Das menschliche Herz und seine Bedeutung

Das Herz ist das zentrale Organ des Menschen, weil es ununterbrochen pulsiert -bis zu 100.000-mal am Tag- und dabei Blut in die Adern pumpt und den ganzen Leib mit lebenswichtigen Elementen versorgt; sobald das Herz zu schlagen aufhört, können Kreislauf und Stoffwechseln nicht mehr stattfinden (etwas vereinfacht erklärt). Ohne das Herz – unsere Blutpumpe, ein ca. 300 Gramm leichter Hohlmuskel – kann niemand leben.

Auch die Signale des Herzens können uns etwas sagen über unseren Lebensstil, unsere Beziehungen, oder die Belastungen unseres Lebens, je nachdem, ob es sich um eine Herz-Rhythmus-Störung, Bluthochdruck, Vorhofflimmern oder gar ein Herzinfarkt handelt. (zu den psychosomatischen Zusammenhängen von Herzerkrankungen, vgl. z.B.: M. Ermann, Herz und Seele, Psychosomatik am Beispiel des Herzens (Lindauer Beiträge zur Psychotherapie und Psychosomatik, Kohlhammerverlag 2005=

Das Herz, Acryl auf Leinwand

Das menschliche Herz, das als Organ im Inneren des Leibes verborgen liegt, gilt als ein Sinnbild für die Liebe, die nach einem sichtbaren Ausdruck verlangt: die Tasse mit dem Herzsymbol, der herzförmige Schmuckanhänger, das Herzmotiv auf dem Bettbezug, dem Geburtstagskuchen oder dem Verpackungspapier, oder auf dem Grabstein, um nur einige Beispiele zu nennen. Manche ritzen ein Herz in den Baum und schreiben ihre Namen darunter, um ihrer Liebe einen für alle sichtbaren Ausdruck zu geben. Ältere Menschen kennen noch die Herz- Jesu Andachtsbilder, bei welchen Jesus mit einem brennenden herzen dargestellt wird.

Auch in der Symbolsprache spielt das menschliche Herz eine zentrale Rolle: So tut es uns gut, wenn wir jemanden unser Herz öffnen und ausschütten können; unser Herz hüpft vor Freude, wenn wir einen geliebten Menschen wiedersehen und wir haben ein gebrochenes Herz, wenn eine Beziehung in die Brüche geht; sobald eine Beziehung gestört ist, verhärtet sich unser Herz. Bei einem Schrecken rutscht uns das Herz in die Hose. Gott sei Dank gibt es Menschen, die ihr Herz am rechten Fleck haben; und großherzige Menschen schauen über unsere Fehler und Schwächen hinweg. Manchmal muss ich meinem Herzen einen Stoß geben, um zu einer Entscheidung zu kommen oder über meinen Schatten zu springen. Wo Menschen herzensträge werden, verpanzern sie sich und verlieren ihre Fähigkeit zum Mitgefühl und Mitleid. Aber das Herz kann auch eine Mördergrube sein, aus der Verleumdung, Hass und Lästerung emporsteigen. Viele weitere Beispiele für eine Symbolsprache des Herzens ließen sich finden, die immer auszudrücken versucht, wie es um uns steht.

In der Geistesgeschichte hat sich eine Philosophie des Herzens entwickelt. Für Aristoteles gilt das Herz als Träger der Seele, ein Zentralorgan der Lebenswärme und des wahrnehmenden sowie denkenden Vermögens (Aristoteles, »De anima«, II.1,412a2-3). Pascal sagt: „Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt … Ich behaupte, dass das Herz das umfassendste Wesen ist.“ Augustinus spricht davon, dass unser Herz so lange unruhig ist, bis es in Gott ruht. Und für Romano Guardini ist das Herz ein vermittelndes Organ zwischen Geist, Leib und Seele. (vgl. dazu Otto Betz, Der Leib als sichtbare Seele, Stuttgart 1991, S.74f)

