Der befreite Mensch

Geist und Ungeist

Wie sollen wir von G`tt reden ohne von den Götzen zu sprechen, wie vom heiligen Geist ohne den Ungeist der Welt zu benennen. Zur christlich- jüdischen Basisliteratur gehört die Exilsliteratur- die Erfahrung der Fremde und Verbannung, das Spüren der Kluft zwischen einer immer noch gewaltig stöhnenden Schöpfung und einer unvergänglichen Herrlichkeit, zwischen dem Reich Gottes, das schon begonnen hat und zur gleichen Zeit noch aussteht.

In der Exoduserzählung im Ersten Testament ist von Gefangenschaft die Rede , aber auch von einem Befreiungsprozess – vom sogenannten Auszug aus Ägypten(vgl. Exodus ,  Kap. 12, 1-18.). Doch was kann uns Heutigen diese alte Geschichte, die über mehrere Jahrhunderte allmählich gewachsen ist und im 5. Jahrhundert zu einer endgültigen Form gelangt ist, noch sagen?

Lassen wir die Geschichte dieses Freiheitsprozesses ein wenig auf uns wirken und sie einmal als inneren, seelisch-geistlichen Prozess verstehen. „Ägypten“ soll dabei Prototyp einer inneren Seelenlandschaft sein und hat mit dem Land und den heute dort lebenden  Menschen nichts zu tun. „Ägypten“ soll eine innere Geografie bezeichnen, auf der sichtbar wird wie der Ungeist wirkt und dem Geist der Freiheit entgegen steht.

„Ägypten“ heute ist in unserer westlichen Welt bestimmt von Geld, Schein und falscher Macht. In „Ägypten“ hat der Smog der Gier die Atemluft G`ttes verschmutzt und hinter der Fassade der Erfolgreichen lauert die allgegenwärtige Angst bald entmachtet zu werden.

In „Ägypten“ schwingen die Sklaventreiber unbarmherzig  ihre Peitsche und treiben zu immer mehr an, nie ist es genug, nie finden die Angetriebenen zum „Ort der Ruhe“; in heutige Sprache übersetzt,  geraten nicht wenige ins Burnout, weil die inneren und äußeren Antreiber allzu mächtig geworden sind.

Dieses „Ägypten“ drückt die Entfremdung vom „Ich selbst“ 1 aus und die  Unterwerfung des Menschen an jene  die Wirklichkeit verfälschenden Mächte- kurz: den Tanz ums goldene Kalb.(vgl. Ex 32,1 f.)

Der Tanz ums goldene Kalb

Der Tanz ums goldenen Kalb kann heute materielle Werte betreffen- Auto, Haus, Geld…- und dabei auch der Tanz ums eigene Ego sein: Eitelkeit, Selbstgefälligkeit, Ruhm- und Ehrsucht, Überlegenheitsgefühle…, die alle sagen: „Ich bin besser und wichtiger als Du!“…“Ich brauche Dich nicht!“ Dieser Tanz befreit nicht zu echter Beziehung, sondern macht die Mitmenschen – die Brüder und Schwestern der großen Menschheitsfamilie- zu Konkurrenten und Rivalen.

Der Tanz um die  selbstgemachten Götter  findet heute auf vielen Ebenen statt; er heißt Karriere, Aufstieg, Siegen, Erfolg,  Kontrolle, Status, Wellness, ungezähmte Vitalität, welche die Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens nicht mehr wahrnimmt und sich gleichgültig verhält gegenüber all jenen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.  Riesige Bank- und Finanzzentralen,  Autokonzerne mit ihren leuchtenden Ausstellungsräumen, Medientrusts ….sind die modernen Tempel, in welchen heute dieser Tanz  stattfindet. Menschlichkeit und Wahrheit werden dabei diesen alles verschlingen, gierigen  Götzen geopfert.

Selbst die Religion und Theologie kann zum Tanz ums goldene Kalb werden, wenn wir versuchen,  G`tt nach unseren Vorstellungen zu formen statt sich von IHM formen zu lassen. Fragen wir noch, was G´tt von uns will, und wie wir das Bild wiederfinden, das G`tt sich von uns erträumt hat?

Der Tanz ums goldene Kalb bringt uns Freiheit und Gewinn vortäuschend, in Gefangenschaft und Unfreiheit, nimmt uns den Blick in die Weite und engt das Herz. Dieser Tanz der Gier drückt sich aus in den Sätzen: „Was ich brauche, nehme ich mir, erschaffe ich mir, hole ich mir. Ich bin auf keine Geschenke von anderen oder von  „oben“ angewiesen. Ich muss nicht warten; alles steht mir sofort zur Verfügung.“

„Ägypten“ heißt das anbeten, was viel weniger ist als G´tt und sich doch als mehr ausgibt; wer Götzenbilder zum Zentrum seines Lebens gemacht hat, hat die Grundachse des Lebens und des Herzens zerbrochen, hat JHWH als Geber der Gabe „Leben“, als tragenden Grund des Lebens verraten, und  vergessen,  sich seines bergenden Schutzes entledigt.  Die vorgegaukelte Scheinfreiheit führt wie ein „Irrlicht“  immer tiefer in die Fremde und macht heimatlos .

