Segen- “ Du bist der geliebte Mensch“

„Du bist der geliebte Mensch“ lautet der Titel eines Buches von Henri Nouwen, in dem er versucht, einem Freund, der gänzlich in einer säkularen Welt lebt, etwas von seinem Glauben zu vermitteln. (vgl. H. Nouwen, Du bist der geliebte Mensch, Religiös leben in einer säkularen Welt, Freiburg im Br. 1993, Neuausgabe 2006)

Der geistliche Schriftsteller Henri Nouwen beschreibt als Ziel jeder geistlichen Reise, die Wahrheit und Wirklichkeit, von Gott zutiefst und bedingungslos geliebt zu sein („Du bist der geliebte Mensch“), voll und ganz für sich zu erfassen. Solange bleibt das suchende Herz letztlich unruhig bis diese Liebe, für welche jede menschliche Liebe ein Vorgeschmack sein kann, es ganz zu ergreifen vermag. Auf dieser Reise müssen wir das, was wir letztlich schon sind, nämlich Gottes geliebte Kinder, zugleich noch werden.

Henri Nouwen, der eine Karriere als Hochschulprofessor aufgab und sich der von Jean Vanier gegründeten „Arche“- Bewegung gemeinsamen Lebens mit behinderten Menschen angeschlossen hat, benennt für diese Reise in die volle Wirklichkeit von Gott geliebt zu sein, vier „Stationen“ und zu erfassende Wahrheiten (entsprechend des eucharistischen Vollzugs: das Brot zu nehmen, zu segnen, zu brechen und herzugeben):

Angenommen und auserwählt

Die erste Wahrheit besteht darin, sich bewusst zu machen, dass ich bereits „genommen“ und „auserwählt“ bin. Das bedeutet nicht, besser und großartiger als andere zu sein, sondern jemand hat an mir etwas Besonderes gesehen und mich in meiner Einmaligkeit wahrgenommen; jede und jeder ist bereits als geliebter Sohn oder Tochter ausgewählt; schon von Ewigkeit her wurde ich von Gott her als kostbar angeschaut und als ewig wertvoll erkannt. Wir erhalten unsere Kostbarkeit und Einmaligkeit von jenem, der uns in immerwährender Liebe auserwählt hat, der sein Antlitz über uns erhebt und uns voll Liebe anschaut. Ich bin einmalig, kostbar und geliebt. Dies ist die eigentliche Wahrheit über mein Leben und diese Wahrheit will im Laufe der Reise stärker werden als alle jene Aussagen über mich, die verletztend, beleidigend und erniedrigend sein mögen.

Gesegnet

Die zweite Wahrheit die wir uns auf dieser Reise aneignen sollen, heißt: Wir sind „gesegnet“ und „Gesegnete“. Als verunsicherte und verängstigte Menschenwesen bedürfen wir eines Segens. Das lateinische Wort für segnen „benedicere“ heißt wörtlich: über jemand etwas Gutes sagen. Wir alle brauchen es, dass jemand etwas Gutes über uns sagt. Aber der Segen geht noch über Anerkennung und Lob hinaus. Der Segen ist eine Erinnerung an  die ursprüngliche Gutheit des Anderen. Einen anderen segnen heißt ihm Gottes Liebe zusprechen und daran zu erinnern: du bist ein besonderer Mensch, den Gott ganz lieb hat. Alle individuellen Segenswünsche (Worte der Dankbarkeit, Ermutigung und Zuneigung) sind ein Widerhall des Segens, der von aller Ewigkeit an auf uns Menschen ruht.

Gerade schwer behinderte Menschen können reichen Segen verschenken. „Einer aus meiner Kommunität, Adam, kann nicht sprechen, kann nicht allein gehen, kann nicht ohne Hilfe essen, kann sich nicht selbstaus- oder anziehen, aber an Menschen, die sich die Zeit nehmen, ihn einfach zu halten oder bei ihm zu sitzen, hat er sehr viel Segen zu verschenken….Diese Art Beschenkt-werden erfließt aus dem einfachen Gegenwärtigsein….“ (H. Nouwen, Du bist der geliebte Mensch, S.69)

Der Segen erinnert uns im Laufe unserer Reise, dass wir geliebt sind und einem liebenden Gott zugehören. Diese Segensworte sagen die Wahrheit, auch wenn jene infragegestellt wird durch die lauten Flüche, Beschimpfungen und rücksichtslosen Erniedrigungen, die über uns ergehen und Finsternis, Zerstörung und Tod produzieren wollen.

„Gebrochen“

Die dritte Wahrheit, die wir nicht verdrängen sollten, lautet: wir sind „ ge-brochen“. Jede und jeder von uns erfährt Gebrochenheit und dies in ganz individueller Weise: Einsamkeit, Isolation, Ängste, Unsicherheiten, Trennungen, Scheitern, Niedergeschlagenheit, Schmerzen und Tod als radikalster Beweis, dass unser Leben gebrochen ist.

(Kreuz unter Segen gestellt,  Acryl auf Leinwand, von Gustav Schädlich-Buter)

Die Art und Weise wie ich gebrochen bin und meine Gebrochenheit erfahre, offenbart etwas ganz Wesentliches und Charakteristisches über mich; mein ganz persönliches Gebrochen-sein rührt an meinen Personkern , sagt etwas über meine Einmaligkeit und mein nicht vergleichbares Leiden daran. Nouwen meint, wir seien in unserer Gebrochenheit so einmalig wie in unserem Auserwähltsein (Nouwen, a.a.O., S. 75) und unsere Wunden, machten die Substanz unseres Lebens aus.

