„Lange haben wir das Lauschen verlernt“, stellt die Lyrikerin Nelly Sachs in einem ihrer Gedichte fest, und sie beklagt, dass das „Ohr der Menschheit“ ein „nesselverwachsenes“ geworden ist, unfähig zu hören. Und dies, obwohl der Schöpfer uns einst gepflanzt hatte „…zu lauschen/Wie Dünengras gepflanzt, am ewigen Meer.“ (in: Nelly Sachs, Gedichte , hrsg. von Hilde Domin, Frankfurt a. M. 1977, S.17)
(Foto: Indischer Ozean, Foto von G. Schädlich-Buter)
In Politik, Talkshows und Unterhaltungsindustrie reden Menschen aufeinander ein ohne aufeinander zu hören, nicht selten mit dem ausschließlichen Ziel, auf sich aufmerksam zu machen oder sich mit der eigenen Idee durchzusetzen. Permanente Berieselung von überall her, lässt unsere Hörfähigkeit verkümmern; mit der Zeit werden die „Ohren des Herzens“ taub, die leisen Zwischentöne bleiben ungehört. Es ist wie auf einem Bahnhof: alles ist angefüllt mit lauten, aggressiven und blechernen Geräuschen. Ein bedeutungsloses, gleichgültiges Stimmengewirr umgibt uns, kein Wort, das zum Herzen vordringt und vertraut anspricht. Tausend Geräusche -außen und innen- lenken uns ab und hundert Geschäfte führen uns fort „…von seinem Licht“ (Nelly Sachs).
„Wenn es nur einmal so ganz stille wäre. Wenn das Zufällige und Ungefähre verstummte und das nachbarliche Lachen, wenn das Geräusch, das meine Sinne machen, mich nicht so sehr verhinderte am Wachen-:…“ läßt R. M. Rilke den Gott suchenden Mönch sagen. (R. M. Rilke, Das Stundenbuch, S.13.)
Die Stille ist die Voraussetzung für das Hören, das Lauschen, damit der Anruf nicht untergeht. In der Abgeschiedenheit der Natur, kann man sie vielleicht wiederfinden, die Fähigkeit zu hören und wahrzunehmen: das Rauschen des Windes, das Summen der Insekten, das Rascheln der Eidechse, das Vogelgezwitscher, das Gluckern des Baches….
Aber es geht letztlich nicht um die äußere Stille, sondern um das innere Schweigen (der tausend Gedanken, Ideen, Pläne..), um wirklich hörfähig zu werden. Mit dem „Höre“ (Röm 10,17) beginnt alles geistliche Leben. Es geht um die innere Haltung, auch wenn die äußere Stille dazu sehr hilfreich sein kann, um ein Ansprechbar-werden für Gott und den Mitmenschen. „Ehe es wächst, lasse ich euch es erlauschen“, heißt es beim Profeten Jesaja.
Gott ruft den Menschen. „Ich habe Dich beim Namen gerufen“ (Jes 43,1), um Inneres Wachstum, inneren Wert und die Erfahrung: „Ich bin mehr als eine Nummer oder ein Rädchen im Getriebe. “ Stärke und Zugehörigkeit hat mit dem „Hören“ dieses Rufes zu tun.
(„Erhört“, Öl auf Acryl,von Gustav Schädlich-Buter)
Wer nur an sich selbst glaubt, dem genügen Selbstgespräche und Selbstbehauptungen, sagt der Theologe Fulbert Steffensky. Dort aber wo Menschen aufeinander hören im „Zwischen-Raum“ von Ich und Du, aneinander Interesse haben, – absichtslos, unbewaffnet, ohne Strategie und Absicherung-, ereignen sich nicht selten ungeahnte Aufbrüche; dort geschieht hörend und lauschend etwas Neues“, das sich nicht aus schon Vorhandenem und Vorgebahntem ableiten lässt. Individuelle, aber auch weltpolitische Auf- und Durchbrüche geschehen hörend und die Zeichen der Zeit wahrnehmend.
Die jüdische Dichterin Nelly Sachs zumindest mahnt uns in ihrem Gedicht: „Verkaufen dürfen wir nicht unser Ohr,/ O, nicht unser Ohr dürfen wir verkaufen.“