Spielen lernen

Laßt uns spielen/ehe der Lebenstraum einschläft//Laßt uns/ einen Schneemann kneten/ der uns verlacht// die hochnasigen Erwachsenen/ an der Nase führen// zum Mondmann fliegen/mit ihm unser Spiel treiben// Laßt uns ein Weilchen den Glauben umarmen/ alles sei /wie es sein soll// im Atemspiel mit dem Tod (Rose Ausländer,  Im Atemhaus wohnen, Gedichte, Frankfurt am Main 1981, S.108)

Das Gedicht von Rose Ausländer (geb.1901) berührt das Kind in uns, das noch zweckfrei spielen konnte, sich selbstvergessen seinen Phantasien überlassen oder tief versunken war in ein scheinbar völlig nutzloses Tun. Für die meisten von uns Erwachsenen ist nicht mehr viel übriggeblieben von diesem spielerischen Kind; Erwachsene müssen nützlich, effizient, ernst und seriös sein. Erwachsene definieren sich vielfach über das, was sie leisten, was sie können und was sie haben. Sind wir nicht alle dabei sehr unfrei geworden und versklavt an die Welt der Zwecke, eingesperrt in Sachzwänge, verbogen durch Anpassung? Als  Erwachsene dienen wir den Götzen Status, Reichtum, Position und Vermögen und sehen andere Menschen oft nur noch aus der Perspektive: „Was bringt der mir?“ Fast alles wird heute verzweckt.

Wir Erwachsene sind aus dem Paradies vertrieben, in welchem es noch eine zweckfreie und selbstverständliche Daseinsberechtigung gab; heute müssen wir unser Leben erleisten, unser Glück erkämpfen, unser Daseinsrecht mühsam vor uns selbst rechtfertigen und uns gegen andere behaupten. Und all dies in der kurzen Zeitspanne, die uns gegeben ist. Aber „was bleibt dem Menschen von all seiner Mühe und von der Strebung seines Herzens, womit er sich abmüht unter der Sonne…“. Ist nicht das Ganze unseres Lebens „Windhauch“, vergänglicher Dunst also, frägt pessimistisch der Prediger Kohelet (Koh1, 2-4,; 2, 22-23).

Wozu also ist der Mensch da? Wozu bin ich da? Auch wer lange nachdenkt, wird letztlich keinen notwendigen Zweck finden. Die Welt, der ganze Kosmos würde auch ohne mich auskommen und funktionieren, erinnert Bernardin Schellenberger.  Ich bin nicht um eines Zweckes willen auf dieser Erde. Der Sinn und Grund meines Lebens liegt nicht in meinem Nutzen für etwas, sondern ist wohl eher in den Kategorien des Nutzlosen und Zweckfreien zu suchen. Ich bin um meiner selbst willen da, einfach, weil es gut ist, dass es mich gibt. Ich bin um meiner selbst willen etwas wert und gut; nicht deshalb, weil ich einen Zweck erfülle, brauchbar, nützlich und verwendbar bin.

Die alten Glaubenstexte sprechen noch davon: Gott hatte Wohlgefallen an seiner Schöpfung, der Grund der Welt und meines Dasein liegt in seinem Be-„lieben“ und „Entzücken“. ER will, dass ich bin und er hat Entzücken an mir ohne eine Gegenleistung zu verlangen.

Menschen, die nichts mehr leisten können, weil sie unheilbar krank, schwer behindert oder alt sind und spielende „Menschen-Kinder“ können dafür die besten Zeugen sein. Im Buch der Sprüche sagt die Weisheit über den Schöpfer: „Als er die Fundamente der Erde abmaß, da war ich (die Weisheit, d.V.) als geliebtes Kind bei ihm. Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund und meine Freude war es bei den Menschen zu sein. “ (Spr 8, 30) Dieser Weisheitstext beschreibt die Entstehung der Welt aus dem Geist des Spieles, ein Spiel, das in sich schön und gut ist. Der spielende Mensch – z.B. der Dichter, der mit Worten oder die Malerin, die mit Farben spielt- ist Mitspieler Gottes.

