Vergeben und verzeihen

„Sorry sems to  be the hardest word“ (Verzeihung scheint das schwierigste Wort zu sein), sang einst Elton John( Elton John – Sorry Seems To Be The Hardest Word – Bing video).

Der Liedtext spricht Wahres: sowohl eigenes Versagen und Schuld einzugestehen und um Verzeihung zu bitten als auch jemanden, der einen verletzt hat, Verzeihung zu schenken und Vergebung zu gewähren, kann schwer sein. Von Herzen zu verzeihen, kann uns ungeheuer viel kosten.

Wir kommen wohl nicht durchs Leben ohne Kränkungen zu erleiden oder andere zu verletzen. Es scheint nahezu keinen Lebensbereich zu geben, in dem wir nicht durch andere verletzt werden oder andere verletzen: zum Beispiel in Freundschafts- und Liebesbeziehungen, wenn mein Partner oder meine Partnerin mein Vertrauen missbraucht, mich hintergeht, fremdgeht oder Anvertrautes weitergibt. Gerade in engen Beziehungen trifft der Missbrauch von Vertrauen besonders schmerzlich. Aber auch im beruflichen Kontext können wir verletzt und gekränkt werden, durch Mobbing, unfaire Kritik, Sexismus…oder durch ungerechte Strukturen wie zum Beispiel bei Entscheidungsprozesse in einer Firma, die eine Beteiligung und Mitsprache ausschließen. Die tiefsten und dem Bewusstsein oft am wenigsten zugänglichen Verletzungen und Kränkungen stammen meist aus der Kindheit, wenn ich in meiner Einmaligkeit und Besonderheit- manche sprechen auch vom „spirituellen Selbst“- nicht anerkannt und gesehen worden bin. Solche Wunden durch abwesende, desinteressierte oder kaltherzige Eltern reichen oft sehr tief und werden nicht selten, weil besonders schmerzhaft, wie unter einer Betonschicht verborgen gehalten. Schwerwiegende Verletzungen, die nicht angeschaut werden, führen oft zu einem Schattenregiment, das sich in Depressionen, Müdigkeit oder psychosomatischen Beschwerden bemerkbar macht.

Kränkung kommt vom Wort „krenken“, was soviel wie „schwächen, erniedrigen, mindern, zunichtemachen“ bedeutet. Durch erlittene Kränkungen schwächt oder verliert der Mensch seinen Selbstwert, wird unsicher und zweifelt an sich selbst. Unser seelischer Innenraum wird durch Kränkungen verletzt, wobei die Anfälligkeit für solche Kränkungen individuell sehr verschieden sein kann, und mit dem Selbstbild sowie der eigenen Biografie zusammenhängen. Durch Verletzungen und Kränkungen, die nicht vergeben worden sind, entstehen Verbitterung, Scham, Hass und Rachegefühle, die uns oft im Griff haben und uns unversöhnlich machen. Zudem wird die eigene Vergebensbereitschaft oft dadurch behindert, dass Vergebung als Schwäche interpretiert werden kann, während rächende Vergeltung mit Stärke identifiziert wird. Doch durch Unversöhnlichkeit werde ich an den Täter gefesselt, werde dadurch unfrei und bin Gefühlen wie Hass und Bitterkeit ausgeliefert. Wer seine Wunden nicht anschaut und zur Vergebung bereit ist, baut einen Staudamm gegenüber dem Fluss des Lebens und der Lebendigkeit.

Ein Kämpfer gegen die Apartheid in Südafrika, Bischof Desmond Tutu, der viele Jahre zu Unrecht inhaftiert war, sagte einmal: „Wenn ich von Vergebung spreche, dann meine ich den Glauben, dass man auf der anderen Seite als besserer Mensch herauskommt, ein besserer als der, der von Hass und Groll verzehrt wurde…Wenn man in seinem Inneren Vergebung findet, dann ist man nicht mehr an den Täter gefesselt. Man kann sich weiterentwickeln- und man kann dazu beiztragen, dass auch der Täter ein besserer Mensch wird.“

Vergebung zwischen Völkern nach kriegerischen Auseinandersetzungen sind besonders  schmerzhaft und dauern lange, falls sie überhaupt gelingen. 

Durch Vergebung kann Heilung der erlittenen Wunde entstehen, auch wenn sie nicht in allen Situationen angezeigt ist wie z.B.  bei Trauma, Gewalterfahrungen oder Mißbrauch.

