Maßlosigkeit

 

„Auf bauen wir eine Stadt und einen Turm mit der Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen Namen“ (Genesis 11,4)

Diese Aufforderung zum Turmbau bis zum Himmel finden wir in einem mehrere tausend Jahre alten Text in der Bibel im Buch Genesis. Türme bis zum Himmel werden inzwischen auf der ganzen Welt gebaut; der Burj Khalifa in Dubai ist momentan der Spitzenreiter mit 830 Metern, gefolgt vom Shanghei Tower in China mit 632 Metern; das neu erbaute One world Trade Center in New York  mißt 541 Meter.

Foto: Burj Khalifa in Dubai/Pixabay

Anscheinend neigt der Mensch von Natur aus zur Maßlosigkeit und tut sich schwer seine Grenzen zu finden mit vielen negativen Folgen für sich selbst und seine Umwelt. Profilierungssucht, Gier nach Ansehen und Darstellung der eigenen Wichtigkeit sind wohl die Entsprechungen auf der psychischen Ebene Maßlosigkeit führt auch heute zu „Sprachverwirrung“ und zu Zerstörung. Dies gilt auf verschiedenen Ebenen: in unserer Zeit, in welcher die Möglichkeiten der Naturwissenschaften und  der Medizin, zumal der Humangenetik,  immer weiter wachsen, wird die Frage nach der Grenze zunehmend wichtig. Was ist angesichts dessen, was wir inzwischen können, noch ethisch verantwortbar? Und wo ist eine Grenze für die geforderte Steigerungsspirale  eines „immer-mehr“ des globalen kapitalistischen Wirtschaftssystems? Sehen wir nicht, dass es zunehmend Menschen krankmacht und unseren Heimatplaneten Erde ausbeutet und zerstört.

Kranke, behinderte, arbeitsunfähige, leistungsschwächere Menschen geraten  in einer unbarmherzigen Gesellschaft, die vor allem auf Effektivität  und Außendarstellung (die Verpackung wird  wichtiger  als der Inhalt) zielt,  immer mehr unter die Räder. Das christliche Menschenbild, in dem  der Mensch um seiner selbst willen da ist,  einen Wert und eine Würde  hat, die bedingungslos ist, wird  zunehmend außer Kraft gesetzt und entfaltet kaum noch gesellschafliche Wirksamkeit. Eine Gesellschaft ohne Maß aber macht krank und führt Menschen in Unzufriedenheit, Unsicherheit und  Depression.

Das Maß ist ein zentraler Begriff  des Mönchsvaters  Benedikt(480 n.Chr.), der in einer Zeit  des Verfalls und der Auflösung bislang gültiger  Maßstäbe lebte. Er versuchte mit  seiner Klosterregel durch das rechte Maß, das Leben so zu ordnen wie es der Schöpfung Gottes entspricht und den  Menschen dadurch zu einem gelingenden Leben zu verhelfen. Das  Maß (lat. mensura), ursprünglich das Getreidemaß, also ein Gefäß, mit dem man misst, darf dabei nicht als starres und für jeden Menschen gleiches  Maß verstanden werden.

Im kirchlichen Raum ist die 40 tägige Fastenzeit, die mit dem Aschermittwoch beginnt, als Möglichkeit gedacht, ganz persönlich wieder zu einem gesunden Maß zurück zu finden. Verzicht einüben, um wieder genießen zu können, innere Leere aushalten, um wieder mit seiner wahren Sehnsucht in Berührung zu kommen, maßvoll mit den Ressourcen der Welt umzugehen, um unsere Erde auch für nachkommende Generationen zu erhalten.

Fasten kommt ja vom gotischen Wort „fastan“, das „fest“ bedeutet; wir sollen durch Fasten innerlich wieder Festigkeit und Halt bekommen angesichts von Verwirrung und Durcheinander.

Die heutigen Möglichkeiten zu konsumieren und sich zu zerstreuen, stellen uns ganz persönlich die Frage, wie finde ich für mich ein gutes Maß, das meiner Seele gut tut, meinen Geist wachhält (auch für den Anruf Gottes) und meine sozialen Fähigkeiten stärkt.

Einige mögliche Fragen für jene, die auf der Suche nach dem rechten Maß für sich sind:

Auf was kann ich verzichten, weil es mich am wahren Leben hindert?

Stopfe ich meine Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit und Angenommensein mit Essen zu?

Überspiele ich meinen Ärger und meine Unzufriedenheit durch regelmäßigen Alkoholkonsum und Nikotin?

Muss ich überall meinen „Senf“ dazugeben?

Kann ich eine Zeit lang aus der Dauerberieselung (durch Fernsehen, Internet, Smartphone..) aussteigen, um meine eigenen Fragen wieder zu entdecken?

Kann ich mal auf „sich ärgern“, auf Tratsch und  „schlecht über andere reden“ verzichten?

Was kann ich tun, um mich selbst wieder zu spüren?

Wo kann ich langsamer tun?

Gehe/bin ich genug an der frischen Luft?

Will ich mir einmal Zeit nehmen, um über mein Leben nachzudenken?

Wo funktioniere ich nur noch? Aus welchen eingespielten Mustern und Verhaltensweisen kann und will ich einmal aussteigen?

Was kann ich für andere tun?

Wie   kann ich  meiner Partnerin/Partner, meinen Nachbarn, Arbeitskollegin oder Freund etwas Gutes tun  oder einen Streit beenden?

Kann ich ein soziales Projekt unterstützen?

Was kann ich für das Wohl unseres Planeten tun?

Kann ich als Autofahrer mal mit dem Fahrrad oder Zug zur Arbeit fahren?

Kann ich mal eine Zeit lang weniger Fleisch essen oder darauf verzichten?