Feindesliebe und der Umgang mit den eigenen Dunkelheiten

Das jesuanische Gebot der Feindesliebe gehört wohl zu den am schwierigsten zu erfüllenden Lehren im Evangelium Jesu Christi.(vgl. Matthäus 5, 43-48) Es ist schon oft schwer genug die „Eigenarten“ anderer Menschen ohne Groll und negative Gefühle auszuhalten. Toleranz ist schon schwer, um wie viel schwerer ist es, den Feind auch noch zu lieben. Viel leichter fällt es, zu urteilen und zu verurteilen;  dabei wird zwar oft der Splitter im Auge des Feindes gesehen, aber der Balken im eigenen gern Auge übersehen.

Die Wahrnehmung auch auf sich zu „richten“ statt nur die anderen anzuklagen, könnte womöglich ein Schritt zur Gewaltüberwindung sein. Wer den eigenen Schatten, auch den des eigenen Volkes,  wahrnimmt,  wird milder gegenüber anderen. Das Wort „mild“ kommt ja von „mahlen“, vom Leben gemahlen werden und dabei weich zu werden im Umgang mit sich und den anderen.

Zur Heilung und zum Heilwerden gehört dieser schwierigste aller schweren Schritte auf dem schmalen Pfad und der engen Tür, die ins Reich Gottes führt. Nämlich sich selbst in seiner Dunkelheit und Boshaftigkeit wahr- und anzunehmen. Jean Vanier, der Gründer der weltweit verbreiteten Arche Gemeinschaften, in denen  behinderte Menschen mit Ihren Begleiterinnen zusammen leben, schreibt dazu:

„Diejenigen von uns, die Macht und soziales Ansehen genießen, verfügen über subtile Möglichkeiten, ihre seelischen Behinderungen, ihre Schwierigkeiten mit Beziehungen, ihre innere Finsternis und Gewalttätigkeit, ihre Depression und ihren Mangel an Selbstvertrauen zu verbergen…Wir haben das Gefühl, wenn andere uns so sehen würden, wie wir wirklich sind, könnten sie uns ablehnen. So verbergen wir unsere Schwächen…Ich lerne nach und nach, meine eigenen Schattenseitenanzunehmen und an ihnen zu arbeiten, um ihre Macht über mich abzubauen.“(Jean Vanier, Wege zu erfülltem leben, Einfach Mensch sein, Freiburg im Breisgau 2001, S. 118f.)

Wer dieses nicht tut, sucht die Schuld immer beim anderen, übernimmt nicht die volle Verantwortung für sein Leben. Wer nur gut sein will, edel, hilfreich und gerecht, produziert meist eine Menge Schatten und Böses.(empfehlenswert dazu : der  Film von Michael Haneke, Das weiße Band-eine deutsche Kindergeschichte aus dem Jahre 2009) Es scheint fast so, dass wir ein gewisses Potential an Dunkelheit, ja sogar an Bösem bei uns selbst und anderen akzeptieren müssen, um nicht noch mehr Böses und Destruktives zu riskieren.

Wer nur heilig sein will oder soll,  wird leicht zum „Teufel“. Wer das Unkraut vorschnell beseitigen und ausreißen will (Matthäus 13, 24-30), der reißt mit dem Unkraut auch den guten Weizen aus. Jede und jeder, der mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat (als Eltern, Lehrer, Begleiter..), kann von diesem Gleichnis lernen. Jesus empfiehlt, beides- Unkraut und Weizen- wachsen zu lassen bis zur Ernte; erst dann wird das Unkraut gesammelt und verbrannt. Wer allzu rigide das „Unkraut“ vorschnell auszureißen versucht, riskiert auch die guten Anlagen und Strebungen eines Menschen zu beschädigen. Nicht wenige, die aus ihren Kindern nur edle und moralisch hochwertige Menschen machen wollen, müssen sehen, dass sie dadurch ihre Kinder einem besonderen Sog ins Dunkle und Schattenhafte, manchmal auch in die Krankheit; (der Schatten setzt sich ins Körpergeschehen ab) ausliefern.

