Brücken bauen

Mit einer über 6000 Kilometer langen Mauer (andere Messungen sprechen sogar von über 20.000 km)– heute eine Touristenattraktion- schützte sich das chinesische Kaiserreich schon im 7.Jahrhundert vor den nomadischen Reitervölkern aus dem Norden. Mexico soll jetzt eine Mauer bekommen, 3200 Kilometer lang, 12 Meter hoch, 2,4 Millionen Tonnen Zement sind dafür notwendig und die Kosten belaufen sich auf über 20 Milliarden Euro Demgegenüber ist die 155 Kilometer langen „Mauer“, die Deutschland Ost und West trennte, scheinbar eher klein . Doch viel Leid entstand durch diese „Mauer“, die Familien  auseinander riss und Menschen, die zusammen gehörten, voneinander isolierte.

Mauern sollen schützen, die Verbrecher und das „Böse“ abhalten, Sicherheit schenken. Doch womöglich wird es eine der wichtigsten Fragen für Zukunft der Menschheit  eine andere sein, nämlich: Wie lassen sich Mauern und Gräben überwinden?

Mauern existieren nicht nur physisch- materiell-zementiert  wie an der früheren deutsch-deutschen Grenze, sondern auch innerlich und mental . Wie lassen sich Mauern und Gräben überwinden? Die Mauern zwischen verfeindeten Ländern, zwischen arm und reich, zwischen jung und alt, schwarz und weiß, zwischen Eliten und „Unterschichten“ ….? Wie lassen sich geistige „Mauern“ in den Köpfen und Herzen der dominierenden Mehrheitsgesellschaft überwinden, die in Form von Vorurteilen, mentalen Blockaden und festen Meinungen Minderheiten ausschließen? Behinderte Menschen, andere Randgruppen oder Flüchtlinge können ein Lied davon singen. Wie lassen sich Brücken bauen zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen , zwischen verschiedenen politischen Systemen?  Wie lässt sich eine Sprachbrücke finden zwischen Säkularen und Religiösen, zwischen unterschiedlichen Konfessionen, zwischen Tradition und Moderne?

Brücke auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela

Nur ein Beispiel, das für mich einen hohen symbolischen Wert hat  für die Überwindung von Trennendem hat. Im Nordosten Indiens werden durch den Sommermonsun die sonst sanften Flüssen dieser Bergwelt zu reißenden Wildwassern, welche die unterschiedlichen Teile der Bergwelt und die dort lebenden Menschen voneinander trennen. Diese Menschen haben aber eine geniale Methode des Brückenbaus entwickelt. In einem Doku- Film der BBC wird gezeigt wie ein Mann seiner 10 jährigen Nichte zeigt wie die Luftwurzeln einer Würgefeige am Rand eines Flusses, die er selbst vor 30 Jahre gepflanzt hat, über den das tiefe Flussbett geleitet werden müssen, dass daraus eine natürliche Brücke entstehen kann. An einer solchen Brücke, welche selbst die reißenden Fluten  nichts anhaben können , müssen immer mehrere Generationen arbeiten; viele dieser Wurzelbrücken sind schon sehr alt und können viele hundert Jahre weiterwachsen, wenn sie sorgsam gepflegt und behandelt werden. Dies ist ein Brückenbau, der einen langen Atem, viel Geduld und achtsame Behandlung des  Baumes voraussetzt, aber vielen Generationen als Verbindung dienstbar ist.

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Auch in unserer Gesellschaft finden wir solche Brückenbauer. Menschen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, die sich für bessere Bedingungen und mehr Verständnis für behinderte Menschen und gesellschaftliche Randgruppen einsetzen, die sich im Friedensprozess zwischen verfeindeten Ländern mühen, die Hilfsprojekte für Menschen in ärmeren Länder ideell und finanziell unterstützen, oder sich im Dialog der Religionen mühen, sind für mich Brückenbauer. Sie alle brauchen einen langen Atem und dürfen sich durch Rückschläge nicht entmutigen lassen.

Wer über Brücken geht, wird bereichert und gewinnt neue Horizonte. Davon können all jene junge Menschen erzählen, die in einem fremden Land (Afrika, Lateinamerika..)oder auch einer Behinderteneinrichtung einen sozialen Einsatz gewagt haben.

Wenn es im Psalm 18,30 heißt „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“, so steckt darin ein Impuls, die Mauern in meinem Leben und meinen Beziehungen ausfindig zu machen und zu überwinden. Dazu ist nicht körperliche Sprungkraft notwendig, sondern eine geistige Kraft. Jede und jeder von uns kann sich auch in seinen täglichen Begegnungen fragen, ob er gerade eine Brücke zum anderen baut oder eine Mauer hochzieht.

Fragen zum Nachdenken:

Welche Mauern oder welchen Graben finde ich in meinem eigenen Leben wieder?

Suche ich eher das Verbindende und Einschließende oder neige ich eher dazu, das Trennende das Unterscheidende zu betonen?

Wo kann ich mich einbringen, so dass Grenzen, Misstrauen und zwischenmenschliche Mauern abgebaut werden?