hofft/ ist jung// Wer könnte atmen/ ohne Hoffnung/dass auch in Zukunft/ Rosen sich öffnen// ein Liebeswort/ die Angst überlebt.“(vgl. Rose Auländer, Im Atemhaus wohnen, Gedichte,Frankfurt am Main 1981, S.43)
Wer könnte atmen ohne Hoffnung? frägt das Gedicht mit Recht. Auch ein lateinisches Sprichwort weist auf den Zusammenhang von Atem und Hoffnung: „Dum spiro, spero“- „Solange ich atme, hoffe ich“; dabei unterscheiden sich die beiden lateinischen Verben nur durch einen Vokal. Die Hoffnung gehört zu den Lebensgrundlagen unseres Menschseins wie der Atem. Hoffnung ist eine Kraft in uns, die sich stärker erweisen kann als Angst, Verzweiflung und Müdigkeit, eine Kraft, die uns Schmerzen, Hunger, Kälte und ausweglose Situation durchstehen lässt, die uns beflügelt und antreibt und den nächsten not-wendenden Schritt tun lässt. Wer hofft, ist auf Zukunft ausgerichtet und nicht mehr ausschließlich verhaftet in belastender Vergangenheit oder auswegloser Gegenwart mit ihren unveränderlichen Fakten. Wer hofft, setzt auf das je Bessere, glaubt daran, dass das Bessere möglich ist, glaubt an Weiterentwicklung, an das Rettende und Wandlung.

Hoffnung bildet den emotionalen Untergrund, aus dem heraus wir leben und handeln können, gerade angesichts der Erfahrung von Scheitern, Brüchigkeit, Krankheit und Tod. Fast jede® kommt im Laufe seines Lebens in Situationen, wo er nur noch müde, verzweifelt und resigniert ist, wo er nicht mehr weiter kann und will. Und plötzlich kann sich in der Mitte der Verzweiflung und Resignation, auf dem Tiefpunkt der Krise ein wundersamer Umschlag ergeben; plötzlich taucht eine Kraft auf, die neuen Mut, Gewissheit und Zuversicht gibt.

Manchmal stellt sich Hoffnung gerade dort ein, wo ich aufhöre verzweifelt gegen etwas anzukämpfen, wo ich in mein Leben, mein Geworden-sein, meine Krankheit annehme; wo ich offen werde für das Leben, für den Tod und in die Möglichkeit meines Sterbens einwillige. Hoffnung in einem schweren Krankheitsprozess bedeutet nicht immer, dass die Krankheit endgültig geheilt wird und ich gesund aus dem Krankenhaus gehe. Hoffnung in meinem Krank-sein bedeutet manchmal eher, dass ich besser mit der Krankheit umgehen kann, dass ich eine Zeit lang ohne Schmerzen sein kann, dass ich mehr bin als mein geschundener, kranker Körper, dass ich noch eine Zeit geschenkt bekommen habe für mich und die Menschen, die ich gern habe; dass ich sehe, was sich durch die Krankheit Neues in mir anbahnt. Die Kraft zu hoffen muss auch geübt werden und kann gelernt werden , sie verlangt die Disziplin auf eine Zukunft zu setzen auch wenn im Moment vieles dagegen steht. (vgl dazu auch: M. Renz, Grenzerfahrung Gott: Spirituelle Erfahrungen in Leid und Krankheit, Freiburg 2006 und L.Kuschnik, Lebensmut in schwerer Krankheit: spirituelle Begleitung bei Krebs, Bielefeld 2010)

Hoffnung hat auch damit zu tun, dass ich eine Ahnung bekomme, dass -was auch immer passiert- mein Leben aufgehoben ist und mir letztlich nichts passieren kann. Insofern steht das „Hoffen-können“ auch mit dem Ur-vertrauen ins Leben in Verbindung.

Hoffnung bekomme ich auch durch andere Menschen: deren Wertschätzung, ein liebenswürdigen Blick, ein gutes Wort, Verläßlichkeit und treue Zuwendung in einer schwierigen Situation, lässt die Kraft der Hoffnung wachsen. Wir alle brauchen eine „Solidarität in der Hoffnung“ (J.B. Metz). Die Hoffnung eines einzelnen trägt meist nicht über den Abgrund von Verzweiflung und Schicksalsschlägen. Wir brauchen einander in solidarischer Hoffnung.

Der hoffende Mensche ist offen für Überraschungen, offen für das Unvorstellbare und in Bewegung setzende (Hoffnung im Unterschied zur konkreten Hoffnungen). Die Überraschung verbindet die Hoffnung mit der Dankbarkeit.(vgl Steindl-Rast, Fülle und Nichts, Freiburg 1999) Der Philosoph Gabriel Marcel versteht Hoffnung als Gnade.(Gabriel Marcel, Philosophie der Hoffnung, Die Überwindung des Nihilismus, München1964)

Hoffnung taucht auch auf, wo wir aus Fremdbestimmung und Anpassung wieder in Kontakt mit unserer ur-eigenen und unverwechselbaren Lebensmelodie kommen, mit dem Bild Gottes in unserer Seele. Die Hoffnung und die Kraft innerer Entfaltung hängen zusammen. Hoffnung ist die Grundlage für Inspiration, Kreativität und Freude. (vgl. V.Kast, Aufbrechen und Vertrauen finden, die kreative Kraft der Hoffnung, Freiburg 2001). Während die Verzweiflung uns in die Isolation treibt („Mir kann ja eh niemand helfen“), stellt uns die Kraft der Hoffnung in vielfältiges Verbundensein hinein.

„Hoffen lernt man dadurch, dass man handelt als sei Rettung möglich“, schreibt Fulbert
Steffensky, auch wenn es im Leben keine Garantie gibt, dass alles gut ausgeht; aber es
gehört zur Würde des Menschen, in Krisen so zu handeln, als gäbe es den guten Ausgang
und die Rettung. Nicht der Erfolg rechtfertigt das Tun eines Menschen, sondern ob es Sinn
ergibt ohne Rücksicht wie es ausgeht. (vgl. Fulbert Steffensky, Feier des Lebens. Spiritualität
im Alltag, Freiburg 2009). „Auf Hoffnung hin, sind wir gerettet“ (Röm 8,24), heißt es in der Bibel.