Kater Mikesch- Acryl auf Leinwand

Dieses zweckfreie Spiel ist kein leichtfertiges Spiel, das Tod, Trauer und das Böse einfachhin „überspielt“. Dieses Spiel ist auch keine nostalgische Flucht aus der Realität in ein verlorenes Paradies, sondern ein vom Glauben getragenes „Atemspiel mit dem Tod“ wie die Dichterin sagt, das nur dann Sinn aufschließt, wenn es den Spielregeln der Liebe folgt, den Machtspielen der Welt widersagt und Einsatz riskiert für die zweckfreie Würde des Menschen.

Solch Spielende schenken eine Ahnung von einer Welt, die nicht dem Dogma der Nützlichkeit unterworfen ist. Der spielende Mensch befreit auch andere durch seine Spielfreude und verkündigt den zweckfreien Sinn des Menschenseins und einer erlösten Schöpfung. Wer frei spielt, „verlacht“ die Welt der Macher, Angeber und Ausbeuter; er entzieht sich dem Druck ständiger Optimierung seiner selbst.

Literatur: Bernardin Schellenberger, Einübung ins Spielen, Münsterschwarzach 1980

Spielendes Kind- bejaht und geliebt

Kleine Kinder spielen meist noch unbeschwert, sie lachen, singen, albern herum, lassen ihren Gefühlen freien Lauf, haben unendlich viel Energie. Noch engt sie kein Leistungsdruck ein, noch blockieren keine verkrampft abzuarbeitenden Pflichten. Wenn sie sich wehtun, kommt Mama oder Papa, hilft auf, tröstet und spricht ein aufmunterndes Wort.

Leben bedeutet für Kinder spielen, spielen unter den wohlmeinenden und gütigen Augen der sie behütenden Eltern. Das dazugehörige Grundgefühl lautet: ich bin gemocht, da gibt es Menschen, die mich gern haben und auf mich aufpassen, ich gehöre dazu und bin nicht allein. Im Grunde ist damit der zentrale Inhalt des Gottesglaubens ausgedrückt, nämlich gratis zu leben, geliebt und bejaht unter den wohlmeinenden Augen des Schöpfers.

Als Erwachsene legt sich dann nicht selten ein Schleier über dieses ursprüngliche Bewusstsein gemocht zu sein und dazu zu gehören. Wir Erwachsene nehmen uns irgendwann furchtbar wichtig, der Anspruch selbst unseres Glückes Schmied zu sein, macht uns verkrampft, bitter und ernst. Die Lebenslust verkalkt in unseren Adern und unsere Seele verliert ihre Flügel. Wer sich nicht (mehr) geliebt weiß, der muss sich seine Liebe, seine Anerkennung, und  seine Daseinsberechtigung erkämpfen. Er beginnt sich zu schützen: sein Ego, seine Klasse, seine Position, seine Macht, seinen Besitz, seine Rasse, seine Nation….. Viele in großen Firmen müssen sich ständig beweisen und präsentieren. Jede und jeder muss zeigen, dass er besser ist als der andere .Wir leben heute in einer Kultur der Macht, der Stärke, der Egos und des individuellen Erfolgs.

In einer solchen Welt der Stärke, Macht und der Konkurrenz finden behinderte Menschen oft keine Heimat mehr, weil sie in einem solchen System für niemanden wertvoll scheinen. Henri Nouwen, der eine Karriere als Hochschulprofessor aufgab, und sich der von Jean Vanier gegründeten „Arche“- Bewegung gemeinsamen Lebens mit geistig behinderten Menschen angeschlossen hat, schreibt:

„In meiner eigenen Gemeinschaft, in der wir mit vielen stark behinderten Männern und Frauen zusammenleben, stammt das größte Leiden, nicht aus dem Behindertsein selbst, sondern aus den Gefühlen, nutzlos, wertlos, geringgeachtet und ungeliebt zu sein. Man kann es viel leichter ertragen, nicht reden, gehen oder selbstständig essen zu können, als nicht für jemanden ganz besonders wertvoll zu sein.“ (Henry Nouwen, Du bist der geliebte Mensch, Religiös leben in einer säkularen Welt, Freiburg im Br. 1993, Neuausgabe 2006, S. 76)

Dort, wo die spontane Grunderfahrung, gratis geliebt und bejaht zu sein, abhanden gekommen ist, treibt die damit einhergehende existentielle und spirituelle Verunsicherung dazu an, sich diese Liebe verdienen zu müssen. Dadurch machen sich viele abhängig von der Anerkennung durch andere, und werden auf diese Weise immer unfreier.

