Vergebung

„Herr, wie oft muß ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal? …Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.“ (Mt 18,21)

Vergebungsbereitschaft zentral für menschliches Miteinander

Ohne Vergebung gibt es kein Miteinander weder in der Familie noch in der Gesellschaft, weder in der Wirtschaft noch in der Politik. Da wir alle immer wieder aneinander schuldig werden und uns gegenseitig verletzen, brauchen wir die Bereitschaft einander immer wieder zu vergeben.  Das meint auch die jesuanische Aussage, dass man dem, der an einem schuldig geworden ist, nicht nur siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal vergeben soll. (vgl. Matthäus 18,21)  „Vergebt, dann wird euch vergeben“, heißt es an anderer Stelle im Neuen Testament.

Ungeheilte Verletzungen und Kränkungen in der Seele

Nicht  wenige  Menschen aber hüten ungeheilte Verletzungen in ihrer Seele; sie sind vor Jahren tief beleidigt, gekränkt , ungerecht behandelt, misshandelt oder missbraucht (seelisch, geistig, körperlich) worden und nie über diese Wunden und Kränkungen hinweggekommen. Manche Verletzungen werden chronisch, weil sie nicht in Annahme und Liebe ausgeheilt und vergeben werden konnten. Sie äußern sich in Wut, Lethargie, Bitterkeit, Hass oder Selbstmitleid.

Die tiefsten Verletzungen stammen meist aus der Kindheit und haben mit unseren Eltern zu tun: abwesende, desinteressierte, tyrannisch- beherrschende Väter oder ablehnende, kalte, egozentrische Mütter. Fehlende Wärme, Verlassen- worden- sein durch Tod oder Scheidung der Eltern, das Gefühl in seinem Eigenwert nicht gesehen, in seiner Entwicklung nicht unterstützt worden zu sein, beschämt, „klein“-gehalten…. -das alles kann in der Seele des Kindes tiefe Spuren hinterlassen. Wunden, die wir  nicht leicht verarbeiten, geschweige denn verzeihen können. Oft genug werden diese Verletzungen unter einer Betonschicht vergraben und so weggedrängt, dass sie keine Schmerzen mehr verursachen.  Sie äußern sich dann womöglich als Gleichgültigkeit, als Gefühllosigkeit im Umgang mit anderen oder einem merkwürdigen Widerstand im Umgang mit den Eltern und der eigenen Kindheit.

Aber es gibt auch dies, dass es durchaus Lust bereiten kann, unversöhnlich zu bleiben und sich an negativen Erlebnissen festzukrallen. Dadurch bleibt man überlegen, steht auf dem moralischen Podest und genießt eine gewisse Mächtigkeit.

Der Gewinn nicht unversöhnlich zu bleiben

Wie auch immer,  führt kein Weg daran vorbei, zu vergeben und Vergebung zu lernen, soll die innere Unversöhntheit unseren Lebensfluss nicht einfrieren  und  wie einen  Staudamm die Lebens- und Liebesenergie bremsen. Wer unversöhnlich bleibt, zahlt meist einen hohen Preis dafür und vergiftet sich mit negativen Gefühlen wie Hass, Groll und Rachegedanken. Der südafrikanische Bischof Desmond Tutu, ein Kämpfer gegen die Apartheid, der  viele Jahre zu unrecht inhaftiert war, sagt dazu:

„ Wenn ich von Vergebung spreche, dann meine ich den Glauben, dass man auf der anderen Seite als besserer Mensch herauskommt, ein besserer als der, der von Hass und Groll verzehrt wurde…Wenn man in seinem Inneren Vergebung findet, dann ist man nicht mehr an den Täter gefesselt. Man kann sich weiterentwickeln- und man kann dazu beitragen, dass auch der Täter ein besserer Mensch wird.“

(„Wundheilung“, Acryl auf Leinwand, 80×60 cm,  von Gustav Schädlich-Buter)

Schritte zur Vergebung:

Wer vergeben kann, sich selbst und anderen, macht einen Strich unter das Vergangene und fängt neu an mit sich selbst oder in der Beziehung. Melanie Wolfers sieht in   ihrem Buch „Die Kraft des Vergebens“ die Vergebung als einen Akt der Freiheit, ein kreatives Geschehen, durch welches wirklich Neues geschaffen wird. Wer vergibt, lässt Schritt für Schritt Erlittenes los. Wer wirklich aus tiefstem Herzen verzeihen kann, erlebt das meist als Geschenk, als Gnade, das sich der eigenen Verfügungsmacht entzieht.

Melanie Wolfers benennt “ folgende Schritte, um Kränkungen und Wunden zu vergeben:

Vergebung braucht Zeit wie jeder tiefgreifende menschliche Prozess und ist einem Weg zu vergleichen, auf dem ich nur Schritt für Schritt vorankomme.

Am Anfang steht die bewusste Entscheidung, dass ich jemanden der Absicht nach verzeihen will, auch wenn ich noch unversöhnte Gefühle in mir spüre.

Als weiteren  Schritt geht es darum die unversöhnten Gefühle gegenüber dem Menschen, der mich verletzt hat, zu spüren und sie zu benennen: Schmerz, Wut, Scham, Ohnmacht….

Zugleich ist es wichtig einen reflexiven Abstand zu den eigenen Gefühlen zu gewinnen, und eine realistische Sichtweise zu entwickeln.

Statt mich vom unmittelbaren Impuls meiner Gefühle leiten zu lassen, kann das Gebet eine Hilfe sein , Distanz zu schaffen; weil ich bei Gott, einen Schutzraum und einen Wert habe, der niemals von außen zerstört werden kann.

Die Voraussetzung für`s Vergeben beruht letztlich auf der inneren Bereitschaft , vergeben zu wollen (oder eben nicht) , und auf einer bewussten Entscheidung nicht im Vergangenen und Negativen hängen bleiben zu wollen.

Aber, dass Vergebung im Innersten geschieht, entzieht sich der eigenen Verfügungsmacht, denn sie ist ein Geschenk wie die Liebe.

Literatur zur Vertiefung:

Melanie Wolfers, Die Kraft des Vergebens, Wie wir Kränkungen überwinden und neu lebendig  werden, Freiburg im Breisgau 2013(das für mich aus spiritueller Sicht beste und ausführlichste Buch zum Thema)

Konrad Stauss, die heilende Kraft der Vergebung, Die sieben Phasen spirituell-therapeutischer Vergebungs- und Versöhnungsarbeit, 2010