Lebendig werden

In dem Dokumentarfilm „Nicht ohne uns“ von Sigrid Klausmann, in dem Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Kontinente befragt werden, sagt der 11 jährige Enjo aus der Schweiz: „Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wieso ich in die Welt hineingeboren wurde. “

Wenn das so bleibt, dann  finden wir  einige Jahre später, junge Erwachsene, die sich mangels Sinnfindungen mit Lärm, Alkohol oder Internet betäuben, Arbeitende, die phantasielos und ohne Schwung ihren Job herunterreißen, von einander angeödete und genervte Paare, die sich nichts mehr zu sagen haben, Resignierte und Abgestumpfte, die sich abgefunden haben mit den kleinen, harmlosen Wünschen und Annehmlichkeiten und denen es reicht, halt so dahin zu leben. Welch trauriges Gegenbild zu der im Frühling aufbrechenden Natur, zur Wurzel- Grünkraft der Bäume, zum Sprießen und Aufblühen der Gräser und Blumen.

Seelenbaum, Acryl auf Leinwand

Anpassung, Konvention und Wohlstandsdenken 

übernehmen nicht selten die Regie im Leben und rauben uns  die Visionen, für die es sich zu leben lohnt.  Leiden nicht viele an Übersättigung? Jemand verglich einmal die im  dauerhaften Wohlstand lebende Menschen mit Zierfischen, welche  im gefahrlosen, langweiligen Aquarium, -gefüttert und satt-, ihre langweiligen Runden schwimmen; nur ab und zu erinnern sie sich an die Tiefen und Abenteuer des großen Meeres, in dem sie einst schwammen, und machen dann kurze heftige Schwimmbewegungen.

Sicherheitsdenken und Bequemlichkeit

Im Aquarium des eigenen Lebens heißt es aber weiterhin: Sicherheit vor dem Risiko eines eigenen Lebens, das -weil ungesichert -auch schief gehen kann;  Bequemlichkeit und Egoismus  vor selbstlosem Einsatz (für Notleidende, Freunde, Nachbarn…), Besitzstandsdenken vor größerer Gerechtigkeit, Schein und Fassadenhaftigkeit vor Sein, Anpassung vor gelebter Überzeugung.

Tatsächlich, so scheint es mir, sind die Türen der Sehnsucht für viele zugeschlagen und die Antennen für das Göttliche und alles Transzendente von den Häusern abmontiert (80% der 18 bis 34 Jährigen können sich ein Leben ohne Gott vorstellen). Auch die Sprache für das Absolute ist verloren gegangen, die Kathedrale des „Heiligen“ vorallem in  der eigenen Seele bleibt unbewohnt; vielen  reicht Berieselung und leichte Kost, Kreuzworträtsel und Televisionen von Privatsendern. Das große, tiefe und gefährliche Meer ist in unerreichbare Ferne gerückt.

Was macht mich lebendig?

Doch wie lässt sich eine Vision für das eigene Leben finden,  wie die individuelle Berufung, die ja immer einem Ruf aus dem Innersten des eigenen Herzens antwortet.

Die biblische Schöpfungsgeschichte (vgl.  Genesis 2,7) besagt, wir werden lebendig, wenn uns Gott Leben und Atem  einhaucht, wenn er uns beatmet ( vgl. auch  Joel 3,1 f. im AT )im wahrsten Sinne des Wortes und wir neu aufatmen.

Howard Thurmann, amerikanischer Bürgerrechtsaktivist und Mentor von Dr. Martin Luther King jr. gibt folgende Empfehlung: „Frage nicht, was die Welt braucht,  frage dich selbst, was dich lebendig macht ….und tue das;  (denn) was die Welt braucht, das sind Leute, die lebendig geworden sind.“

Alles, was mich lebendig macht, belebt, inspiriert, ins Fließen bringt, könnte mich also zu meiner ur-eigenen Berufung führen.

(Tanz des Lebens, Acryl auf Leinwand, 80(hoch)x60(breit)cm von Gustav Schädlich-Buter)

Impuls zum Nachdenken:

Der Benediktiner David-Steindl-Rast hat dazu folgende grundlegende Fragen formuliert, die ich an Sie als Impuls weitergeben möchte:

Was würde ich wirklich gerne tun? Was bereitet mir eine tiefe und nachhaltige Freude?

Was kann ich gut? Wo bin ich gut? (worin drücke ich die Einzigartigkeit und Einmaligkeit meiner Person am besten aus? Was sind meine Talente und Begabungen?)

Welche Gelegenheit gibt mir das Leben gerade jetzt, um das zu tun, was mich mit Freude lebendig macht? Wozu lädt mich das Leben gerade jetzt ein? (um das herauszufinden, müssen wir aber anhalten und mit den Ohren des Herzens horchen und bereit sein, uns überraschen zu lassen)