In meiner eigenen Gemeinschaft, in der wir mit vielen stark behinderten Männern und Frauen zusammenleben, stammt das größte Leiden, nicht aus dem Behindert- sein selbst, sondern aus den Gefühlen, nutzlos, wertlos, geringgeachtet und ungeliebt zu sein. Man kann es viel leichter ertragen, nicht reden, gehen oder selbstständig essen zu können, als nicht für jemanden ganz besonders wertvoll zu sein.“ (Nouwen, a.a.O., S. 76)

Nouwen schlägt zwei Weisen vor, um mit der eigenen Gebrochenheit umzugehen.

Die erste Weise besteht darin, sich mit ihr auszusöhnen und sich mit ihr anzufreunden. Dem mit der Gebrochenheit verbundenen Leiden und Schmerz darf ich nicht ausweichen. Um mich ihm zu stellen brauche ich jemanden, der mir hilft, ihn zu durchleben und standzuhalten. Durchlittenes und durchlebtes Leid kann so ein Weg zu innerem Frieden und zur Freude werden.

Als zweite Möglichkeit mit der eigenen Gebrochenheit umzugehen, schlägt Nouwen vor, jene unter den Segen zu stellen. „Die wesentliche geistliche Aufgabe der geliebten Kinder Gottes besteht darin , ihre Gebrochenheit aus dem Schatten des Fluches zu entfernen und sie ins Licht des Segens zu stellen……Wenn man körperlichen, seelischen oder gefühlsmäßigen Schmerz unter dem Segen lebt, erfährt man ihn grundverschieden anders, als wenn man diesen Schmerz unter dem Fluch trägt. Schon eine kleine Last, die jemand als Bestätigung seiner Wertlosigkeit empfindet, kann in tiefe Depressionen stürzen, ja in den Selbstmord treiben.

Dagegen werden selbst große und schwere Lasten leicht und tragbar, wenn man sie im Licht des Segens trägt. Was unerträglich schien, wird zur Herausforderung. Was ein Grund zur Depression schien, wird zur Quelle der Läuterung….So besteht also die entscheidende Aufgabe darin, dem Segen zu erlauben, uns in unserer Gebrochenheit anzurühren.“ (Nouwen, S, 84 f.) Gerade die durchlebten und durchlittenen Bruchstellen des eigenen Lebens, können zur Gabe für andere werden.

Sich verschenken

Die vierte Wahrheit heißt: hergeben. Nicht um unserer selbst willen, sind wir auserwählt, gesegnet und gebrochen, sondern all jenes findet darin eine Bedeutung, dass wir es für andere leben. Die größte Erfüllung des Lebens bestünde gerade darin, uns selbst an andere zu verschenken, etwas, ja noch mehr, sich selbst, herzugeben, denn unser Leben selbst sei das größte Geschenk, das wir zu vergeben hätten. Wichtiger beim Schenken als die je eigenen Talente seien die Gaben (Freundschaft, Geduld, Freude..), als Weisen wie wir unser Menschsein zum Ausdruck bringen.

„ Je älter ich werde, desto mehr entdecke ich, daß mein größtes Geschenk, das ich anzubieten habe, meine eigene Freude am Leben ist, mein eigener innerer Friede, mein eigenes Schweigen und meine Einsamkeit, mein eigenes Gefühl, mich wohl zu befinden.“ (Nouwen, a.a.O., S.98)

In einer Welt des gnadenlosen Wettbewerbs und rücksichtloser Habgier wird der Sinn für die Freude des Gebens immer mehr verloren. Ein glückliches Leben ist ein Leben für andere und hängt nicht vom Haben ab; eine Wahrheit, die einem meist erst angesichts eigener Gebrochenheit aufgeht.

Eine letzte Hingabe im Sterben

Das Sterben kann und soll das Mittel unseres letzten Hergebens unserer selbst werde. „Ich persönlich halte das Leben für eine Vorbereitung auf den Tod als endgültige Tat des Mich-Hergebens…. Das Sterben von Menschen, die wir lieben und die uns lieben, eröffnet uns die Möglichkeit einer neuen, radikaleren Kommunion, einer neuen Intimität, eines neuen Zusammengehörens. ..Erst wenn wir gestorben sind, kann sich unser Geist vollständig offenbaren. (Nouwen a.a.O., S.101)

In Gottes Händen bis zum Ende, Foto: Melchior Buter

Allerdings (denn es gibt auch Menschen, die qualvoll und voller Groll sterben und deren Geist von Finsternis nahezu ausgelöscht ist) müssen wir uns auf das Sterben und auf den Tod vorbereiten; wir seien dafür verantwortlich wie wir sterben und im Anliegen der Hingabe könnte auch unser Sterben zur freien Gabe für andere und zur „Ouelle neuer geistlicher Energie“ werden.

Literatur:

H. Nouwen, Du bist der geliebte Mensch, Religiös leben in einer säkularen Welt, Freiburg im Br. 1993, Neuausgabe 2006)