schwach und stark

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Wer will nicht stark, erfolgreich, schön, attraktiv, und begehrt sein? „Power haben“- das liegt im Trend des Zeitgeistes.  Schwäche zugeben, das geht eigentlich nicht, in einer Zeit, die „Selbstoptimierung“ und „Gewinnmaximierung“ zu ihren Prioritäten gemacht hat.

Aber, was ist mit all denen, welche das Leben aus der Kurve getragen hat und die jetzt zerbeult daherkommen? Was ist mit denen, die durch die Stürme des Lebens zerzaust wurden und jetzt „abgerissen“ und zerfetzt aussehen? Was ist mit jenen, die durch ihre Lebenskämpfe, ihr Scheitern, ihre Niederlagen oder plötzlich einbrechende Krankheiten geschwächt und zu Boden geworfen wurden? Und was mit all jenen, die auf der Schattenseite des Lebens geboren wurden oder sich in der Mitte der Lebensreise (vgl. Dante, Die göttliche Komödie) sich in einem dunklen Wald verlaufen haben? Und was ist mit den älteren oder kranken Menschen, die nichts mehr „leisten“ können.

Wir brauchen nichts dringender als eine Kultur der Schwäche, fordert Jörg Scheller, Professor für Kunstgeschichte an der Zürcher Hochschule der Künste und er legt in einem lesenswerten Beitrag dar, dass wir in einer Zeit leben, in der es nur noch um Selbstoptimierung und Empowerment geht und selbst formal eingestandene Schwäche nur zur Erfolgsoptimierung dient. Er schreibt:

In der Tat ist es ja, als bestünde die Welt nur noch aus Muskeln. Empowerment! Followerpower! Global Power! Super Power! Student Power! Female Power! Resistance! Resilienz! Rise against! Organisiert euch, optimiert euch, wappnet euch, lernt u kämpfen, setzt euch durch…Ratgeberbücher, die Stärkung des Selbstbewusstseins versprechen. Starke Statements, starker Widerstand, starke Wirtschaft, starke Körper, starke Meinungen, starke Frauen, strong Leadership, gemeinsam sind wir stark….Was in der Kultur der Werte und des Empowerments verloren gegangen ist, ist die gemeinsame Arbeit an einer Kultur des Machtverzichts und der Schwäche…Schwache Schwäche. Schwäche, die schwach genug ist, sich als solche anzuerkennen. Es bedarf eben nicht der Stärke, sich Schwächen einzugestehen. Es bedarf der Schwäche.“ https://www.deutschlandfunk.de/wir-haben-die-macht-1-3-warum-wir-eine-kultur-der-schwaeche.1184.de.html?dram:article_id=492520)

Eine Gesellschaft der Besserwisser, Rechthaber, der Populisten, die wissen, wo es langgeht, der Empörten, die ihr Denken militärisch aufrüsten, und keine abweichenden oder andersdenkenden Meinungen mehr zulassen, scheint sich auch bei uns und weltweit immer mehr auszubreiten.

Macht uns aber umgekehrt nicht gerade die Corona Pandemie deutlich wie verletztlich und schutzbedürftig der Mensch ist, wie fragil menschliches Leben und Planen scheint, wie unsicher sein Wissen; aber auch wie sehr wir alle aufeinander angewiesen sind, wie sehr wir der Solidarität und des Mitgefühls unserer Mitmenschen bedürfen?

Eine echt starke Gemeinschaft (vom Staat bist zur Familie) ist jene, die in besonderer Weise auf die Schwächeren und Bedürftigeren achtet, sich um jene  kümmert und sie mitnimmt statt sie an den Rand zu schieben. „Die Stärke eines Volkes misst sich am Wohl der Schwachen“ – so steht es in der Präambel der schweizerischen Verfassung von 1999.

Nur wer um seine eigenen Schwächen weiß und sie sich auch ein- und zugesteht, wird auch Mitleid und Empathie für jene empfinden, die nicht auf der Siegerstraße zu Hause sind. Geben uns nicht gerade sogenannten Schwachen und Bedürftigen ganz viel und zeigen sie uns nicht eine Welt jenseits der Kategorien Erfolg, Effizienz, Selbstoptimierung und Gewinnsteigerung? Lernen wir durch sie nicht sehr oft sehr viel von dem, was das Leben essentiell ausmacht: Liebe, Zuwendung, Gefühle, Demut, und das Eingeständnis, angewiesen zu sein und Hilfe zu brauchen? Ich für mich kann diese Frage nur bejahen in meinen vielen beschenkenden Begegnungen gerade mit schwerstbehinderten Menschen.

Viele Umkehr und Wandlungsprozesse von sogenannten Heiligen begannen mit einer Erfahrung der Schwäche: der stolze Ritter Ignatius von Loyola, späterer Gründer des Jesuitenordens, erlebt eine tiefgreifende Wandlung seiner Person, als ihm eine Kanonenkugel sein Bein uns seine bisherige Identität zerschmettert; in vielen Stunden der Einsamkeit und Verlassenheit, auch der Verzweiflung, im Hören nach innen wandelt sich sein Leben, in dem ihm keine der alten Freuden mehr Genuss vermitteln und ihm langsam eine neue Lebendigkeit aufblüht.

Oder Franz von Assisi, Sohn eines reichen bürgerlichen Tuchhändlers, selbst ein Lebemann und auf dem Weg über ritterliche Erfolge in den Stand der Adeligen (majores)aufzusteigen (so zumindest der Wunsch des Vaters), erfährt eine tiefgreifende Wandlung seiner Biografie in der Begegnung mit einem Aussätzigen, wahrscheinlich Leprosen, welche die unterste Stufe der hochmittelalterlichen Ständegesellschaft bildeten und wie Tote in einem Begräbnisritual ausgesondert wurden. Indem Franziskus, den Ausgegrenzten umarmt, spürt er, dass der andere Gott aufscheinen lässt, was seinen weiteren Lebensweg entscheidend prägt. In der Schwäche des Anderen entdeckt er auch seine eigene Armut und Bedürftigkeit, die er nicht durch irdische Güter füllen kann. (vgl. dazu Mirjam Schambeck, Nach Gottragen zwischen Dunkel und Licht, Würzburg 2014)

Nicht umsonst beginnen die alten Gebete immer mit dem Ruf: „O Gott komm mir zu Hilfe, o Herr, eile mir zu helfen“- also einem Eingeständnis, ein Hilfsbedürftiger zu sein; einer der angewiesen ist, der nicht mehr aus eigener Kraft sein Leben meistern kann, der sich nicht selbst genügt. Wer betet gibt seine Schwäche zu und bittet die höhere Macht um Hilfe und Beistand. Gehört es nicht zur Größe des Menschen zu bedürfen, Gottes zu bedürfen, um das zu bitten, was ich mir nicht selbst geben kann? Zu bitten, um Erlösung, um Beistand, um Durchhaltekraft in der Not, um Freiheit, um Frieden, um Schutz ….

Gustav Schädlich-Buter