„Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10, 30).
Jesus scheint aus seinem „himmlischen “ Vaterverhältnis die Kraft geschöpft zu haben, die für sein heilendes und profetisches Wirken unter den Menschen gebraucht hat. Ähnliches können die wenigsten Kinder heute von ihrer irdischen Vaterbeziehung sagen. Eher schon gilt der Satz von Francis Thompson : „Ich und mein Vater sind nicht eins.“
Abwesende Väter
Das, was nicht wenigen Söhnen und Töchtern zu ihrem Vater einfällt, lässt sich mit folgenden Begriffen ausdrücken: Abwesenheit, Trauer, Leere.
„Ich kenne ihn nicht, zumindest nicht richtig!“ Für viele ist der Vater ein nicht näher benennbares Geheimnis, das mit Furcht oder einer nicht enden wollenden Rebellion gegenüber jeglicher Autorität einhergeht. Viele erleben ihre Väter, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen, vor allem als gestresst, genervt oder ärgerlich; aber sie wissen nichts oder wenig, was in der Tiefe der Seele des Vaters vor sich geht.
Vaterwunde und Vaterhunger
Das Ausfallen der Väter in unserer Gesellschaft erzeugt bei den Kindern so etwas wie einen „Vaterhunger “(R. Rohr), ein schier unstillbares Bedürfnis nach männlicher Bestätigung und Anerkennung. Den „Vaterhunger“ tragen viele ohne sich dessen bewusst zu sein als ein tiefe Wunde mit sich herum, die sich kaum heilen lässt.
Richard Rohr, der das tiefschürfende und unbewusste Verlangen nach Bestätigung und Grenzsetzung durch männliche Autoritätsfiguren „Vaterhunger“ nennt, hat die Erfahrung gemacht, dass solange Männer nicht erkennen, dass sie Liebe und Bestätigung vom abwesenden Vater brauchen, in einem schlechten Sinn hektisch, geschäftig und wild werden nach Macht, Sex und Geld. Diese Vaterwunde sei auf der ganzen Welt zu finden.(vgl. R. Rohr, Vom wilden Mann zum weisen Mann, München 2006)
Der Vater stärkt den Rücken
Der Vater hat die Aufgabe den Rücken des Kindes zu stärken, zu ermutigen, einen Schubs nach vorne zu geben, so mit väterlicher Energie auszustatten, dass die Tochter, der Sohn sein Leben wagt; das kann bedeuten, das sichere Nest zu verlassen, die eigene Bequemlichkeit zu überwinden, auch mal ein Wagnis einzugehen und dabei sogar eine Bruchlandung zu riskieren. Gute Väter können auch helfen das innere Chaos in der Pubertät zu bändigen, durch ihr einfaches Da-sein Ordnung zu stiften, Ruhe und Sicherheit auszustrahlen. Und sie können und müssen zuweilen auch konfrontieren und Lebensstile ihrer Kinder infrage stellen. Der Vater hat vor allem die Aufgabe, dem Kind Vertrauen ins Leben und in sich selbst zu stärken.
Folgende Sätze können dabei womöglich helfen: „Keine Angst, es passiert schon nichts!“ , „Ich glaube an Dich, Du schaffst es, du musst nur aufstehen und auch an dich glauben !“ „Keiner macht den nächsten Schritt, wenn du ihn nicht selbst machst.“
Auch biblisch ist Gott Vater immer wieder der, der im Rücken steht. So ergeht an Abraham die Aufforderung: „Geh vor mir (also Jahwe)her und sei ganz.“ (vgl. Genesis 17,1) Gott ist die Rückenstärkung, die es ermöglicht ganz Mensch und ganz selbst zu werden. Und so ließe sich auch der biblische „Umkehr“-Aufruf nicht moralisierend , sondern im Sinne der biblischen Gleichniserzählung vom barmherzigen Vater deuten: Dreh dich um, und du wirst entdecken, dass ich- dein dich liebender Vater- da bin, der auf deine Heimkehr gewartet hat.
(Titel: königliche Würde, Acryl auf Leinwand, von Gustav Schädlich-Buter)
Ideologien als „Vater- und Rückgratersatz“
Wem solche Vatererfahrung fehlt, der sucht „Rückgratersatz“ (A. Grün). Dieser besteht in unbeweglichen (politischen, religiösen….). Ideologien, in übertriebenen konservativen Einstellungen, in starren Normen und Prinzipien, an die sich der „Vaterbedürftige“ klammert und festhält. Die dadurch gewonnene äußerliche Sicherheit und Stärke verbirgt dann aber nur die eigene Brüchigkeit, die Angst vor dem Unkontrollierbaren und den Mangel an Selbstwertgefühl.
„Wenn dir der Vater fehlt“, so ein Sohn bei einer Befragung, „dann fehlt dir eine Vision von deinem Leben und deinem Mann-sein; dann traust du dir nichts zu ; und du bist dir über deinen Wert unsicher und weißt nicht, woran du dich halten kannst. „
Tiefgreifende Kommunikation zwischen Vätern und ihren Kindern
Die meisten Väter sind keine emotionslosen, machtbesessene Karrieristen oder „Schwächlinge“, die nichts zu sagen haben, aber viele haben es einfach nicht geschafft, ihren Kindern zu vermitteln und mit ihnen darüber zu reden, was sie in der Tiefe bewegt, wofür sie gekämpft haben und was ihre Visionen, Hoffnungen und Lebensträume waren und sind.
Und das noch schwierigere Thema gerade gegenüber erwachsen gewordenen Kindern besteht darin zu benennen, worin sie gescheitert sind und welche Niederlagen sie erlebt haben; wie wichtig wäre es zu reden, über ihre Trauer, ihre Verluste, ihre Ohnmacht und all das nicht Gelungene eines Lebens.
Wie wichtig, wie erneuernd, wie mutmachend für die jüngere Generation wären solche Vater-Sohn und Vater-Tochter- Gespräche, in denen die Älteren den Jüngeren ihre Erfahrungen vermitteln, was Menschsein heißt! Wie wichtig auch dafür, dass eine Gesellschaft nicht infantil bleibt mit einem von den Medien genährten Ideal von den „jungen Alten“, die als alte Narren vielleicht Geld, aber keine Weisheit den Jüngeren anzubieten haben
Impuls:
Wie habe ich meinen Vater erlebt? Hat er mir meinen Rücken gestärkt? Welche Sätze von ihm haben Sie in Erinnerung?
Was würde ich ergänzen auf „Wenn dir der Vater fehlt, ….:“
Welche Werte, Visionen und Einstellungen möchte ich als Vater (falls ich ein solcher bin) an meine Kinder (Söhne und Töchter) weitergeben?
Welche biblischen Erzählungen stärken mir den Rücken?
Literatur:
Richard Rohr, Vom wilden Mann zum weisen Mann, München 2006