Echte Vergebung geht immer mit einem längeren Prozess einher. Verschiedene spirituell geprägte Autoren wie Melanie Wolfers oder Anselm Grün beschreiben den Verlauf solcher Prozesse, wobei sich alle einig sind, dass auftauchende  Gefühle nicht übersprungen oder kleingeredet werden dürfen. (vergleiche dazu ausführlicher: im Laufwerk: L/ Übergreifend /Seelsorge/ Vergebung). Schnell zugepflasterte Kränkungen können eitern und zu Vergiftungen führen. Oberflächliche Vergebung heilt keine Wunden.

Durchgearbeitete Verletzungen und Kränkungen, die nicht selten mit Wut und Trauer verbunden sind, können zu einer Vergebung führen, die verletzte Gemeinschaft wieder heilt und einen Neuanfang ermöglicht. Vergebung setzt jedoch voraus, das begangene Schuld und das entstandene Unrecht auch benannt wird. Wir können uns um Vergebung bemühen, doch dass sie von Herzen geschieht,  ist immer auch Geschenk und Gnade.

Auch der christliche Glaube weiß um die therapeutische Wirkung der Vergebung und um die Wichtigkeit des Aussprechens begangener Schuld. Viele Gleichnisse Jesu drehen sich direkt oder indirekt um das Thema Vergebung (vgl Lk 15, 11-32,  Mt 18, 23-35 …) und Jesus selbst bittet am Kreuz für seine Folterknechte:  „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34), womit er den Kreislauf von Hass und Gegengewalt durchbricht. In der christlichen Liturgie kommt die Bitte um Vergebung vielfach vor wie im Vaterunser Gebet oder beim Friedensgruß, und erinnert daran, dass wir Menschen immer auf Vergebung angewiesen sind und vor der Herausforderung stehen, sich selbst und anderen, zu vergeben (Vgl. auch Mt 18,21-22, Mt 6, 14-15) auch angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Spaltungen und Feindseligkeiten.

Literatur zum Nachlesen:

Melanie Wolfers, Die Kraft des Vergebens, Wie wir Kränkungen überwinden und neu lebendig werden, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau

Anselm Grün, Vergib dir selbst, Münsterschwarzach 2010

Anselm Grün, Zeit für Versöhnung, Spaltung überwinden, Begegnung wagen, erschienen im Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2023

Gustav Schädlich- Buter

Vergebung

„Herr, wie oft muß ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal? …Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.“ (Mt 18,21)

Vergebungsbereitschaft zentral für menschliches Miteinander

Ohne Vergebung gibt es kein Miteinander weder in der Familie noch in der Gesellschaft, weder in der Wirtschaft noch in der Politik. Da wir alle immer wieder aneinander schuldig werden und uns gegenseitig verletzen, brauchen wir die Bereitschaft einander immer wieder zu vergeben.  Das meint auch die jesuanische Aussage, dass man dem, der an einem schuldig geworden ist, nicht nur siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal vergeben soll. (vgl. Matthäus 18,21)  „Vergebt, dann wird euch vergeben“, heißt es an anderer Stelle im Neuen Testament.

Ungeheilte Verletzungen und Kränkungen in der Seele

Nicht  wenige  Menschen aber hüten ungeheilte Verletzungen in ihrer Seele; sie sind vor Jahren tief beleidigt, gekränkt , ungerecht behandelt, misshandelt oder missbraucht (seelisch, geistig, körperlich) worden und nie über diese Wunden und Kränkungen hinweggekommen. Manche Verletzungen werden chronisch, weil sie nicht in Annahme und Liebe ausgeheilt und vergeben werden konnten. Sie äußern sich in Wut, Lethargie, Bitterkeit, Hass oder Selbstmitleid.

Die tiefsten Verletzungen stammen meist aus der Kindheit und haben mit unseren Eltern zu tun: abwesende, desinteressierte, tyrannisch- beherrschende Väter oder ablehnende, kalte, egozentrische Mütter. Fehlende Wärme, Verlassen- worden- sein durch Tod oder Scheidung der Eltern, das Gefühl in seinem Eigenwert nicht gesehen, in seiner Entwicklung nicht unterstützt worden zu sein, beschämt, „klein“-gehalten…. -das alles kann in der Seele des Kindes tiefe Spuren hinterlassen. Wunden, die wir  nicht leicht verarbeiten, geschweige denn verzeihen können. Oft genug werden diese Verletzungen unter einer Betonschicht vergraben und so weggedrängt, dass sie keine Schmerzen mehr verursachen.  Sie äußern sich dann womöglich als Gleichgültigkeit, als Gefühllosigkeit im Umgang mit anderen oder einem merkwürdigen Widerstand im Umgang mit den Eltern und der eigenen Kindheit.