Insofern gehört die Annahme des eigenen Schattens zum eigenen Heilwerden ; dabei wird sich meist auch zeigen, dass in der verdrängten und verleugneten Schattenenergie eine Menge Lebenspotential gebunden war.  Wer nur das Licht sein will, verbreitet oft  Dunkelheit, wer sich nur altruistisch zurücknimmt, wird eines Tages ausrasten oder krank werden. Wer sich auf Harmonie fixiert, wird eines Tages die Dissonanzen des Lebens zu spüren  bekommen. Wer seinem Ego keinen Brocken zuwirft, wie Franz dem Wolf von Gubbio, der wird sich womöglich bald mit einem inwendigen gierigen Monster auseinander setzen müssen. Wer sich nie abgrenzt im Dienst für die anderen (Kinder, Kranke, Hilfsbedürftige….), wird sich eines Tages  immer mehr ausgelaugt und ausgesaugt empfinden. Wer sich nie abgrenzt in der Liebe, wird eines Tages heillos verschmolzen und verklebt sein oder einen zerstörerischen Vulkanausbruch riskieren.Ein Leben, das den Schatten ausspart, ist unheil, obwohl es nach außen heil erscheint.

(„GESTAUTE WUT“, Acryl auf Leinwand,von Gustav Schädlich-Buter)

Allerdings kann ich als Christ mein Leben mit allen Unzulänglichkeiten und Dunkelheiten Gott in seinem Sohn Jesus Christus hinhalten, um mich von IHM erlösen zu lassen. Unser eigenes gutes Bemühen allein reicht zur Lebensbewältigung bei weitem nicht aus; es gilt wachsam zu sein (wie die „Wächter am Morgen“- so der Psalm), gegenüber den vielfältigen Strömungen des eigenen Lebensuntergrundes.

Der Kontemplationslehrer Franz Jalics S.J. erinnert dabei auch an die „eingewurzelten Dunkelheiten“ (die Theologie spricht von Erbsünde) in unserem Leben, die sich unserem Bewußtsein weitgehend entziehen und durch Verdrängungsmechanismen weggehalten werden.  Sie äußern sich unterschiedlich zum Beispiel  „in Form von chronisch negativen Gefühlen: Unzufriedenheit, Unsicherheit, Angst, Aussichtslosigkeit, Wut, Ärger, Verlassenheit, Depression, Traurigkeit, ….,Minderwertigkeitsgefühl, Gleichgültigkeit, Eifersucht, Selbstmitleid….Viele Menschen führen diese Empfindungen auf äußere Ereignisse zurück und spüren nicht mehr, dass sie von innen kommen. Äußere Ereignisse sind eher Auslöser als Ursachen.“ (Franz Jalics, Kontemplative Exerzitien, Eine Einführung in die kontemplative Lebenshaltung und in das Jesusgebt, Würzburg 1999, S. 179)

Wer sich diesen Dunkelheiten in der Meditation stellt, wird nicht selten erleben, dass sich der durch das Dunkle erzeugte Druck des Unbewussten somatisiert  in Körperspannungen, Knie- und Rückenschmerzen, Schluckstörungen ….und plötzlich auftretende Gefühle wie Trauer, Wut, Sinnlosigkeitsgefühle.

Jalics Empfehlung: nicht analysieren, sondern bei der Meditation im Schauen und Wahrnehmen bleiben, das Dunkle durchleiden, denn was in Liebe durchlitten ist, ist auch erlöst. Einzig die Liebe löst diese Dunkelheiten auf. Nur wer sich dem eigenen Erlösungsprozess gestellt hat, kann auch heilsam und erlösend für andere wirken. (Vgl. dazu, Franz Jalics, a.a.O., S.177-188)