Freiheit und Befreiung

Aktuell fühlen sich nicht wenige Menschen aufgrund der Pandemie durch viele Regelungen in ihrer Freiheit begrenzt und nicht nur physisch, sondern auch mental und seelisch unfrei. Die Freiheitsrechte, die zu den Menschenechten gehören, haben eine lange Geschichte hinter sich von der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776 bis zur französischen Revolution. Freiheitsrechte mussten errungen, erkämpft und verteidigt werden, vorallem gegenüber totalitären und autoritären Systemen wie wir sie in Deutschland während des Nationalsozialismus oder mit der Stasiüberwachung in der DDR erlebt haben. Die Freiheit wie sie in einer demokratischen Gesellschaft in Deutschland über Jahrzehnte etabliert ist, wurde, -so lange es uns sehr gut ging-, oft allzu selbstverständlich hingenommen. Nun da die Freiheitsrechte, aus gutem Grund zum Schutz der Menschen, eingeschränkt werden, spüren wir wieder deutlicher, was uns die Freiheit wert ist.

Seit jeher ist Freiheit eines der großen Sehnsuchtsworte der Menschheit, das schon antike Philosophen in Ihrem Nachdenken beflügelt hat und in unserer Zeit Songwriter wie Janis Joplin (Me and Bobby McGee: „Freedom is just another word for nothing left to loose“), Bob Dylan, Richie Heavens, Queen und viele andere zu ihren Liedern inspiriert hat.

(eine gute Übersicht, philosophischer Einsichten zum Thema Freiheit, findet sich in: Anselm Grün, Wege zur Freiheit, Münsterschwarzach 1996)

Welche Lieder verbindest Du/Sie mit Freiheit?

Doch was ist Freiheit?

Was verbinde ich persönlich mit Freiheit? Wo spüre und fühle ich mich frei? Aber auch: Was in meinem Leben macht mich unfrei?

Ich möchte im folgenden das riesige Thema rund um den Begriff „Freiheit“ auf zwei Perspektiven begrenzen und dabei mehr den seelischen als den rechtliche Aspekt der Freiheit ansprechen: Freiheit als „Freiheit von..“ und Freiheit als „Freiheit zu“.

1) Freiheit als „Freiheit von“

Wer frei werden will, muss sich von vielem befreien, von Einengungen und Einschnürungen, die mir von außen, von anderen aufgezwungen wurden. Besonders die ältere Generation litt noch stärker unter Vorschriften, Regeln, Traditionen, Verboten von Eltern, Pfarrern oder Lehrern, von Familie, von Kirche oder Staat. Absolute gesetzte Forderungen von außen drangen in das Innere ein, besetzten die Seele, sperrten Lebensenergien in ein Gefängnis, drückten und dämpften spontane Lebendigkeit, blockierten Gefühle und Gedanken.

Die Zwänge ,Verbote und Vorgaben (wie man zu leben hat, was normal und richtig ist..)von Religion und autoritärer Gesellschaft, die früher das private Ich in seine Schranken verwiesen, sind heute zumindest in Deutschland weitgehend aufgehoben. Die Jüngeren stehen eher unter dem Diktat, dass das Leben und die Karriere nun allein in der eigenen Hand liegen, dass ich mich selbst verwirklichen muss und alles, ja alles möglich scheint, und wer es nicht schafft, eben selber schuld ist. Durch diese grenzenlosen Selbstansprüche und die maßlosen Ansprüche der Gesellschaft spüren auch die Jüngeren so etwas wie Unfreiheit. Zudem sind heute viele Menschen von einem starken Leistungsdruck und aggressiven Perfektionszwang unfrei gemacht und werden in einen globalen System des immer „Mehr“ (schneller, höher, weiter besser, erfolgreicher…) in die Knie gezwungen; manche geraten dadurch in eine Erschöpfungsdepression(Burnout).

Befreien muss ich mich auch von dem, was aus meinem eigenen Inneren kommt und mir die Freiheit nimmt; all das, was mich einsperrt, gefangen hält, auf erniedrigende Weise bindet:

Da sind wohl an erster Stelle die Süchte zu nennen: Alkoholismus, Nikotinsucht, Drogensucht, Esssucht, Arbeitssucht, Sucht nach Stress, Anerkennungssucht, Machtsucht, Sexsucht, Spielsucht…alle Süchte beeinträchtigen die menschliche Freiheit und nehmen uns etwas von unserer Menschenwürde. Toleranzprobleme, Entzugserscheinungen und Willenlosigkeit können die Folge sein.

Welche Süchte kenne ich bei mir selbst?

Unfrei machen uns auch schlechte Gewohnheiten, distanzlose Beziehungen, zerstörerische Bindungen, und besonders unsere Ängste: traumatische Ängste, die wir aus der Kindheit noch mitschleppen, die Angst verlassen zu werden, Bindungsängste, die Angst zu kurz zu kommen oder übersehen zu werden, Versagensängste, Ängste, nicht zu genügen, die Angst vor Krankheit, Ohnmacht, Ausgeliefertsein und schließlich die Angst vor Sterben und Tod

Was sind meine Ängste, die mich unfrei ( klein, unterwürfig, eng, starr, sprachlos….) machen?