Hindernis auf dem Weg- „Der Fleischtopf“

Der „Fleischtopf Ägyptens“, –die mit allem Denkbaren angefüllten Regale der Discounter, der immer volle Kühlschrank zu Hause..-, hat in unserer Weltgegend mehr Anziehung als der Hauch der Freiheit, der ins Innere der Seele hineinwehen will.  Dem Fleischtopf zu verfallen geht einher mit der  Abtötung der Sehnsucht, die hinaus ins Weite führen könnte. Voller Bauch, hoher Lebensstandart gepaart mit Verschwendungssucht und „Rundum- Sicherheit“- das ist der Bannkreis, der sich um die Seele legt, sie lähmt und ihr die Flügel stutzt. In „Ägypten“ ist die Seele verraten und das Herz verkauft. „Ägypten“ – das ist die Macht, die aus großen Wünschen kleine macht,  die das wilde Meer zu einem  Aquarium im Wohnzimmer verkleinert. „Ägypten“  ist der Scheinfriede abgesättigter Bedürfnisse- , der die darin Gefangenen ihr Leben verschlafen lässt.

Die, die aus der Gefangenschaft aufbrechen wollen, müssen sich entscheiden zwischen der Sicherheit der Fleischtöpfe „Ägypten`s“ und dem Wagnis ungesicherten Aufbruchs. Wer den Exodusweg beschreiten will, muss vieles los lassen, was den Geschmack dieser Freiheit verdirbt.

Unfähig das Geheimis zu erlauschen

Wer in „Ägypten“ bleibt, hat sein Ohr verraten, hat aufgehört zu lauschen, rechnet nicht mehr mit einem Anruf von diesem „Ich weiß nicht was“2 . In Ägypten ist die Seele   taub3 für den Klang des Lebens, blind für die Schönheit des Nicht-Machbaren, für das Gratis des Lebens.

Wer Ägypten verlassen will, muss sein Ohr öffnen, einen Sprung heraus tun aus sich selbst4, in die unsichere Freiheit, Vertrauen lernen in geschenkte Zusage. Wer Ägypten verlassen will und in der Freiheit und in der Liebe wachsen will, muss seine Innerlichkeit zurückgewinnen; muss lernen aus den viele Stimmen, die Einlass haben wollen, die innere echte Stimme zu hören und ihr zu folgen. Wer Ägypten verlassen will muss die Geister und Stimmen unterscheiden lernen; es gilt auf die Stimme zu hören,  welche in  tiefere Beziehung führt zu sich selbst, zum anderen und zu G`tt. Wer „Ägypten“  verlassen will muss den Panzer der Macht und der Unberührbarkeit ablegen und demütig, das heißt menschlich und erdhaft-  werden.

Vertrauen lernen

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Befreit, Acryl auf Leinwand

Und dann wird er Aufbruchspläne schmieden mit seinem  G´tt, der versprochen hat: Ich werde da sein als der ich da sein werde. Dann aufbrechen, früh am Morgen, wenn die Wachposten noch schlafen, kurz an der Schwelle zum Neuen, noch einmal innehalten, zusammen mit allen, die mitgehen wollen, ein Mahl einnehmen, sich der Vision vergewissern und dann schnellen Schrittes losgehen mit leichtem Marschgebäck. Losgehen mit großem Vertrauen, dass das Notwendige schon vollbracht ist und ER mitgeht , voranzieht auf dem langen Befreiungsweg.

An die Treue Gottes glauben

Wenn die Freiheit bedroht wird durch die Verfolger im Inneren und im Äußeren, wenn die Kräfte erlahmen und ermatten, wenn die Aufbruchsstimmung verdüstert und das Ziel nicht mehr sichtbar ist, wenn der Sog zurück,  größer wird als die Stimme, die einst schon zu Abraham sprach: Geh in des Land, das ich Dir zeigen werde! , dann gilt es  an  Mose Ermutigung zu glauben: “Fürchtet euch nicht. Bleibt stehen und schaut zu wie der Herr euch heute rettet“ (Ex 14, 13)

Zur Hingabe befreit

Der echt befreite Mensch ist der, der fähig geworden ist, sein Leben hinzugeben, sich zu verschenken ohne dauernd an sich zu denken und zu fragen, was „Ich“ davon hat.

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(„Befreit“, Acryl auf Leinwand, 60cm Höhe x 50 cm Breite von Gustav Schädlich-Buter)

Wer den Aufbruch wagt, -den aus sich selbst hinaus- , der kann mit Gottes Hilfe rechnen, der von sich gesagt hat: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land  Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus .“ (Ex 20,2 und Dtn 5,6f.)

Anmerkungen:

1 Paulus sagt:“ Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin“; allen Mystikern ging es um den Durchbruch zu einem „klaren Ich“.

2 so hat Johannes vom Kreuz Gott genannt- dieser „Ich weiß nicht was“

3 lat. absurdus = taub; leben in einer absurden Welt

4 ek-sistenz- meint laut Heidegger die Bestimmung des Menschen als ein ekstatisches Wesen (eksistere- über sich hinausstehen)