Auch die Dichter bedienen sich einer Sprache des Herzens, die wärmer ist als die des kühl analysierenden Verstandes und genährt wird durch die Erfahrungen von Verletzlichkeit und Intimität. Für den romantischen Dichter Novalis ist das Herz nicht nur der „Schlüssel der Welt und des Lebens“, sondern ein „religiöses Organ“, das über die Begrenzungen des Ich hinausreicht und Einfallstor für die göttliche Wirklichkeit ist, nicht selten vermittelt durch die menschliche Liebe. (vgl. Otto Betz, a.a.O., S.77 f.) Alle religiösen Erfahrungen und Offenbarungen scheinen im Hoheitsgebiet des Herzens zu geschehen. Solange der menschliche Verstand nicht im Herzen verankert ist, werden wir immer in Gegensätzen denken, wodurch ein ganzheitliches und mitfühlendes Sehen der Welt verhindert wird. Daher lehren und üben die orthodoxen Mönche das sogenannte „Herzensgebet“. (vgl. Andreas Ebert, Peter Musto, Praxis des Herzensgebetes, München 2013)

Auch die Bibel gebraucht viele Herzmetaphern, zumal das Herz im alten Israel identisch ist mit der menschlichen Person. Gott schreibt uns zum Beispiel seine Weisung ins Herz (Jer 31,33) und er gibt uns ein Herz aus Fleisch und Blut statt dem versteinerten Herzen, das empfindungslos ist (Ez 11,19) Und der junge König Salomo bittet Gott für seine Regentschaft, um ein „hörendes Herz“. (1 Kön 3,9)

Jesus selbst preist jene selig, die ein „reines Herz“ (Mt 5,8) haben, denn sie werden Gott schauen. Ein Herz, das Erbarmen übt mit den Trauernden, Niedergedrückten, Zurückgesetzten und zu kurz Gekommenen, wird rein. Ein reines Herz ist eben nicht unberührbar, sondern lässt sich vom Leid und den Nöten der Menschen anrühren. Ein Herz, das eben noch nicht mit allen Wassern gewaschen und abgebrüht ist. Ein reines Herz sieht die Welt mit den mitleidenden Augen Gottes.

Zum Schluss dieser kleinen Abhandlung zum Herzen, soll eine Geschichte von Rainer Maria Rilke stehen aus der Zeit seines Pariser Aufenthaltes. Sie zeigt, dass dort, wo wir einander etwas von Herzen und aus einer aufmerksamen Liebe heraus schenken, da schenken wir einander etwas, das mit dem ewigen Leben zu tun hat:

Gemeinsam mit einer jungen Französin kam er um die Mittagszeit an einem Platz vorbei, an dem eine Bettlerin saß, die um Geld anhielt. Ohne zu irgendeinem Geber je aufzusehen, ohne ein anderes Zeichen des Bittens oder Dankens zu äußern als nur immer die Hand auszustrecken, saß die Frau stets am gleichen Ort. Rilke gab nie etwas, seine Begleiterin gab häufig ein Geldstück. Eines Tages fragte die Französin verwundert nach dem Grund, warum er nichts gebe, und Rilke gab ihr zur Antwort: „Wir müssen ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand.“ Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weiße Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen.

Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber, erhob sich mühsam von der Erde, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Rose davon. Eine Woche lang war die Alte verschwunden, der Platz, an dem sie vorher gebettelt hatte, blieb leer. Vergeblich suchte die Begleiterin Rilkes eine Antwort darauf, wer wohl jetzt der Alten ein Almosen gebe. Nach acht Tagen saß plötzlich die Bettlerin wieder wie früher am gewohnten Platz. Sie war stumm wie damals, wiederum nur ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand. „Aber wovon hat sie denn all die Tage, da sie nichts erhielt, nur gelebt?“, frage die Französin. Rilke antwortete: „Von der Rose . . .“