(Literatur zum Thema Angst: A. Grün, Verwandle deine Angst, Ein Weg zu mehr Lebendigkeit- Spirituelle Impulse)

Befreiung gelingt nicht ohne die Begegnung mit dem eigenen „Schatten“, ohne das Wahrnehmen und Anerkennen der eigenen Dunkelheiten, des Unerlösten, unliebsam Verdrängten (Neid, Eifersucht, Geiz, Zorn….) und die Frage wie ich all diese Gefühle verwandeln kann. (zum Thema „Schatten“  empfehle ich das Buch: V. Kast, Der Schatten in uns, Die subversive Lebenskraft, Düsseldorf, Zürich 2000)

Es geht auch darum, in der Erinnerungsarbeit, die Fesseln zu lösen, die Menschen in eine Opferrolle (als Opfer von Verleumdungen, Mobbing, Verletzungen, rufschädigende Behauptungen..) zwingen. Solches „Fesseln lösen“ ist wichtig, damit Opfer nicht selbst durch einen verhängnisvollen Kreislauf, selbst zu Tätern werden. Dazu ist auch Trauerarbeit notwendig, ohne die der Mensch steril und hart wird.(vgl. dazu: A. Grün, Die Fesseln lösen- Wege aus der Opferrolle, Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach 2020; und Verena Kast, Abschied von der Opferrolle. Das eigene Leben leben, Freiburg im Br. 1998, 2013)

Befreiung geht einher, die eigene Lebensgeschichte zu erhellen, die Hindernisse zu enttarnen, und sich mit seiner Biografie auszusöhnen, um sie zu akzeptieren. Ohne dass ich mir selbst und anderen vergeben kann, bleibe ich unfrei. (Zum Thema Vergebung empfehle ich das Buch von Melanie Wolfers, Die Kraft des Vergebens, wie wir Kränkungen überwinden und neu lebendig werden, Herder Verlag 2017)

Befreiung geschieht auch, indem ich mir meine Lebenswunden bewusst mache, den Schmerz des Verschlossenen zulasse, den vergiftenden Hass herauslasse, so dass meine Panzerungen und Verhärtungen weich werden. Ich kann aufatmen, Atemluft (hebr.ruach, griech. pneuma) strömt durch mich hindurch. Es ist als ob nach langen Kerkernächten seelischer Unfreiheit wieder Licht und Wärme meine Seele durchdringen kann.

Freiheit in Sicht, Acryl auf leinwand

Menschen mit einer Behinderung wünschen sich nicht nur, dass die Gesellschaft unnötige physische Barrieren und Hindernisse aus dem Weg räumt, -dies auch- , aber noch mehr,  dass sie mit anderen Augen gesehen werden; mit den Augen des Respekts, der Wertschätzung und einer grundsätzlichen Akzeptanz. Die Barrieren in Kopf und Herz in der Gesellschaft machen behinderte Menschen am stärksten unfrei, und nicht das Angewiesensein auf einen Rollstuhl oder die Hilfe eines Assistenten, – höre ich zumindest immer wieder. Doch es liegt an mir selbst, wieviel Macht ich dem anderen über mich gebe. Ich brauche dem anderen nicht soviel Macht über mich geben, dass er mich demütigen, verletzen, beschämen und dadurch mein Inneres verformen kann. Solche Distanzierung, auch wenn sie meist nicht völlig gelingt, könnte hier den Weg in eine größere Freiheit weisen.

2)Freiheit als  Freiheit zu:

Je mehr ich selbst befreit werde, je weniger Einengungen, Zwänge, Lebensängste, verdüsternde Schatten mein Leben bestimmen, umso deutlicher wirkt mein Befreit-sein auch nach außen; umso stärker wirke ich auch befreiend auf andere. Die eigene Befreiung will sich womöglich entfalten im Befreien all jener, die unterdrückt, gedemütigt, an den Rand geschoben und in materieller und geistiger Unfreiheit ihr Leben fristen müssen. Ein Befreiungskampf für eine gerechtere Welt und Erde, ein Engagement für eine vielfach gedemütigte Schöpfung. Der freie Mensch will die ganze Schöpfung in die geschenkte Weite mit hineinnehmen, Tiere nicht gnadenlos verbrauchen, die Erde nicht maßlos ausbeuten.

(dazu gibt es viele inspirierende Bücher; ich empfehle das Buch von Papst Franziskus, Laudato Si, die Umwelt Enzyklika des Papstes, in dem die ökologischen, sozialen und politischen Zusammenhänge erläutert werden)

Wer innerlich frei ist, kann sich außerdem auch auf sinnvolle Regeln einlassen.

Nicht umsonst steht ziemlich am Anfang der Bibel (im Buch Exodus) eine Gottheit, der sich als Befreier, als Befreiungsgott offenbaren möchte, und uns aus der „Sklaverei“ herausführen will.

Impuls:

Ich könnte einem Freund/-in, Partner/-in, guten Kollegen/-in meine ganz persönliche Geschichte erzählen zum Thema Freiheit/Unfreiheit oder sie in mein Tagebuch aufschreiben.

Ich könnte einen Punkt , der mich besonders angesprochen hat , wie z.B. Sucht, Angst, Schatten, Opferrolle…. für mich persönlich vertiefen, indem ich ein entsprechendes Buch lese und/oder mich mit jemanden darüber austausche.

Gustav Schädlich-Buter