Jean Vanier, der Gründer der weltweit verbreiteten Archegemeinschaften, hat in seiner eigenen Biografie, die von Pflichten als Marineoffizier und als Hochschullehrer der Philosophie geprägt war, erlebt wie geistig behinderte Menschen, mit denen er eine Wohngemeinschaft bildete , ihm halfen zurück zu finden zu einem spielerischen Umgang mit dem Leben; zu einem ursprünglichen Erleben des Geliebtseins und des bedingungslosen Vertrauens. Die Kraft der Liebe und Zärtlichkeit, die von behinderten Menschen ausgehen kann, meint Vanier, könnte allen helfen (die in einem System der Macht und Konkurrenz sich bewegen) in eine heilsame „Bewegung nach unten“ zu kommen. Dort, wo ich einen anderen Menschen in der Tiefe seines Seins antreffe, wo ich nichts mehr beweisen muss und mir nicht mehr besser vorkomme als der andere, geschieht eine Befreiung vom  Ego. In der Tiefe unseres Seins werden wir alle gleich. „Keiner über dem anderen, keiner unter dem anderen“, geliebt wie wir sind als Kinder Gottes und zwar bedingungslos.

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(Titel:  „Kinderspiel“, Acryl  auf Leinwand, 60×60, von Gustav Schädlich-Buter)

Es gilt für uns alle, – die von alltäglicher Berechnung und Verzweckung des Lebens von uns selbst entfremdet wurden, die sich um der Gewinnsteigerung zu Tode arbeiten, die in der Enge des Hamsterrades strampeln….- , das absichtslos spielenden Kind wieder zu entdecken und lebendig werden zu lassen.

Die  göttliche Weisheit, -Begleiterin in Gottes dauerndem Schöpfungsspiel-,  erzählt von sich selbst in einem  frühjüdischen Glaubensgedicht  :

„…als er (der Schöpfer) die Fundamente der Erde abmaß, da war ich als geliebtes Kind bei ihm./ Ich war seine Freude Tag für Tag/ und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund/ und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.“(vgl. Buch der Sprichwörter 8, 30-31).

Übung:

Setzen Sie sich ruhig und bequem hin an einem Ort, wo sie sich wohlfühlen;  jetzt müssen Sie nichts leisten, nichts wegarbeiten, nichts beweisen.

Stellen Sie sich vor, dass „jemand“ Sie mit wohlwollenden, liebevollen und gütigen Augen anschaut, auf ihren Körper, auf ihre Geschichte, auf die Wunden und Brüche ihres Lebens,  auf ihr ganzes Sein.

Die Übung kann in zweifacher Weise wiederholt werden: von vorne angeschaut werden; von hinten angeschaut werden (der Rücken: was er alles getragen und geschleppt hat, der womöglich gedrängt und gestoßen wurde…, der gekrümmt wurde durch die Macht anderer über mich…)

oder:

Nehmen Sie Farbe und Pinsel zur Hand und drücken Sie aus, was Sie im Moment bewegt! (kein Leistungsdruck; es muss kein Kunstwerk werden)

Literatur zur Vertiefung:

  1. Nouwen, Du bist der geliebte Mensch, Religiös leben in einer säkularen Welt, Freiburg im Br. 1993, Neuausgabe 2006

Henry Nouwen, Adam und ich, eine ungewöhnliche Freundschaft, Freiburg im Breisgau 1998

Jean Vanier, Einfach Mensch sein. Wege zu erfülltem Leben Taschenbuch , 2001, übersetzt von Bernardin Schellenberger, 2001

Bernardin Schellenberger, Einübung ins Spielen, Münsterschwarzach 1980