Erwartung- Impuls zum Advent

Zeit der Erwartungen

Der Advent gilt ja bekanntlich  im religiösen Kontext als Zeit der Erwartung. Aber was erwarte ich noch? Was erwarten die Menschen um mich herum? Was erwarten wir in und von unserem Leben? Was suchen wir eigentlich ?
Manchmal schaue im Advent bewusst auf Menschen, denen ich begegne und versuche zu erraten, worauf diese Menschen warten.

Menschen in der U-Bahn

In der U-Bahn mir gegenüber sitzt auf meinem Nachhauseweg ein asiatisch aussehender Mann, vor seinen Füßen steht eine Sackkarre, mit der man Lasten transportierten kann. Er schließt seine Augen und scheint müde. Welche Lasten hat er heute schon geschleppt? Was sind die Lasten in seinem Leben? Was erwartet ihn heute Abend? Und welche Erwartungen hat er ans Leben?

(Foto privat, Radfahrer in Daresalam/Tansania)

Stehend vor mir eine ältere Frau, ärmlich gekleidet, ihr Gesicht von Falten zerfurcht,- von ihren Sorgen und vielen Lebens- und Überlebenskämpfen? Ihre unruhig hin und her flatternden Augen schauen ängstlich zu den U-Bahntüren, die Finger Ihrer Hand bewegen sich unruhig an der Eisenstange, an welcher sie sich festhält. Es scheint als würde sie nicht wissen, wohin die Reise genau geht, wann sie ankommt, wann sie aussteigen soll. Auf was wartet sie in ihrem Leben? Was sucht sie? Was fehlt ihr? Orientierung , Sicherheit und Geborgenheit oder ganz etwas anderes?
Und der Afrikaner neben mir, aus welchem Land mag er kommen, welchen Weg hat er hinter sich und was hat er da alles erlebt? Wie fremd muss ihm die Kälte unseres Landes sein, in der er jetzt leben muss oder will. Denkt er gerade an seine Familie und seine Verwandten in Afrika? Was erwartet ihn hier in dieser ihm fremden Kultur? Worauf setzt er seine Hoffnung? Eine neue Heimat finden, anerkannt und akzeptiert werden, einen Arbeitsplatz bekommen…?
Die Frau, die links neben mir sitzt, spielt irgendein Spiel auf ihrem Smartphone. Ablenkung, Zerstreuung, sich die Langeweile vertreiben, sich erholen vom Druck in der Firma, wo sie effizient sein muss und auf Leistung getrimmt ist? Zerstreuung erfahren viele U Bahn-Mitfahrende auch durch die Nachrichten am integrierten Bildschirm der U_Bahn, die im Sekundentakt „News“ hereinfliegen lässt.
Auf was warten und suchen all diese Menschen, die heute mit mir in der U-Bahn fahren?
Auf eine Zeit, in der sie selbst bestimmen können , auf Nichts-tun dürfen nach alle dem Leistungsdruck, darauf endlich genug Geld zum Leben zu haben, oder jemanden zu finden, der es ehrlich mit ihnen meint, eine liebevolle Beziehung….?

Auf was warten wir?
Doch womöglich stellen sich viele keine dieser Fragen, erwarten nichts oder viel weniger, begnügen sich mit ein bisschen Zerstreuung und Ablenkung. Die tieferen Fragen, warum wir eigentlich hier auf der Welt sind, was das Ziel unseres Lebens sein könnte, was in der Tiefe der eigenen Seele vor sich geht, tauchen nicht mehr auf, werden übertüncht. Sind wir nicht alle zu oft eingesperrt und narkotisiert durch mediale Dauerberieselung, Geschwätz oder blinden Aktionismus? Hören wir noch etwas anderes als das, was uns von außen zumüllt, zustopft und blöd macht? „Lange haben wir das Lauschen verlernt!“, sagt die Dichterin Nelly Sachs. Und wir könnten hinzufügen, auch das Sehen und Schauen, das in die Tiefe geht.

Nach „Leben“ Auschau halten

Erwarten heißt ja auch nach etwas Ausschau halten: nach einem Licht, das nicht bloß auf dem Adventskranz leuchtet, sondern die Dunkelheit der Seele erhellt, nach einem Feuer, das uns herausreißt aus der bequemen Selbstgenügsamkeit, „Burn -in statt Burn -out“(G. Fuchs). Ausschau halten auch nach einer Quelle, aus der ich trinken kann, in der Wüste oder Sackgasse, in die mein Leben womöglich geraten ist. Ausschau halten nach einem Bohrturm, der durch die Oberfläche in die Tiefe dringt und dort etwas findet, was mich „befeuert“ oder auch „bewässert“.
Oder hören auf eine Melodie, die anders klingt als die vorweihnachtliche musikalische Dauerberieselung in den Kaufhäusern, eine Stimme, die mich berührt, weil sie anders klingt als die laute Stummheit meiner Umgebung und mich wirklich still macht.
Oder ist es ein Anruf und Aufruf zum Aufbrechen aus der allzu bekannten Routine meiner Selbstverständlichkeiten, um dem einmaligen Geheimnis meines Lebens näher zu kommen. Oder eine innere Aufforderung (nicht eine moralischer Forderung), dass unsere Herz wieder wacher und offener wird, für die Leidenden dieser Welt. Erwarten wir noch, dass wir erlöst werden von einem fruchtlosen Kreisen um uns selbst in Selbstmitleid oder wichtigtuerischen Selbstdarstellungen.

Was erwarten Sie vom Leben? Was oder wer soll bei mir ankommen (lat. adventus bedeutet Ankunft)

Impuls nach Bernardin Schellenberger:
Stellen sie sich immer wieder bei allen möglichen Gelegenheiten (im Stau, an der Kasse…) die Frage: Was erwarte ich? „Was suche ich eigentlich?“

Literatur zur Vertiefung:
Bernardin Schellenberger, Advent, Ein spirituelles Abenteuer, Würzburg 2002