Stay with me

„Wie ich in einem New Yorker Taxi durch eine Glasscheibe vom Fahrer getrennt bin, so bin ich auch im Leben von Gott getrennt: Beide sind wir unberührbar, und trotzdem bewegen wir uns in dieselbe Richtung.

Durch die Scheibe kann man sich nicht unterhalten. Ich dachte mir: Wenn das Gebet ein Gespräch mit Gott ist, dann bin ich unkommunikativ geworden, asozial, ungesellig, zänkisch. Ich spreche so selten mit ihm, dabei hätte ich ihm soviel zu sagen. Und soviel, worum ich ihn bitten würde.

Gott und ich schlafen tatsächlich schon seit Jahren in getrennten Betten. Manchmal vergesse ich, daß er überhaupt existiert, und wenn ich es schon vergesse, dann vergißt Er es höchstwahrscheinlich auch….“ (von Lidija Dimkovska, Stay with me, stay with me, aus dem Makedonischen von Alexander Sitzmann)

„stay with me“-Engel

(„stay with me“, Acryl auf Leinwand von Gustav Schädlich-Buter)

In Ihrem Essay „Stay with me“ (Bleib bei mir) aus dem der abgedruckte Text stammt, drückt die makedonische Lyrikerin Lidija Dimkovska (Jahrgang 1971), sie gilt als wichtigste Vertreterin der jungen mazedonischen Literatur und erhielt zahlreiche Literaturpreise ) das Empfinden vieler Suchender aus, die Gott nicht ganz lassen wollen oder können und zugleich an seiner Abwesenheit in der Welt insgeheim leiden.

Dimkovska beschreibt in ihrer Metapher von der Taxifahrt einen „Gott auf Abstand“, einen, den man als fragendes, suchendes und geistiges Wesen zwar nicht ganz abschütteln kann, der irgendwie zumindest als Frage, als Wort, als Suchbewegung die eigene Lebensfahrt begleitet , aber zu dem man auch nicht richtigen Kontakt bekommt; immer sei diese Trennscheibe zwischen Mensch und Gott , sagt die Lyrikerin, in Ihrem Vergleich. Es gäbe soviel, worum man Ihn bitten möchte und was man ihn zu fragen hätte, aber es kommt kein richtiges Gespräch in Gang.  Kein Hin und Her der Worte, keine lebendiger Kontakt, so dass die Beziehung schließlich droht ganz einzuschlafen  und man einander vergisst.  „Beide sind wir unberührbar. “Es bleibt unklar, wer auf Abstand geht?

Bei Dimkovska steht nicht die Verzweiflung und der rebellische Widerstand gegenüber  einem unverständlichem Gott im Vordergrund; die Ablehnung eines Gottes,  der angesichts der Leiden und Qualen unschuldiger Menschen  trotz inniglicher Gebete und lauter Hilfeschreie schweigt und nicht eingreift wie es literarisch auf einmalige Weise von Albert Camus in seinem  Roman „Die Pest“ beschrieben wurde.

Ein Prozess, der auch kein Aufatmen ist angesichts einer Gottlosigkeit wie es ein  euphorischer Atheismus nahelegt  nach dem Motto „Endlich sind wir den Alten los!“.

Die Dichterin beschreibt eher eine schleichend, langsame Entfremdung so als ob die Beziehungsfäden immer dünner würden und schließlich ganz reißen. Dimkovska beschreibt eher einen schleichenden Prozess, bei dem man sich womöglich irgendwann gar nichts mehr zu sagen hat.

Es ist eher ein trauriges Bedauern angesichts einer sich auflösenden Liebesbeziehung. Immer seltener würden, so Lidija Dimkovska, die Menschen nach IHM sich sehnen, IHN suchen, IHN berühren wollen. Es fehlen in dieser Welt auch die Erinnerungszeichen, die die Suche und vielleicht sogar die Sehnsucht in dieser Beziehung wachhielten. Deshalb macht sich die die Dichterin ein „Kreuzchen“ auf die Brust, „damit nur Er mich bemerkt.“

Doch es scheint zum Wesen Gottes zu gehören, dass ER eben nicht greifbar und fassbar ist wie eine Götterstatue; dass er sich immer wieder unserem Begreifen entzieht und niemand endgültig sagen kann: „Ich hab dich“. Allzu große menschliche Sicherheit verdunkelt ja eher die Größe des Geheimnisses.

Der Text von Lidija Dimkovska stellt dem Leser die persönliche Frage:

Wie steht es mit Deiner Gottesbeziehung ?

Hast Du, aus welchen Gründen auch immer, Gott ad acta gelegt?

Oder  geht es dir wie der Taxifahrerin, die Gott und Leben nicht wirklich zusammenbringt?

Oder steckt da noch eine tiefe, womöglich verborgene, Sehnsucht in Dir von Gott bemerkt zu werden? …….