Entscheidung in unsicheren Zeiten
Ohne Zweifel leben wir heute in einer Multioptionsgesellschaft, die ständig Entscheidungen von uns abverlangt. Wir haben in unserer westlichen Gesellschaft nicht selten „die Qual der Wahl“, was für viele Menschen dieser Welt ein Luxusproblem sein mag.
Zugleich leben wir in einer Umbruchssituation, die viele verunsichert: der Verlust alter Traditionen und Werte, der Zusammenhalt Europas, das verbindende geistigen Fundament scheint ebenso brüchig geworden wie das transatlantische Verhältnis. Es scheint keine Übereinstimmung mehr in den Grundwerten zu geben, was bei der Aufnahme von Flüchtlingen sichtbar wurde. Die Pluralität der Meinungen macht viele orientierungslos und sie rufen nach dem starken Mann, der es richten soll. Säkularisierungsprozesse scheinen Glaube, Religion und Gott zunehmend überflüssig zu machen. Spuren der Verunsicherung, auch durch zunehmend bedrohliche politische Ereignisse, graben sich zunehmend tiefer in die Seele des westlichen Menschen ein und machen Angst.
In einer solchen Zeit wird es auch für den einzelnen zunehmend schwieriger, die rechten Entscheidungen zu treffen. Denn Entscheidungen orientieren sich an Grundwerten, an Normen, an Verbindendem und Verbindlichem.
Wie also soll ich meine Entscheidungen treffen?
Im 15. und 16 Jahrhundert, ebenfalls eine Zeit großer Umbrüche, lebte Ignatius von Loyola, der einem edlen Rittergeschlecht entstammte. Nachdem einen Kanonenkugel 1521 nicht nur sein Bein, sondern auch seine ehrgeizigen Karierepläne zerschlagen hatte, entdeckte er – wohl von Aristoteles inspiriert-, auf dem Krankenbett die „Unterscheidung der Geister“. Dabei geht es vor allem bei wichtigen Entscheidungen darum, nach innen zu horchen und die eigenen Seelenregungen zu erspüren, sie zu ordnen und herauszufinden, ob sie von einem „guten Geist“ stammen; nur diese würden Freude, inneren Frieden, Leichtigkeit und Stimmigkeit bewirken; Ignatius spricht auch von „Trost“, der sich an einer Zunahme an Glaube, Hoffnung, Liebe und innerer Freude zeigt. Entscheidungen, die von einem „bösen Geist“ sind, -wir würden heute vielleicht vom „Über-Ich“ sprechen- , verfinstert die Seele , macht eng, starr, fanatisch oder traurig und lau. Löst eine wichtigen Entscheidungsalternative – es geht dabei um essentielle Lebensentscheidungen- , dagegen negativen Seelenregungen aus wie Traurigkeit, Unruhe, Unzufriedenheit, dann wäre von dieser Entscheidung eher die Finger zu lassen. Was vom guten Geist geleitet ist, bringt mich in Übereinstimmung mit mir, der „böse Geist“ dagegen zerstreut mich, zerreißt, bringt mich auseinander, verfinstert und verwirrt die Seele. Ignatius nennt dies auch Trostlosigkeit oder Misstrost.(vgl. zur „Unterscheidung der Geister“: Ignatius von Loyola, Die Exerzitien, übertragen von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln, Freiburg 12. Auflage, 1999)
(Bild: „Umkehr“ von Gustav Schädlich-Buter, 60×80 cm, Acryl auf Leinwand)
Der Impuls von Ignatius an uns
Auch wenn die Sprache dieser Zeit uns modernen Menschen fremd vorkommen mag, steckt darin der Impuls, bei seinen Entscheidungen auf sich selbst zu hören, die tieferen Impulse ernst zu nehmen, die Seelenregungen wieder spüren lernen . So kann ich herausfinden, ob die getroffene Entscheidung, mich in tiefere Übereinstimmung mit mir selbst bringt oder das Gegenteil davon. Ignatius ermuntert uns, sich bei wichtigen Entscheidungen an einem „inneren Kompass“ zu orientieren.
Bedenke deine Entscheidung im Angesicht der Todesstunde
Zudem rät Ignatius : wenn du eine wichtige Entscheidung zu treffen hast, dann versetze dich in die Stunde deines Todes und überlege wie du aus der Perspektive deines Todes die anstehende Entscheidung getroffen hättest. Also, wenn jemand z.B. immer nur Arbeit, Karriere und Finanzielles im Kopf hatte , alle seine Entscheidungen daran orientierte, währenddessen seine menschlichen Beziehungen kaputt gingen, dann wird er das womöglich in seiner Todesstunde bereuen. (vgl dazu: Matthias Beck, Christ sein, Was ist das?,…S.23) .
Fragen zum Nachdenken:
An welchen Werten orientiere ich meine Entscheidungen? (Spass/Fun, Nächstenliebe, Glaube, Materielles, Wohlstand, Wellness, mehr Geld…….)
Literatur zur Vertiefung:
Die Wiedergabe von der „Unterscheidung der Geister“ bei Ignatius ist eine Kurzform eines ausgeklügelten und komplexen Systems zur Vertiefung empfehle ich
Stefan Kiechle, Sich entscheiden, Würzburg 2004
Ignatius von Loyola, Die Exerzitien, Einsiedeln, Freiburg 1999
Hans Urs von Balthasar, Texte zum ignatianischen Exerzitienbuch, Auswahl und Einleitung von Jacques Servais S.J., Einsiedeln, Freiburg 1993
Matthias Beck, Christ sein-was ist das? Glauben auf den Punkt gebracht, Wien, Graz, Klagenfurt 2016
Anselm Grün, Was will ich? Mut zur Entscheidung, Münsterschwarzach 2011