Heimat

 „Heimat ist für mich überall dort, wo ein Mensch ist, zu dem ich kommen kann“, sagt der Schriftsteller Reiner Kunze. Nicht immer wurde Heimat so positiv gesehen. Der Heimatbegriff hatte eine Zeit lang einen negativen Beigeschmack von Spießigkeit und Rückwärtsgewandtheit. Man verband mit „Heimat“ engen Provinzialismus, rückwärtsgewandte Traditionspflege mit Blaskapellen und Trachtengruppen. Das mit dem Heimatbegriff verbundene nationale Pathos (in Erinnerung an den 1.Weltkrieg) und die völkisch rassistische Ausgrenzung war für nicht wenige dieser Generation ein Schreckensbegriff. Heimat- das war Enge, kleinkariertes Denken und selbstzufriedene Spießbürgerlichkeit. Der “ Auszug“ war der einzige Weg , um sich weiter zu entwickeln. Diejenigen , welche den  Mut hatten aus dem Überkommenen und Vorgeprägten  auszuziehen, das waren die Abenteurer, Revoluzzer und Kreativen, welche die Welt voranbrachten.

Das Wörterbuch spricht von Heimat als dem „Land oder die Gegend, wo man geboren und aufgewachsen ist oder wo man sich zu Hause fühlt, weil man schon lange dort wohnt.“ Tatsächlich verbinden auch heute viele „Heimat“ mit ihrem Geburtsort, mit der geografischen Landschaft ihres Aufwachsens, aber auch mit ihrer Familie und der frühen Sozialisation. Heimat hat etwas mit den Selbstverständlichkeiten der Kindheit und Jugend zu tun: die Schule, die Treffpunkte,, das Schwimmbad, die Kneipe, die Leute, die man kennt. Heimat in diesem Sinne hat also etwas mit Selbstverständlichkeiten zu tun, mit einem Sich –Auskennen ohne dass lange Erklärungen notwendig sind. Heimat heißt, in bestimmte prägende Vorstellungen und Traditionen, in Denk- und Sprechweisen, im Laufe der eigenen Entwicklung hineingewachsen zu sein. Heimat in einem positiven Sinn ist also etwas , das einem vertraut ist, wo man sich auskennt, dazugehört, und eben kein Fremder ist.

Heimat ist aber darüber hinaus ein ideeller Wohlfühlort, eine Sehnsuchtslandschaft. Letztlich eine Utopie, ein U-topos (griech.)`, ein Nicht-Ort aus Erinnerungen, wo die Seele wohnt und dessen Verlust mit Heimweh einhergeht.

Im Moment erleben wir eine Renaissance der Sehnsucht nach Heimat. Im Trend liegen regionale Gerichte statt internationaler Küche oder Fast Food, Trachten(siehe auch die Beliebtheit des Oktoberfestes bei jungen Leuten), Volksmusik und Folklore. So setzt die neue Volksmusik wie z.B. „voXXclub“ im Alpenraum, – bestehend aus jungen Musikern, die meist in kurzen Lederhosen und dicken Trachtenstrümpfen auftreten, und mit ihrem Dutt auch als Hipster durchgehen könnten- , bewusst auf Dialekt und regionale Instrumente; dabei wird aber in den Texten Weltoffenheit signalisiert oder die Verlorenheit in der anonymen Masse von Menschen thematisiert.

Ohne Zweifel scheint damit eine Sehnsucht vieler , gerade junger Menschen getroffen, die in der globalisierten Welt mit ihrer Beschleunigung keine Wurzeln mehr schlagen können. Diese Sehnsucht nach Heimat scheint wie eine Gegenbewegung zum hohen Tempo des sozialen Lebens, das oft nur noch oberflächliche Beziehungen zulässt. Auch der geforderte Zwang zur Mobilität und Flexibilität, die Auflösung traditioneller Familienstrukturen, die Schädigung unseres Planeten, der Verlust von Religion (religio, religare –Rückverbindung!) führen dazu, dass das Bedürfnis der Seele nach Verwurzelung , Orientierung und Zugehörigkeit nicht mehr ausreichend gestillt wird .. Der „Heimatbedarf“ wächst, angesichts der Infragestellungen der eigenen Identität. (vgl. dazu Hartmut Rosa, Resonanz)

Der Künstler Ben Willikens (geboren 1939), gibt dieser Abwesenheit von Zugehörigkeit, dieser Anonymität und Verlorenheit des Menschen, den Verlust von Sinn, in seinen Werken   mit seiner „unbunten“ Graumalerei und mit den leere Räumen, in denen kein Mensch vorkommt, Ausdruck. Er selbst sagt dazu: „ ´Vielleicht ist die Leere nicht nur eine Negation des Menschen, sondern auch eine Frage seiner Ankunft, eine Frage nach dem Menschenbild, das in der Lage ist, dieses weiße Zentrum auszufüllen.`“(i. Kurt-Peter Gertz, Ostern in der modernen Kunst, Mönchengladbach 2017, S.187)

Die Sehnsucht nach einem Ort, an dem man sich wiederfinden kann, an dem Geborgenheit, Nähe, menschliche Vertrautheit sich einstellt, an dem der Mensch bei sich ankommt, scheint vielen Menschen irgendwie abhanden gekommen zu sein. Wer in seiner Seele keine Heimat mehr findet, neigt wohl dazu, durch Ausgrenzung und Fremdenhass, sich der eigenen Identität versichern zu wollen. Identitätsstiftung durch Ausgrenzung. Globalisierung,  Zuwanderung, die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen,  scheint auch in unserem Land  nicht wenige zu überfordern.

Letztlich geht es jedoch darum eine „offene Heimat“ wieder zu finden, in der Provinzialität, Enge und Ausgrenzungstendenzen  überwunden werden durch weite Horizonte, in denen angstfreie Begegnungen möglich werden.

Jedenfalls bleibt Heimat immer auch ein Sehnsuchtsort, der aus einer  tiefen Bedürfnis des Menschen nach Geborgenheit und Angenommensein erwächst.

Aus christlicher Perspektive geschieht eine letztgültige Erfüllung dieser Sehnsucht erst im Himmel, der wahren Heimat, allerdings wird auch dort versprochen, dass es im Hause des Vaters viele Wohnungen gibt, also eine offene und lichtdurchflutete Wohngemeinschaft unterschiedlichster Menschen. (vgl. Joh 14,1-3)

Impulse zum Nachdenken:

  1. Was bedeutet für mich Heimat?
  2. Wohin zieht es mich? (landschaftlich, geografisch…) Wohin gehöre ich?
  3. Welche Menschen sind für mich Heimat? Welche Musik ist Heimat?
  4. Gibt es einen Glauben, Überzeugungen, Werte, die für mich Heimat sind?

Literatur zur Vertiefung:

Hartmut Rosa, Resonanz – eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016

Heribert Prantl, Kindheit. Erste Heimat, Gedanken, die die Angst vertreiben., SZ 2015

Andrea Schwarz, Wenn die Orte ausgehen, bleibt die Sehnsucht nach Heimat; Fragmente einer geerbten Geschichte, 2009

Filme:

Edgar Reitz, Heimat (Gesamtedition) und „Die andere Heimat“