Auf der Seite des Lammes

Büffel oder Lamm

In seinem Roman „Billiard  um halb zehn“ stellt  der Schriftsteller Heinrich Böll mit den Tiermetaphern „Büffel“  und „Lamm“ zwei Menschengruppen einander gegenüber, die sich durch bestimmte Haltungen und Einstellungen kennzeichnen lassen. Die „Büffel – das sind  die Machtmenschen, die während des Dritten Reiches NS-Anhänger waren und  bald wieder hohe Regierungsämter besetzen.  Sie stehen   für Dummheit und rohe Kraft, für die Masse der Mitläufer, für die, die sich selbstsüchtig und egoistisch verhalten , die nicht denken, dafür aber gnadenlos handeln und jene aus dem Weg räumen, die nicht ihre Meinung vertreten. Heinrich Böll nimmt Bezug auf die Nazizeit und das Naziregime, das durch die Büffel symbolisiert wird; und man könnte sich fragen, ob  Bölls Roman nicht gerade neue Aktualität gewinnt angesichts des in Europa und weltweit wachsenden Populismus und Nationalismus?

(„Büffelmenschen“, Mischtechnik von Gustav Schädlich-Buter)

Das „Lamm“ steht  für unschuldig Verfolgte , für durch Folter und Flucht gebrochene  Menschen, für  Wehrlose , für Gedemütigten, Ausgeschlossene  und Opfer.

Das Sakrament des Lammes 

Im Roman „Billiard  um halb zehn“ erfährt der Protagonist die Wendung seines Lebens als er sich auf das „Sakrament des Lammes“ verpflichtet und der stiernackigen Gewalt  des Naziregimes und der gedankenlosen Unterdrückung der Schwachen abschwört. Wer nämlich vom  „ Sakrament des Büffels“  kostet, gerät in seinen Bann.

Der „Büffel“ steht als  Symbol – so ließe sich Böll weiter interpretieren–  für den machtorientierten  und hasserfüllten Umgang der Menschen untereinander und mit der Schöpfung; er  steht  für all die Folterer und Mörder, für die Gier und Maßlosigkeit, welche die Lebensgrundlagen aller vernichtet, für  Aus- und Abgrenzung von Menschen, die anders sind. „Die Liebe wird nicht geliebt…Macht und Gewalt werden geliebt“ (Anton Rotzetter)

Jesus- das Lamm Gottes 

Heinrich Böll spricht vom „Sakrament des Lammes“ , ein religiöser Begriff, der auf eine religiöse Sphäre verweist.  Schon im Neuen Testament wird Jesus als das „Lamm Gottes“ (vgl.  Johannes 1, 29-37) bezeichnet, was für die frühe Kirche eine enorme  Bedeutung hatte.  Ein Bild, das für uns Heutige aber kaum mehr Aussagekraft besitzt. Die Gefolgschaft zu Jesus ließ sich über das Symbol des Lammes definieren, und stand für eine Liebe, die stärker ist als Hass und Rache , für eine Kraft, die den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt durchbrechen kann.

Symbol der Gewaltlosigkeit

Das Lamm – dieses  uraltes Symbol der Gewaltlosigkeit (was sich leider über die Kirchengeschichte hinweg nicht durchgehalten hat),  Symbol des Leidens und des Tragens von Unrecht  für den anderen („Sündenbock“), gab den verfolgten  Christen eine tiefen Halt. Jesus als das Lamm Gottes zeigte die göttliche Empathie mit den Opfern, den Ausgegrenzten, den unschuldig Leidenden , den Verlierern der Gesellschaft und der Geschichte.

Als ich neulich im Internet recherchierte, stieß ich auf ein Foto  des  Kapuziners  Anton Rotzetter, der sich  von der Spiritualität des Franziskus von Assisi geprägt, aktiv für den Tierschutz aus christlicher Sicht einsetzte. Auf diesem Foto sieht man wie jener liebevoll ein Zicklein in den Armen hält, das sich an ihn schmiegt.

https://www.ref.ch/wp-content/uploads/2016/03/Rotzetter.jpg.

Sich auf die Seite des Lammes stellen

Wer dieses Bild länger betrachtet, kann in eine Welt eintauchen, die immer weniger in unserem Alltag vorzukommen scheint. Dieses Bild berührte mich, weil ich in ihm etwas wiederfand von der liebevollen und zärtlichen Haltung all jener, die ihr Leben ganz auf die Seite des Lammes gestellt haben. Wer sich auf der Seite des Lammes positioniert, wird  vom Leiden der machtlosen Kreatur ebenso berührt sein wie von all jenen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt, ausgeschlossen und abgelehnt werden.

Dabei lässt sich, um nur ein Beispiel zu nennen, an Menschen mit geistigen  Behinderungen denken, die in vielen Ländern dieser Welt  immer noch (trotz UN -Behindertenrechtskonvention) als „nicht voll menschlich“ eingestuft und diskriminiert werden. Wer auf deren Seite tritt, auf die Seite des „Lammes“,  wird für sein Engagement nicht selten reichlich  beschenkt.  So heißt es in  der Charta von „foi et lumiere “, eine ökumenischen Gemeinschaft von behinderten Menschen und  ihren Freunden, die  von Jean Vanier, dem Gründer der  Arche Gemeinschaften  und Marie Helene Mathieu ins Leben gerufen wurde:

„Auch die Freunde verstehen dank des Menschen mit einer  geistigen Behinderung, dass es noch eine andere Welt als die des Wettbewerbs, des Geldes und der materiellen Vergnügungen gibt; der schwache und hilfsbedürftige Mensch erweckt in seiner Umgebung eine Welt der Zärtlichkeit und Treue, der Zuwendung und des Glaubens.“

Literaturempfehlung zur Vertiefung:

Heinrich Böll, Billiard um halb zehn

Jean Vanier, Wege zu erfülltem Leben, Einfach Mensch sein, Stuttgart 2001