Ansehen heilt

Oft genug stehen wir Menschen beim Blick in den Spiegel vor dem verurteilenden Gericht unserer eigenen Augen: verloren, verängstigt und eingeschüchtert.  Wir fühlen uns womöglich  als Versager auf der ganzen Linie, als gescheiterte Existenzen, als „Looser“, die es zu nichts gebracht haben.

Blicke, auch die eigenen, die nicht zum Guten und Positiven des eigenen Selbst vordringen, können kleinmachen, entwerten, zerstören, sogar vernichten. Wie wir uns selbst anschauen und wie wir angeschaut werden spielt bis ins Innerste unserer Seele hinein, zum Guten und zum Schlechten. „Ich schaue nicht mehr so viel in den Spiegel; denn die Augen mit denen man sich selber anschaut, sind nicht die Augen, in denen man am besten aufgehoben ist“, sagt die Schauspielerin Hanna Schygulla. Der Blick, der uns anklagt und dem wir erbarmungslos ausgesetzt sind, trifft uns eher und wir glauben ihm schneller als dem Blick der Güte, der uns birgt und rettet.

Gott sei Dank, gibt es ein Angeschaut-werden, das uns aus der Vereinsamung befreit und herausholt aus dem Erleben, wertlos, nichtsnützig und unwürdig zu sein.

Schon in der Bibel hören wir davon, dass ein liebevolles Anschauen Menschen heilen und wandeln kann: Zachäus, ein Gauner, klein von Gestalt und geldgierig, so lesen wir im Lukasevangelium (Lk 19,1-10), wird von Jesus so angeschaut, dass er sein Leben ändert und das begangene Unrecht wieder gutmacht. Das Besondere an dieser Geschichte ist, dass das moralische Handeln – Zachäus zahlt das ergaunertes Geld zurück- eine Folge davon ist, dass sich dieser kleine Mann, der sich durch Geld wichtig machen will, durch Jesu Blick gänzlich  angenommen weiß.

(Foto: Gustav Schädlich-Buter/ Busfahrt in Tansania)

Wer liebevoll angeschaut wird, verliert seine Scham und wird gestärkt in seinem Selbstwert. Umgekehrt tut sich jemand, der als Kind nicht genügend An-sehen bekommen hat, schwer einen soliden Stand in sich zu finden. Und so muss er dann oft ein Leben lang um dieses Ansehen, das Selbstwert „schenkt“, kämpfen ohne jemals an sein Ziel zu kommen. (vgl dazu die Narzißmusproblematik wie sie z.B. die Psychologen  Kohut oder Donald Winnicott darlegen)

Wir Menschen können unsere Schönheit und Würde im gütigen, liebevollen und erbarmenden Blick des anderen Menschen und im Blick Gottes erkennen. Ein Blick, der uns entgegen eigener vernichtender Selbsteinschätzung, unsere  Einmaligkeit und Würde zurück-spiegelt, kann uns heilen. Nichts kann unser Leben retten außer ein Blick der Liebe, den ich mir niemals erleisten kann, sagt der Theologe F.Steffensky. Im Gebet liefere ich mich diesem Blick der Güte aus, der auf mir ruht.

Impuls:

Nehmen Sie sich etwas Zeit und überlegen Sie , welche Personen Ihnen Wert und Würde geschenkt haben.

Schenken sie sich selbst  Ansehen und schauen Sie mit einem gütigen Blick auf ihr Leben. Schreiben Sie auf, was Sie an sich wertschätzen.

Überlegen Sie, wem Sie heute wertschätzend begegnen wollen.

Literatur zur Vertiefung :

Fulbert Steffensky, Der alltägliche Charme des Glaubens, Würzburg 2002