Der Knacks- in memoriam Roger Willemsen

 

„Der Knacks “ lautet ein Buchtitel des Publizisten und Fernsehmoderators Roger Willemsen, der vorallem durch seine einfühlsamen Interviews mit Persönlichkeiten wie Michail Gorbatschow, Jassir Arafat, Madonna und vielen anderen bekannt geworden ist. Willemsen war ein Intellektueller, der sich sozial engagierte, einer, der ganz genau beobachten und beschreiben konnte. Persönlicher Hintergrund und prägendes Erlebnis für sein Buch „Der Knacks“ war die Krebserkrankung und das Sterben seines Vaters , das er als 15 Jähriger miterleben musste.

Der Knacks ist laut Willemsen mehr einer Falte vergleichbar, die im Laufe der Zeit entsteht als einer Narbe aufgrund einer klar festzumachenden Verletzung und ähnelt den Rissen auf einem alten Bild. Der Knacks im Leben ist kein abrupter Übergang , kein traumatischer Riss zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Vorher und Nachher, sondern eher ein unmerklicher Übergang, eine Farbveränderung ins Dunkle, ein Wechsel von Dur in Moll, „ ein Wechsel, der die Instabilität sämtlicher Kategorien verrät, ein Schattenfeld“(Roger Willemsen , Der Knacks, Frankfurt a.M.2008, S.63) , an dessen Horizont irgendwann auch der  Tod auftaucht.

Willemsen frägt in seinem Buch: „Wie kommt die Enttäuschung in das Gesicht des Schwärmers. Wie kommt das Geringschätzige in das Gesicht des Träumers….Wann gewann die Feigheit die Oberhand, wann wandelte sich die Schwäche in Unaufrichtigkeit….Anders gefragt: Wann wurde man nicht, was man hätte sein können…Was breitete sich an der Stelle aus, wo sich ehemals Möglichkeiten zeigten? (Roger Willemsen, Der Knacks, Frankfurt a.M.2008, S.24)

Der Knacks kommt eher lautlos und unmerklich daher, ist ein Bewusstwerdungsprozess, dass etwas zu Ende gegangen ist und nicht mehr so wie vorher ist und sein wird.  Die Zeichen einer Welt, die voller Brüche ist, entdeckt Willemsen zunächst in den „beschädigten“ und versehrten Kriegsheimkehrern, welche die vorindustrielle Dorfidylle seiner Kindheit auflösen oder in der Liebe, die vom Prinzip des Ökonomischen (Vergelten, Aufrechnen, Belohnen) bestimmt wird. „Der Knacks“ findet sich auch dort, wo das  erwartungsvolle kindliche  „Entdecker-Ich“ auf eine Welt stößt, die bereits vollständig entdeckt, aufgespürt und ausgeleuchtet ist.  In späteren Jahren wird dann der angepasste Erwachsene die kraftvolle Kinderphantasie als unreif und lebensfern einstufen, nachdem er sich zuvor mit den übriggebliebenen unentdeckten Resten begnügt, seine Utopien storniert und vor der Realität kapituliert hat (vgl. a.a.O., S. 48f)

Willemsen findet den Knacks aber nicht nur in den persönlichen Biografien, im Altern,  in Enttäuschung, Misstrauen oder Ermüdung, sondern er erkennt ihn wieder in den Lagern von Guantanamo, in den Städten, im 11. September, oder in Armut und Obdachlosigkeit.

(Bild: „Herzbiografie“(Titel), Acryl auf Leinwand von Gustav Schädlich-Buter)

Willemsens Beschreibungen haben etwas Desillusionierendes, Ernüchterndes, auch Resignatives. Seine sehr genauen Skizzen und philosophischen Gedanken können vom Leser erlebt werden wie Asche und Staub, zu der vieles im Leben zerfällt.  Das Lesen seines  Buches kann zu einer Art Aschenerfahrung werden.  Es erinnert mich tatsächlich an das christliche Ritual des Ascheauflegens zu Beginn der Fastenzeit; ein Aschekreuz wird dem Glaubenden auf die Stirn gezeichnet und mit dem Satz verbunden: „Bedenke Mensch dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst…“ Ein Grenzen setzender Satz am anderen Pol zur heute gängigen Selbstoptimierung und zur grenzenlosen Steigerungsspirale. Doch das christlichen Ritual endet nicht in der Asche und Vergeblichkeit; es beinhaltet eine Fortsetzung, die in  Willemsen`s Buch  fehlt (und auch nicht angezielt ist): die Hoffnung auf Auferstehung (nicht nur an Ostern),  auf Treue und unverbrüchliche Liebe, auf Heilung der Brüche des Lebens, die Chance auf Erneuerung, der Glaube, dass einst auch die Splitter des Lebens  zusammengefügt werden, und das Vertrauen, dass es mitten im Knacks eine Erleuchtung geben kann. Der Dichter und Sänger  Leonhard Cohen kommt da der christlichen Erfahrung näher, wenn er in seinem Lied  Anthem formuliert: „There´s a crack in everything, that`s how the light gets in. (Ein Riss ist in allen Dingen, aber genau so kommt Licht herein).

Willemsen verzichtet wohl bewusst auf die Möglichkeit einer Transzendierung des Scheiterns und der Lebensbrüche, er will vor sich selbst ehrlich bleiben. Der Trost des Glaubens bleibt dem aus der evangelischen Kirche ausgetretenen Willemsen unzugänglich, auch wenn er sich dieses Mangels sehr bewusst ist :

„Ich habe einmal eine Kinderfrömmigkeit gehabt und innig ge­betet im Bett, aber heute muss ich sagen: Ich wünschte, ich könnte an Gott glauben. Ich denke, dass der glaubende Mensch mit Zuständen der Not besser umgehen kann. Ich fand es grandios, als Margot Käßmann sagte: „Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand.“ (Willemsen in Chrismon, das evangelischen Online Magazin) Und an anderer Stelle sagte er: „Ich bin dann aber so weit Rationalist geworden, dass ich mit meiner Vernunft den Glauben nicht mehr in Einklang bringen konnte. Ich würde gerne glauben, aber ich kann nicht. Aber ich respektiere jeden Gläubigen.“(Katholische Nachrichtenagentur, August 2015)

Willemsen starb am7. Februar 2016 im Alter von 60 Jahren völlig unerwartet an den Folgen einer Krebserkrankung.