Aber es gibt auch dies, dass es durchaus Lust bereiten kann, unversöhnlich zu bleiben und sich an negativen Erlebnissen festzukrallen. Dadurch bleibt man überlegen, steht auf dem moralischen Podest und genießt eine gewisse Mächtigkeit.

Der Gewinn nicht unversöhnlich zu bleiben

Wie auch immer,  führt kein Weg daran vorbei, zu vergeben und Vergebung zu lernen, soll die innere Unversöhntheit unseren Lebensfluss nicht einfrieren  und  wie einen  Staudamm die Lebens- und Liebesenergie bremsen. Wer unversöhnlich bleibt, zahlt meist einen hohen Preis dafür und vergiftet sich mit negativen Gefühlen wie Hass, Groll und Rachegedanken. Der südafrikanische Bischof Desmond Tutu, ein Kämpfer gegen die Apartheid, der  viele Jahre zu unrecht inhaftiert war, sagt dazu:

„ Wenn ich von Vergebung spreche, dann meine ich den Glauben, dass man auf der anderen Seite als besserer Mensch herauskommt, ein besserer als der, der von Hass und Groll verzehrt wurde…Wenn man in seinem Inneren Vergebung findet, dann ist man nicht mehr an den Täter gefesselt. Man kann sich weiterentwickeln- und man kann dazu beitragen, dass auch der Täter ein besserer Mensch wird.“

(„Wundheilung“, Acryl auf Leinwand, 80×60 cm,  von Gustav Schädlich-Buter)

Schritte zur Vergebung:

Wer vergeben kann, sich selbst und anderen, macht einen Strich unter das Vergangene und fängt neu an mit sich selbst oder in der Beziehung. Melanie Wolfers sieht in   ihrem Buch „Die Kraft des Vergebens“ die Vergebung als einen Akt der Freiheit, ein kreatives Geschehen, durch welches wirklich Neues geschaffen wird. Wer vergibt, lässt Schritt für Schritt Erlittenes los. Wer wirklich aus tiefstem Herzen verzeihen kann, erlebt das meist als Geschenk, als Gnade, das sich der eigenen Verfügungsmacht entzieht.

Melanie Wolfers benennt “ folgende Schritte, um Kränkungen und Wunden zu vergeben:

Vergebung braucht Zeit wie jeder tiefgreifende menschliche Prozess und ist einem Weg zu vergleichen, auf dem ich nur Schritt für Schritt vorankomme.

Am Anfang steht die bewusste Entscheidung, dass ich jemanden der Absicht nach verzeihen will, auch wenn ich noch unversöhnte Gefühle in mir spüre.

Als weiteren  Schritt geht es darum die unversöhnten Gefühle gegenüber dem Menschen, der mich verletzt hat, zu spüren und sie zu benennen: Schmerz, Wut, Scham, Ohnmacht….

Zugleich ist es wichtig einen reflexiven Abstand zu den eigenen Gefühlen zu gewinnen, und eine realistische Sichtweise zu entwickeln.

Statt mich vom unmittelbaren Impuls meiner Gefühle leiten zu lassen, kann das Gebet eine Hilfe sein , Distanz zu schaffen; weil ich bei Gott, einen Schutzraum und einen Wert habe, der niemals von außen zerstört werden kann.

Die Voraussetzung für`s Vergeben beruht letztlich auf der inneren Bereitschaft , vergeben zu wollen (oder eben nicht) , und auf einer bewussten Entscheidung nicht im Vergangenen und Negativen hängen bleiben zu wollen.

Aber, dass Vergebung im Innersten geschieht, entzieht sich der eigenen Verfügungsmacht, denn sie ist ein Geschenk wie die Liebe.

Literatur zur Vertiefung:

Melanie Wolfers, Die Kraft des Vergebens, Wie wir Kränkungen überwinden und neu lebendig  werden, Freiburg im Breisgau 2013(das für mich aus spiritueller Sicht beste und ausführlichste Buch zum Thema)

Konrad Stauss, die heilende Kraft der Vergebung, Die sieben Phasen spirituell-therapeutischer Vergebungs- und Versöhnungsarbeit, 2010