„Draußen vor der Tür“-Impuls zum Advent

In Wolfgang Borchert Antikriegsdrama „Draußen vor der Tür“ steht der Kriegsheimkehrer Beckmann vor der Tür seines Elternhauses, das den  Krieg  unbeschadet überstanden hat. Beckmann freut sich:  „Unser Haus steht noch! Und es hat eine Tür. Und die Tür ist für mich da…Da kommt mein Vater jeden Morgen um acht Uhr raus. Da geht er jeden Abend wieder rein. Nur sonntags nicht…jeden Tag, ein ganzes Leben. Da geht meine Mutter rein und raus. Dreimal, siebenmal, zehnmal am Tag. Jeden Tag. Ein Leben lang. Das ist unsere Tür…Der Krieg ist an dieser Tür vorbeigegangen. Er hat sie nicht eingeschlagen und nicht aus den Angeln gerissen…Und nun ist diese Tür für mich da. Für mich geht sie auf, und hinter mir geht sie zu, und dann stehe ich nicht mehr draußen. Dann bin ich zu Hause. (Wolfgang  Borchert, Draußen vor der Tür, Hamburg 1956, 11.Auflage 2011, S.34 f.) Doch an der Tür ist das Messingschild verschwunden, auf dem seit 30 Jahren der Name Beckmann stand.  Ein  anderer, fremder  Name steht an der Tür, das Geburtshaus von Beckmann ist inzwischen von anderen Personen besetzt. Eine gleichgültig,  glatt freundliche  Frau Kramer, die jetzt dort mit ihrem Ehemann wohnt, erklärt Beckmann, dass  die Eltern hinausgeworfen wurden und sich daraufhin das Leben genommen haben.  Am Schluss der Unterhaltung mit Frau Kramer sagt Beckmann leise, aber drohend: „Ich glaube, es ist gut, wenn sie die Tür zumachen, ganz schnell. Ganz schnell! Und schließen sie ab. Machen  Sie ganz schnell ihre Türe zu, sag ich Ihnen! Machen Sie !“  Beckmann`s Erwartung nach grauenvollen Kriegsnächten endlich  nach Hause in sein Elternhaus zu kommen, wird bitter enttäuscht. Die Tür öffnet sich zwar,  aber ohne Einlass zu gewähren und mit dunkler Nachricht abzuweisen.

„Advent heißt Ankunft und ist die Zeit der Erwartung, der Sehnsucht nach Heil und Frieden, die endlich ankommen sollen auf dieser Erde. Advent ist die Sehnsucht nach Heimkommen und Ankommen, nach einer erlösenden Botschaft, die besonders Menschen wie „Beckmann“  oder  heute die vielen Flüchtlinge auf dieser Welt  spüren.  Advent ist die Sehnsucht nach dem Erlöser selbst, dem wir die Türen aufschließen sollen. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit“, heißt es in einem bekannten Adventslied aus dem 17. Jahrhundert. Doch wer steht auf der anderen Seite  der Tür? Der Erlöser und die frohmachende Botschaft oder Frau Kramer, die abweist.  Wer klopft an und wer öffnet?

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(„Hoffnungstor“, Acryl auf Leinwand, 60×80 cm, von Gustav Schädlich-Buter)

1622 schreibt der Jesuit Friedrich Spee das  Lied  „O Heiland reiß die Himmel auf“, das mit seinem Text so gar nicht in die Idylle von Weihnachtmärkten mit Glühwein und Lebkuchen passt. Friedrich Spee lebt in einer dunklen Zeit: es herrscht die Pest, der viele Menschen zum Opfer fallen, der 30 jährige Kriege wütet und es ist die Zeit der Hexenverfolgung. In der ersten Strophe des Liedes heißt es dann weiter: „Reiß ab vom Himmel Tor und Tür/ Reiß ab wo Schloss und Riegel für“. Die Türen, die den Himmel verschließen, soll der Heiland selbst gewaltsam  öffnen. Wer verschließt die Tür zum Himmel? Ist es die  Not selbst, das Elend dieser Welt, das manchen Menschen den Glauben geraubt hat, es könne sich noch etwas vom „Himmel“ her zum Besseren wenden? Oder ist es die Kakophonie menschlicher Bosheiten und  die oberflächliche, abgestumpfte Gleichgültigkeit menschlichen Denkens und Handelns, welches die Türen verschließt?

Adventliche Sehnsucht könnte man bezeichnen als das Leiden an dieser Verschlossenheit des Himmels. Im Lied von Friedrich Spee wird jene  zu einem leidenschaftlichen Flehen aus tiefster Not, dass der Heiland –also der, der unsere Welt und unser Leben retten soll- endlich kommen soll. Er wird dringend gebraucht, schmerzlich vermisst und soll jetzt selbst die Initiative ergreifen, wenn wir es schon nicht schaffen, die Türen zu öffnen.  Die religiöse Sprache bringt zum Ausdruck, dass wir Menschen immer wieder in Situationen geraten, aus denen wir selbst uns nicht retten oder befreien können. Man denke gegenwärtig an die Kriege im Nahen Osten, an die Ebola Epidemien in Afrika oder an die vielfältigen individuellen Nöte und Ängste in uns selbst oder in unserer Nähe.

„Wo bleibst du Trost der ganzen Welt..?, schreit die adventliche Sehnsucht im Lied  (4.Strophe) klagend zum Himmel. „Wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt? Warum redet er denn nicht!! Gebt doch Antwort! Warum schweigt ihr denn? Warum? Gibt denn keiner Antwort? Gibt keiner Antwort??? Gibt denn keiner, keiner Antwort???“, heißt es in Borcherts Roman (a.a.O. , S.54) Wann geht die Tür endlich auf, so dass wir, die Menschen, die aussichtslos und traurig herumirren, die sich immer wieder gegenseitig  zerstören müssen, endlich heimkommen und Frieden finden. Wann endlich kommen wir ins Vaterland, ins Elternhaus, das Wolfangs Borchert`s -von der eigenen Biografie geprägten-  Romanfigur Beckmann verschlossen bleibt.

Impuls:

Lesen Sie in der Adventszeit Borchert`s Roman „Draußen vor der Tür“

Meditieren und singen Sie Friedrich Spee`s Lied „o Heiland reiß die Himmel auf“

Wem kann ich die Türen meines Herzen`s oder meines Hauses (wieder) öffnen?

Literatur:

Wolfgang Borchert, Draußen vor der Tür, Hamburg 1956, 11.Auflage 2011